Er sieht eigentlich ganz unscheinbar aus. Von der Farbschattierung ähnelt er dem Kartoffelkäfer, allerdings ist er etwas kleiner. Aber ähnlich genüsslich frisst er sich den Ranzen an europäischen Kulturpflanzen voll : der Maiswurzelbohrer. Während dieser Blattkäfer sich in Maiswurzeln reinbohrt, dokumentieren ihn EU-Beamte und Entomologen. Auch die hiesige Pflanzenschutzbehörde der ASTA (Administration de services techniques de l’agriculture)sucht nach seinen Spuren, – bisher aber bleibt er unentdeckt. Das Insekt tauchte zu Beginn des Jahrtausends in Europa auf und wurde als unter Quarantäne zu bringender Organismus eingestuft. Seit 2013 ist diese Quarantäneregel aufgehoben – die Ausbreitung des Maiswurzelbohrers ist nicht mehr zu bändigen. Im ungünstigsten Fall können seine Larven Mais, Soja, Sonnenblumen und Kürbisse derart schädigen, dass deren Nährstoffaufnahme verhindert wird. Dann kommt es zu Ertragseinbußen, wie 2009 in der Lombardei, wo 30 Prozent der Ernte ausfiel.
Obstbauern sind ihrerseits mit einem anderen Insekt beschäftigt: der Kirschessigfliege. Die Liste an Früchten, die sie beschädigen kann, ist lang, von Kirschen, Himbeeren, Pfirsichen, Pflaumen, über Aprikosen und Trauben sind mediterrane und für unsere Breitengrade bekannte Früchte dabei. Der taxonomische Begriff der Fliege, Drosophila Suzukii, verrät ihre japanische Herkunft. Wie der Maiswurzelbohrer und der Kartoffelkäfer ist auch die Kirschessigfliege eine invasive Spezies; also ein Organismus, der über den globusumspannende Transportmittel wie Flugzeuge oder Schiffe, unintendiert außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiet verfrachtet wurde. In ihren neuen ökologischen Nischen können sie sich anschließend zumeist ungehindert ausbreiten, weil sie keine natürlichen Feinde besitzen.
Im Raum verteilt stehen und liegen Insektenfallen; schön sichtbare in gelb und grün, damit die Käfer die Fallen aufgrund ihrer leuchtenden Farben mit Blüten verwechseln. Trichter stehen neben einem Waschbecken, Handschuhe hängen an einem Haken, zwei robuste Mikroskope stehen auf dem Tisch. Der Pflanzengesundheitsinspektor Julien Reiners analysiert Pflanzenkrankheiten im Labor des ASTA-Pflanzenschutzdienstes; diese Krankheiten können durch Mikroorganismen und Viren verursacht werden oder über Insekten, die als Vektoren für bestimmte Pflanzen-Pathogene fungieren. Auf dem Tisch steht ein Fläschchen in der 5 Millimeter lange, abgestorbene Larven schwimmen. „Es handelt sich um in Südeuropa bereits gängige Fruchtfliegen – sie sind also nicht quarantänepflichtig. Die Larven stammen aus Mangos, die letzte Woche per Flugzeug aus Südamerika kamen“, erläutert Reiners den Befund der Stichprobe. Obwohl fast täglich kontrollpflichtige Ware aus Drittländern eintrifft, werden selten quarantänepflichtige Krankheitserreger oder -Vektoren entdeckt. Letztes Jahr gab es einen Fall: Jackfruits aus Mittelamerika enthielten eine Schildlaus-Art. Die Verbreitung des Organismus musste dann schnellstmöglich verhindert werden; die Jackfruits wurden eingefroren und zu einer Verbrennungsanlage transportiert. Die Liste der EU-Kommission erfasst 250 Quarantäneorganismen, die der Pflanzenschutzbeauftragte im Auge behalten muss; hierfür werden Schnittblumen, Holzproben, Samen, Gemüse oder Obst aus nicht-europäischen Gebieten untersucht.
Eine unkontrollierbare Schädlingsausbreitung kann durch die aktuellen klimatischen Schwankungen beschleunigt werden, wie die EFSA, Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, festhält. Andrew Ferrone, promovierter Klimatologe und Luxemburgs Vertreter beim Weltklimarat, breitet Statistiken auf einem Tisch in der ASTA-Zentrale aus. Aus der Skalierung lässt sich herauslesen, dass die Temperaturen von 1991-2020 im Vergleich zu den vorherigen Erhebungen von 1860-1990 um 1,6°C gestiegen sind. „Und diese Entwicklung wird sich in den nächsten 20 bis 30 Jahren fortsetzen, selbst wenn die globalen Treibhausgasemissionen in den nächsten Jahren drastisch gesenkt werden“, situiert Andrew Ferrone seine Statistiken. Die Diagramme zum mittleren Niederschlagswert pro Jahr zeigen ihrerseits auf den ersten Blick kaum schwankende Berechnungen. Erst beim zweiten Blick, beim Hineinzoomen auf die saisonalen Unterschiede werden die Herausforderungen deutlich: Starke Abnahme im Frühjahr, leichte Zunahme im Winter und ein Anstieg an Starkniederschlags-Ereignissen sowohl im Sommer als im Winter. „Hinzu kommt eine zunehmende Sonneneinstrahlungsdauer und Hitze, die eine erhöhte Pflanzen-Transpiration und somit eine deutlich verringerte Wasserverfügbarkeit mit sich bringt,“ ergreift Marc Weyland, Direktor der ASTA, das Wort. Und Andrew Ferrone schiebt ein weiteres Diagramm über den Tisch, das eine Zuspitzung der Dürreperioden für die Monate April bis November in den letzten drei Dekaden veranschaulicht.
