Nachdem die vorige Koalition Jahre für ein neues Krankenhausgesetz brauchte, muss sich die nächste wieder mit den Spitälern befassen

Wettbewerb um Dienste und Ärzte

Im Operationssaal eines Krankenhauses wird eine Infusion installiert
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 16.11.2018

Nur ein paar Wochen, nachdem am 1. April das neue Spitalgesetz in Kraft getreten war, eilte LSAP-Gesundheitsministerin Lydia Mutsch zur CNS: Könnte die Kasse bitte bezahlen, was Ärzte aus dem CHL und den Hôpitaux Robert Schuman ihr an Rechnungen geschickt hatten, Rechnungen über
80 Euro pro Stunde?

Das neue Gesetz hat für die einzelnen Klinik-Fachdienste Normen eingeführt. Die meisten sollen in Ausführungsbestimmungen festgelegt werden, die noch nicht existieren, aber einige stehen schon im Gesetz. Darunter die, wonach in Entbindungsstationen, die pro Jahr mehr als 1 500 Kindern auf die Welt verhelfen, rund um die Uhr je ein Gynäkologe, ein Anästhesist und ein Kinderarzt „sur place“ in Bereitschaft sein müssen. So groß sind die Maternités im CHL und der Bohler-Klinik der Schuman-Gruppe. In den beiden kleineren in Ettelbrück und Esch/Alzette reicht es dagegen, wenn die drei Ärzte sich nachts und an Wochenenden daheim in Rufbereitschaft halten. Um zu unterstreichen, wie ernst das gemeint ist mit allen Bereitschaftsdiensten, gelangte ins Spitalgesetz außerdem ein Artikel, der den Klinikdirektionen bei Androhung strafrechtlicher Folgen aufträgt, für die Organisa-
tion der Dienste zu sorgen, und den Ärzten, daran teilzunehmen. Bei Zuwiderhandlung können neben Geldstrafen bis zu sechs Monate Gefängnis drohen.

Ziel der Ministerin war es, den Spitälern „zum ersten Mal“ anhand „nachvollziehbarer Normen, Richtwerte und Kriterien“ zu sagen, was sie „erfüllen müssen, wenn sie bestimmte Behandlungen anbieten wollen“. Würden sie nicht erfüllt, „dürfte das betreffende Angebot nicht mehr bestehen bleiben“, hatte Mutsch vor knapp drei Jahren erklärt (d’Land, 8.1.2016). Die neuen Vorschriften hatte das Ministerium aus im Ausland bestehenden Normen gewonnen; die für die Maternités übernahm es aus Frankreich.

Dass es Aufregung geben würde, wenn den Spitälern „zum ersten Mal“ klar vorgeschrieben würde, wofür sie sorgen müssten, damit ein Angebot bestehen bleiben kann, war absehbar. Hinzu kommt aber, dass die allermeisten von ihnen mit freiberuflichen Medizinern funktionieren, die als Belegärzte an der Klinik akkreditiert sind. Müssen sie nachts oder an Wochenenden „sur place“ in Bereitschaft sein, verdienen sie nur etwas, wenn sie tatsächlich Behandlungen an Patienten vornehmen. Und können sie nicht gut schlafen wegen des Bereitschaftsdienstes, sind sie am Tag danach womöglich nicht fit genug für die reguläre Arbeit. Für festangestellte Ärzte, wie am CHL, sind Bereitschaftsdienste und Ruhezeiten im Arbeitsvertrag geregelt. Belegärzte dagegen müssen hoffen, dass für sie die Dienstplanung unter den ebenfalls freiberuflichen Kolleginnen und Kollegen aufgeht.

Verwunderlich war es deshalb nicht, dass der Gesundheitsministerin Rechnungen auf den Schreibtisch flatterten. Die Begleitumstände waren nicht ohne Dramatik: „Als ich las, dass ich strafrechtlich verantwortlich bin, musste ich unseren Belegärzten den Präsenz-Dienst vorschreiben“, sagt Claude Schummer, Generaldirektor der Schuman-Spitäler. Worauf die Mediziner die Rechnungen zunächst an ihn schickten; er reichte sie an die Ministerin weiter: „Denn für die Notärzte im Samu, die Allgemeinmediziner in den Maisons médicales und die Kinderärzte in den Maisons médicales pédiatriques zahlt die Staatskasse.“ Doch Lydia Mutsch hatte dafür auf die Schnelle kein Budget, und bis die CNS entschied, „ausnahmsweise und nur für dieses Jahr“ einzuspringen, vergingen ein paar Wochen. In der Zwischenzeit schickten manche Schuman-Ärzte ihrem Generaldirektor Zahlungserinnerungen sogar per Gerichtsvollzieher.

