Der Müll schlägt zurück: In unregelmäßigen Abständen knallt im Basler Solitude-Park ein Abfalleimer, den der Künstler Eric Hattan aufgehängt hat, und spuckt leere Getränkedosen, Bananenschalen, gebrauchte Taschentücher und anderen Kehricht wieder aus. Wo ließe sich der Wegwerfgesellschaft besser der Spiegel vorhalten als im Museum Tinguely? Auf der einen Seite schwappt der Rhein, oberflächlich wieder halbwegs sauber, aber massiv mit Mikroplastik verschmutzt, dahinter dräuen die Türme der Chemieindustrie, vor dem Eingang rattert eine Skulptur von Jean Tinguely, die Schrott zu Kunst veredelt.
Die Gruppenausstellung Territories of Waste präsentiert 27 Kunstprojekte rund um das Thema Abfall. Dabei steht „Müll“ für ein breites Spektrum: von verwüsteten Landschaften, Pestiziden und Problemstoffen aller Art bis zu gelöschten digitalen Dateien. Die ältesten Arbeiten wurden ab den 1960-er Jahren von Wegbereitern der Umweltschutzbewegung geschaffen, zum Beispiel „Rauchzeichnungen“ des Multimedia-Pioniers Otto Piene, eine Mini-Kläranlage mit Goldfischbecken von Hans Haacke oder eine Flasche „Rheinwasser verschmutzt mit 10 000 Giften“ von Joseph Beuys. Das neuste Werk entsteht direkt vor Ort: Mitten im Erdgeschoss schichtet Eric Hattan alle Abfälle auf, die seit einem Jahr im Museum Tinguely anfallen, allerdings ohne nassen oder streng riechenden Biomüll.
Verschiedene Epochen und Genres werden in der Ausstellung nicht chronologisch geordnet oder säuberlich getrennt, sondern – wie auf einer Deponie – bunt durcheinander gemischt. Gemeinsam ist den Drucken, Fotos und Videos, Installationen und Performances, dass sie Unrat in den Blick nehmen, den wir sonst nicht sehen. Weil wir ihn nicht sehen wollen und diskret von darauf spezialisierten Unternehmen „entsorgen“ lassen. Nicht nur Müllsäcke und Elektroschrott landen irgendwo weit weg: Bereits vor der Produktion fallen bei der Rohstoff-Ausbeutung ebenso riesige wie giftige Abraumhalden an, gerne in abgelegenen armen Gegenden.
Viele Reststoffe können wir auch gar nicht ohne Weiteres sehen, etwa Gase, radioaktive Strahlen oder mikroskopisch kleine Partikel. Die Berliner Künstler Jan und Tim Edler entwickelten deshalb für die neue Müllverbrennung in Kopenhagen, die als die weltweit sauberste gilt, einen Schornstein-Aufsatz, der pro 0,5 Tonnen Kohlendioxid jeweils einen großen, weithin sichtbaren Ring aus Rauch in die Luft paffen soll. Bisher wurde dieses Projekt aber nicht verwirklicht. Vielleicht will man lieber nicht so genau wissen, dass die spektakuläre Anlage, 85 Meter hoch und mit schicker Ski-Piste auf dem begrünten Dach, nach wie vor große Mengen CO2 ausstößt.
Der Umgang mit Schmutz und Dreck wird oft Angehörigen schlecht bezahlter, ausgegrenzter Kasten überlassen. Die pakistanische Dokumentarfilm-Macherin Hira Nabi hat den Strand des Dorfes Gadani besucht, wo Tausende Tagelöhner mühselig Schiffe aus aller Welt abwracken: Asbest und Schwermetalle, Rost, scharfe Kanten, keine passende Ausrüstung, ständige Lebensgefahr. Es kommt dort schon mal vor, dass ein ausgemusterter Supertanker beim Zerlegen explodiert. Auch anderswo gehören Müllmänner und Putzfrauen nicht unbedingt zu den Gewinnern der Globalisierung. Als Künstlerin-in-Residence der Stadtreinigung hat Mierle Laderman Ukeles in New York alle Beschäftigten der Müllabfuhr an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz besucht und sich bei ihnen bedankt: Um 8 500 Hände zu schütteln, brauchte sie elf Monate.
Im Impressum der Basler Ausstellung werden vom Museumsdirektor bis zu den Reinigungskräften alle Beteiligten namentlich aufgeführt. Zum Begleitprogramm gehören wissenschaftliche Vorträge und „Blasphemic Reading Soirées“, aber auch Führungen von städtischen Müllwerkern, die zum Beispiel auf Türkisch „vor den Kunstwerken zum Nachdenken einladen“. Überhaupt will das Museum Tinguely mit gutem Beispiel vorangehen: Der Katalog ist papiersparend gedruckt und auch gratis als PDF im Internet zu haben. Die Sammlung des Hauses spielt allerdings bei der Verringerung des ökologischen Fußabdrucks nicht immer mit: Die frisch aktivierte Maschine „Rotozaza II“, anno 1967 von Jean Tinguely zusammengeschweißt, macht nichts anderes als am laufenden Band Bierflaschen zu zertrümmern.
Recycling oder gar Upcycling ist überraschenderweise kein Thema der Ausstellung. Hoffnung macht vielleicht die polnische Künstlerin Diana Lelonek, die „humanotische Naturformen“ fotografiert: Abfälle, die von Pflanzen und Pilzen überwuchert, also quasi von der Natur zurückerobert werden. Traurig schön sind auch die Skulpturen von Pinar Yoldas aus San Diego, die wie biologische Präparate in großen Gläsern schwimmen: Fantasiewesen, die Kunststoffe verdauen können. Wenn in der Plastiksuppe der Ozeane tatsächlich neues Leben entsteht, müsste es jedenfalls gut mit unserem alten Müll zurechtkommen.