Aus den Feldern von Ospern im Kanton Redingen kommt eine ähnliche Beobachtung von Bauer Tom Goedert, aber in einer weniger förmlichen Sprache: „Es fehlt vorn und hinten an Wasser.“ Der Anbaukalender würde immer häufiger zu einer Lotterie; die Schwankungen immer unvorhersehbarer: Wird es übermäßig nass oder staubtrocken? Die Temperaturunterschiede seien auch während den unterschiedlichen Jahreszeiten viel zu wechselhaft. „Du kanns dech op näischt méi verloossen“, fasst der Leindotter-, Senf- und Mariendistelöl-Produzent seine Erfahrungswerte der letzten Jahre zusammen.
Nun taucht ein neues Bild auf dem Tisch in der ASTA auf: Schematisch abgebildet ist die Verwurzelung der Luzerne, eine Futterpflanze, deren Wurzeln bis zu vier Meter tief wachsen. Damit reichen ihre Wurzeln fast fünf mal tiefer als bei herkömmlichen Arten des Grünlandes. „Die Luzerne spielt in einer ganz anderen Kategorie; das ist spektakulär“, betont der ASTA-Direktor. So ein Tiefwurzler könne der Trockenheit besser trotzen. „Ein vielfältigerer Kulturanbau an einem Standort, müsste ein Lösungsweg sein, um Extreme auszubalancieren“, meint Marc Weyland. Die ASTA untersucht ebenfalls, ob es sich nicht lohne, Futterpflanzen anzubauen, die direkt zu Beginn des Frühjahrs viel Ertrag bringen. Darüber hinaus werden Anbautests mit Lupinen oder beispielsweise mit der vornehmlich in Afrika und Südeuropa beheimateten wärme- und lichtaffinen Sorghumhirse durchgeführt. „Aber so richtig klappt es mit der Sorghumhirse noch nicht“, konzediert Philippe Thirifay, Leiter der Abteilung für Pflanzenbau der ASTA.
Am Lycee Technique Agricole wird ebenfalls mit Mischkulturenanbau rumexperimentiert und unter anderem Getreide neben Leguminosen ausgesät. Doch in Gilsdorf hält sich der Optimismus in Grenzen: „Der Handel ist nicht abgestimmt auf diese Art des Anbaus; Abnehmer verlangen gewisse Standards und Normierungen. Die Trennung von gemischten Ernten verlangt hohe Investitionen in Maschinen sowie zusätzliche Arbeit in den Betrieben – eine Belastung, die man Landwirten nicht von heute auf morgen aufbürden kann“, behauptet Guy Reiland, Direktionsmitglied am LTA.
Die zunehmende Hitze bringt jedoch nicht allen gängigen Ackerpflanzen Nachteile. „Die Trockenperioden und Winterfeuchtigkeit begünstigen das Weizenwachstum im Ösling“, so Philippe Thirifay. Guy Reiland sieht das ähnlich: „Der Ackerbau ist toleranter gegenüber Hitze als das Grünland, das schnell verdorrt. Womöglich werden sich neue Kulturen wie Soja oder Sonnenblumen in den kommenden Jahren durchsetzen. Aber auch die Hartweizenwinterung ist an mildere Winter angepasst; er könnte sich in den kommenden Jahren durchsetzen, da seine Nachfrage in der Nudel-Produktion groß ist.“
Zu hohe Temperaturen im Winter bedeuten allerdings, dass sich Blattläuse, die einen Virenbefall auslösen, tendenziell schneller ausbreiten, – diese Annahme geht dem Pflanzengesundheitsinspektor Julien Reiners durch den Kopf. Der Landwirt Tom Goedert bestätigt seinerseits diese Einschätzung: „Das Ungeziefer stirbt im Winter nicht mehr ab, meine Felder werden überrannt von Insekten. Auch die Mäuse bleiben länger aktiv und fressen immer größere Quantitäten von meinem Acker.“ Einen Rückgang der Ernteerträge lassen sich den ASTA-Statistiken allerdings nicht entnehmen: „Während in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Produktion durch bessere Pflanzenzuchtverfahren, Düngermittel und Technik erhöht wurden, sehen wir seit einigen Jahren eine schwankende Stagnation.“
Dass es zu kurz gedacht ist, sich im Klimawandel-Kontext nur über fleißig keimende Weizensamen im Ösling zu freuen, weiss man in der ASTA auch: „Wir befinden uns in einem globalen Markt, wenn Ressourcen oder Rohstoffe irgendwo knapp werden, wird das ganz sicher einen Impakt auf Luxemburg haben“, so Weyland. Ob es in den kommenden Dekaden zu Lebensmittelengpässen kommen könnte? In der ASTA bleibt man vage. Dort wo die Vorhersagen vage bleiben, besetzt häufig Hollywood die Fantasie. Millennials mögen dann an den Film Interstellar (2014) von Christopher Nolan denken. In dem Science-Fiction Blockbuster ist das Überleben der Menschheit in einer zeitlich nicht definierten Zukunft gefährdet, da durch sich ausbreitende Pflanzenkrankheiten Ernten ausfallen. Frühere Generationen erinnern sich womöglich an den Film Soylent Green. Der 1973 gedrehte Science-Fiction spielt im New York des Jahres 2022 und thematisiert eine Nahrungsmittelproduktion, die zunächst aufgrund aufgebrauchter Ressourcen rein industriell-künstliche Erzeugnisse anbietet und schließlich nicht mehr davor zurückschreckt, Leichen zu verarbeiten.