Ohne dass die Ministerin das ausdrücklich gewollt hätte, hat das neue Krankenhausgesetz mit seinen Normen, von denen noch nicht alle in Kraft sind, eine Auseinandersetzung über die Krankenhausmedizin überhaupt angestoßen – über deren Angebot, aber auch über die Ärzte. Schuman-Chef Schummer fragt: „Wenn Belegärzte einen Stundenlohn bekommen, in welchem Film sind wir dann? Ist das noch liberale Medizin oder ist das Salariat?“

Die Frage ist nicht bloß rhetorisch. Lydia Mutsch erhielt auch aus anderen Spitälern Rechnungen. Schon Anfang des Jahres verlangten Anästhesisten des Centre hospitalier du Nord (CHDN) 50 000 Euro im Monat für die Rufbereitschaft für die Ettelbrücker Maternité. Im Centre hospitalier Emile Mayrisch (Chem) wiederum wollten Gynäkologen 500 Euro pro Tag für Bereitschaftsdienste an Wochentagen für die Escher Maternité und 1 000 Euro für Wochenenden und Feiertage. Mutsch lehnte ab: Die Maternités in Esch und Ettelbrück seien kleinere. Dagegen fließen ans CHL nun auch 80 Euro die Stunde pro Arzt, der präsent ist, ob festangestellt wie alle Pädiater und Anästhesisten oder Belegarzt, wie manche Gynäkologen: „Wir hatten schon in den letzten Jahren nach und nach Präsenzdienste eingeführt und nicht auf eine Kostenübernahme gewartet“, sagt CHL-Generaldirektor Romain Nati. Die freien Gynäkologen hätten sich „solidarisch gezeigt“ und mitgemacht. „Die Entgeltfrage ließen wir zunächst offen, um der nationalen Diskussion nicht vorzugreifen.“

Doch dass nun zwischen den Maternités unterschieden wird, führt zu Verwicklungen: CHDN-Generaldirektor Hans-Joachim Schubert fürchtet einen „Wettbewerbsnachteil“ für die Ettelbrücker Maternité mit ihren 800 Geburten im Jahr, „wenn sich unter den Schwangeren herumspricht, dass in der Hauptstadt Ärzte präsent sind, bei uns dagegen nur in Rufbereitschaft“. Hansjörg Reimer, Generaldirektor des Chem, spricht ebenfalls von Wettbewerb: „Wir haben 1 000 Geburten im Jahr. Wenn 1 500 der Maßstab ist, werden wir natürlich alles tun, um ihn zu erreichen.“ Das Angebot an Geburtshilfe hänge zusammen mit anderen Angeboten für Kinder: „Wir nehmen jährlich 1 100 Operationen an unter 14-Jährigen vor, das sourcen wir bestimmt nicht aus!“ Doch wer Kinder behandelt, braucht unter anderem Kinderärzte, und um ihnen genügend Betätigungsfelder zu geben, bedarf es auch einer Entbindungsstation.

Vermutlich aber geraten die Kliniken noch mehr unter Druck, Ärzte für Bereitschaftsdienste zu bezahlen. Ganz liberal waren auch vor dem neuen Gesetz nicht alle Belegärzte: Für Urgentisten in den Notaufnahmen fließt ein regelrechter Stundenlohn, Anästhesisten erhalten ihre Präsenz für den Samu, die dann auch die für Intensivstationen gilt, ebenfalls vergütet. Und nicht nur durch einen organisatorischen, sondern auch einen pekuniären Kraftakt konnte die Pädiatrie-Krise in Ettelbrück und Esch gelöst werden. In CHDN und Chem hatten 2013 beziehungsweise 2014 die dort akkreditierten Pädiater ihre Verträge gekündigt, weil zu wenig Ärzte sich zu viele Bereitschaftsdienste teilen mussten. Die von der Regierung improvisierte Lösung schuf unter anderem Maisons médicales pédiatriques, an denen es ein Pauschalentgelt gibt. Das Chem will nun noch weiter gehen, um für Kinderärzte attraktiv zu bleiben: „Wir garantieren ihnen 1 500 Euro, selbst wenn sie während eines Bereitschaftsdienstes keine Patienten behandeln. Behandeln sie Patienten, verdienen sie das obenauf“, sagt Hansjörg Reimer.

