Fotografie

Land und Leute

d'Lëtzebuerger Land du 26.01.2018

Jung und Alt an einer Bushaltestelle sitzend, ein Ehepaar mit American Car, Kühlbox und Grill beim Sonnen an der Mosel. Kinder im Boxring, auf dem Fußballplatz oder eingetaucht in virtuelle Realitäten. Ein Ausflügler in der Frühjahrssonne vor dem Schengener Europamuseum. Raymond Reuters Schwarzweißaufnahmen in Gens de Luxembourg dokumentieren einen luxemburger Alltag fern von Banalität und Beliebigkeit. Seine Fotografien zeigen neben öffentlichen Szenen im Sinne klassischer Street Photography etwa Einblicke in die Arbeitswelt. Sei es das Verpacken frischen Fischs in den Kühlhallen der Provençale, das Abfüllen von „Lëtzebuerger Moschtert“ oder Stahlarbeiter neben flüssigem Metall – die Bilder zeigen auch die arbeitenden Menschen hinter einer großen Bandbreite der Luxemburger Produktpalette.

Mit dem offensichtlichen Anspruch, das Land und seine Leute möglichst umfangreich widerzuspiegeln, fotografierte Reuter auch eine Vielzahl traditioneller Feste und Veranstaltungen. Die desolate Schueberfouer-Fotografie zeigt einen Schausteller beim Wechsel der Glühbirnen, im Hintergrund das leere Riesenrad, der Asphalt feucht. Eine doppelseitig gedruckte Fotografie zeigt zwei Artistengenerationen eines Wanderzirkus bei einem ebenso spektakulären wie beiläufigen Kunststück auf dem Zirkusgelände. Auch weniger traditionelle Festivitäten wie die Escher GayMat-Parade sind dokumentiert, das American Cars Festival in Stadtbredimus und das Fantastik-Festival Luxcon, wo Cosplayer durch die Masken ihrer Star Wars-Uniformen in die Kamera blicken.

Daneben erhält der Betrachter Einblicke in die Mauern des Schrassiger Gefängnisses, der Klerfer Abtei Saint Maurice oder in das Düdelinger Labor für Gerichtsmedizin, Einblicke also, die man nicht ohne Weiteres bekommen würde und die doch nichts Spektakuläres, sondern einen Ausschnitt der Routinen und Abläufe in diesen Institutionen darstellen.

Ein Uhrenverkäufer beim genauen Betrachten einer Luxusuhr, ein Geigenbauer bei der Arbeit, ein Hirte mit seiner Schafsherde oder Teilnehmer der Bartringer Tanz-WM beim Proben – viele der Fotografien zeigen Prozesse unterschiedlicher Dynamik. Und doch strahlt die Fotografie eines BMX-Fahrers im Skaterpark dieselbe Ruhe aus wie die Aufnahme eines Schaufensters. Reuter gelingt es, von einem Standpunkt zu fotografieren, der die Motive in sich ruhen lässt und dabei die Balance zwischen Nähe und Distanz hält. Die Körnigkeit und die Grauverläufe des Films tragen zum Charme der analog aufgenommen Bilder bei.

Ist Gens de Luxembourg tatsächlich größtenteils als Plural zu verstehen, so treten doch einzelne Individuen hervor, wie der Remicher Friseur mit dem unverkennbaren Schnurrbart, der zudem als Muster seine Hosenträger ziert, oder Georges Christen – gleichermaßen unverkennbar – beim Biegen einer Metallstange. Auch diese Bilder sind nicht ikonisch oder glorifizierend, sondern erinnern in ihrem neutralen Charakter ein wenig an die Darstellungsform des unkommentierten Dokumentarismus der Routwäissgro-Episoden.

Die Funktion eines Kommentars kommt jedoch in Form des Texts des Schriftstellers und Kulturmanagers Claude Frisoni ins Spiel, der eine Art Überbau zu Reuters Bildern liefert, diese in einen Kontext setzt und Überleitungen herstellt. Frisonis Ausführungen sind mehr als nur ein Begleittext; sie enthalten neben ihrem informativen, anekdotisch-faktischen Charakter eine wertende Komponente, die von einer scharfsinnigen Beobachtung der Luxemburger Gesellschaft zeugt. Mit eingestreuten Informationen, wie etwa zum historischen Verhältnis der Luxemburger zur Tour de France oder der Entwicklung der Luxemburger Stahlindustrie, kommt dem Buch eine landeskundliche Komponente zu.

Gleichzeitig lässt es sich Frisoni nicht nehmen, Kritik zu üben, etwa am „kannereg[en]“ Cosplay oder „den debille Gebräicher bis d’Päischtcroisière“. Der oft humorvolle und ironische Unterton bekommt dabei hin und wieder eine bittere Note. Die mangelnde Adaption durchreisender Karrieristen, die Luxemburg nur als Zwischenstation, als „Flugzeugträger“ für den Sprung in die große Karriere nehmen, wird ebenso aufs Korn genommen wie die nationalistische Tendenzen von Sportfans, „déi sëch wëlle mam ‚Roude Léiw‘ de Batti stellen“. Die einstmals prognostizierte Überalterung der Luxemburger Gesellschaft und ihre Zukunft, ihre internationale Gemengelage und damit verbundene Chancen und Konflikte bilden die Klammer von Frisonis Text.

Im Gegensatz zu teuren Imagekampagnen unter Einsatz nationalfarbener Werbeartikel bietet Gens de Luxembourg – nicht zuletzt Dank Moritz Neys Gestaltung des Einbands – ein ästhetisch ansprechendes Buch, das gemessen an seinem Umfang einen breiten und ausgewogenen Überblick über die Luxemburger Gesellschaft liefert.

Raymond Reuter (Fotos), Claude Frisoni (Text): Gens de Luxembourg. Übersetzungen des französischen Texts ins Luxemburgische (Jean-Pierre Thilges) und ins Englische (Zoé Brill Diderich). Editions Luxnews 2017. 55 Euro. / Die Fotos sind bis zum 26. März in der Valentiny Foundation in Remerschen zu sehen; www.valentiny-foundation.com/news

Boris Loder
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