Erstaunlich, dass einem spontan nur zwei Science-Fiction-Filme einfallen, die eine Lebensmittelknappheit aufgreifen, ist doch die Menschheitsgeschichte durch Nahrungsmangel geprägt. Und auch im Jahrhundert der industriellen Landwirtschaft, dem 20. Jahrhundert, kam es in den Kriegsjahren immer wieder zum Zusammenbruch des Lebensmittel-Verteilungssystems. Im kollektiven Gedächtnis waren damals vielleicht noch die großen Hungerepidemien von 1844-1849 präsent, die durch die Kartoffelfäule verursacht wurden. In Irland starben über eine Million Menschen. Die akuteste Hungersnot herrscht derzeit in Madagaskar; mehr als eine Million Menschen leiden Hunger, da es im Süden des Landes seit Jahren nicht mehr geregnet hat.
Am ASTA-Konferenztisch schwankt das Gespräch wieder hin zu Pflanzenkrankheiten und -Schädlingen. Mittlerweile wundert sich Marc Weydert über rezent sich ausbreitende Insekten: „Den Buchsbaumzünsler, den gab es früher in unseren Breitengraden nicht. Der frisst in Versailles den Buchsbaum kahl!“. Tatsächlich soll er bereits ein Viertel des jahrhundertealten Bestandes zerstört haben. Die gebietsfremde Art wurde erstmals 2007 in Weil am Rhein dokumentiert. Mittlerweile sind europaweit 80 Prozent der Bestände betroffen. „Mit Sicherheit werden noch weitere Schädlinge und Quarantäne-Krankheiten auftreten, das ist unvermeidbar“, ist sich Weyland sicher. Philippe Thirifay vermutet, dass das Bakterium Xylella fastidiosa, das seit 2013 zuvorderst in Italien ein großflächiges Olivenbaumsterben verursacht, den hiesigen Weinreben zusetzen könnte. „Wir haben hierfür keine Antibiotika wie beim Menschen; die Wirtspflanzen sind der Krankheit ausgeliefert“, kommentiert Thirifay die Gefahr.
Die EFSA warnt ihrerseits vor dem Japan-Käfer (Popillia japonica), der als einer der 20 bedeutendsten Schadorganismen gilt. Unter den derzeitigen klimatischen Bedingungen ist eine beschleunigte Reproduktion des Käfers begünstigt. Von Maispflanzen, über Steinobstbäume, Reben und Laubbäume befällt er über 300 Arten. 2021 wurde er erstmals nördlich der Alpen in Basel gesichtet; wahrscheinlich handelt es sich um einen Hitchhiker, der sich über den Warentransport weiterverbreitet hat. Eine gewichtige Ausbreitung konnte aber bisher verhindert werden. Um eine mögliche Verbreitung des Japan-Käfers in Luxemburg zu überwachen, setzt Julien Reiners diesen Sommer wieder Lockstofffallen aus – in der Nahe vom Flughafen, dem Hafen in Mertert und Weinbaugebieten. Eigentlich müssten ihm alle Einwohner als Käfer-Jäger zur Seite stehen, denn seit 2019 hält eine EU-Verordnung fest, dass jede Person, die diesen Quarantäneorganismus sichtet, den Fund schnellstmöglich bei der ASTA meldet. Allerdings weiß außer ein paar naturkundlich Interessierten kaum jemand über die Existenz dieses Käfers Bescheid; darüber hinaus ist er leicht mit einem Gartenlaubkäfer zu verwechseln. Damit zumindest Winzer, Landwirte und im Gartenbau Tätige ihn identifizieren können, bringt die ASTA demnächst eine Broschüre in den Druck.