Unwillkürlich fragt sich, ob das abgesehen vom CHL an den Spitälern vorherrschende Belegarztprinzip noch angemessen ist und Salariats-Medizin nicht besser wäre. Zumindest Rufbereitschaftsdienst unentgetlich zu leisten, ist eigentlich als Gegenleistung dafür gedacht, dass freiberufliche Ärzte in den Kliniken Technik und Personal kostenlos nutzen. Doch Ärzteknappheit für die Dienste war schon vor der stark mediatisierten Pädiatrie-Krise ein Thema. Dass das neue Spitalgesetz einen nationalen Fachdienst für Ophtalmologie vorsieht – der noch vergeben werden muss –, hat auch damit zu tun, dass nicht genug Augenärzte an Spitälern akkreditiert werden wollen: In ihren Praxen haben sie bereits genug zu tun. „Im Grunde gilt das für fast jede Disziplin, in der Apparatemedizin auch in Arztpraxen möglich ist“, sagt Reimer. „Kardiologen, Pneumologen und Neurologen gehen an ein Krankenhaus nur, wenn sie Akutmedizin lieben.“

Das könnte demnächst auch auf Radiologen zutreffen: Am Montag werden vor dem Verwaltungsgericht die Plädoyers in Sachen IRM-Liberalisierung gehalten. Ein Radiologe aus Luxemburg-Stadt möchte im Ban de Gasperich ein Diagnosezentrum einrichten und dort auch Magnetresonanz-Tomografien anbieten. Mit seiner Klage will er erreichen, dass der Einsatz der IRM-Apparate nicht länger auf Spitäler beschränkt bleibt. Bei der CNS und in den Klinikdirektionen wird es für nicht unwahrscheinlich gehalten, dass der Radiologe Recht bekommt.

„Schon möglich, dass Luxemburg eines Tages nicht um mehr Salariats-Medizin umhin kommt, im Ausland ist das nicht anders“, meint CHDN-Chef Schubert. Eine „Glaubensfrage“ will er daraus aber nicht machen. Weil sie auch eine politische ist, geht auch der CHL-Generaldirektor nicht etwa so weit, „sein“ System zum besseren zu erklären. Was die Bereitschaftsdienste betrifft, meint Romain Nati, stelle sich aber „die Frage, was der Gesellschaft die Zeit wert ist, die ein Arzt im Spital verbringt“. Präsenzdienste gehörten auf jeden Fall entgolten. Der Krankenhausverband FHL hatte 2017 während der Diskussion des Spitalgesetzentwurfs vorgeschlagen, Bereitschaftsdienste generell zu vergüten.

Der Ärzteverband AMMD sieht sich angesichts dieser Probleme in seinen Warnungen vor einem Ärztemangel bestätigt, die er vor den Wahlen machte. „Wir haben Lydia Mutsch bestimmt zwanzig Mal gesagt, die Dienste-Anforderungen nicht mit dem Strafrecht zu verbinden“, sagt AMMD-Präsident Alain Schmit. Laut neuesten CNS-Daten liege in Luxemburg die Medizinerdichte zurzeit schon bei nur 2,5 Ärzten auf tausend Einwohner. „Deutschland kommt auf vier Ärzte pro tausend Einwohner und behauptet, nicht genug zu haben.“ Ein Salariat würde das Problem verschärfen: „Die Spitäler müssten dann Reserven für Urlaube und Krankschreibungen vorhalten.“ So sieht das auch der Chem-Generaldirektor: „Das wäre zwei- bis dreimal teurer als Belegarztmedizin.“ Für Belegärzte attraktiv zu sein, sei aber nicht nur eine Frage des Geldes. „Dazu gehört auch, als Betrieb ein intellektuell interessantes Projekt zu haben, oder freiberuflichen Ärztinnen und Ärzten entgegen zu kommen, wenn sie nach der Geburt eines Kindes ein Jahr aussetzen wollen.“

Die AMMD schlägt vor, statt mit freiberuflichen Ärzten individuell könnten die Kliniken Verträge mit Ärztegruppen abschließen. Dann entschiede die Gruppe, welcher Arzt wofür ins Spital abgestellt wird, sie würde die Einnahmen intern aufteilen und auch die Dienstplanung übernehmen. „Die Kapazitäten würden optimal genutzt“, sagt Alain Schmit.

Hansjörg Reimer kann sich dafür nicht wirklich erwärmen: „Es würde funktionieren, wenn ich mehrere Gruppen derselben Fachrichtung an die Klinik binden könnte. In einer allein wären die Ärzte eher der Gruppe als dem Spital gegenüber loyal, das ist riskant.“ So dass sich nun, da das neue Gesetz in Kraft ist, die Frage nach der Ausrichtung der Spitäler und der Rolle der Klinikärzte stellt. Mit der Frage nach Struktur und Angebot des Gesundheitswesens überhaupt, auch außerhalb der Kliniken. Eigentlich hatten DP, LSAP und Grüne das schon in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 zu klären angekündigt.

Peter Feist
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