Die Gleichstellungsministerin Taina Bofferding will Frauen und Männer fördern. Die UN ist skeptisch, was der genderneutrale Ansatz bringt

Feminismus für alle?

d'Lëtzebuerger Land du 20.12.2019

Die einen zählen per Adventskalender die Tage bis zum Heiligen Abend, die anderen lassen einen Countdown mit Sekundenanzeige laufen; gleich zwei frauenpolitische Aktionen thematisieren die ungleich verteilte Haus- und Fürsorgearbeit und könnten doch unterschiedlicher nicht sein.

Da ist die aktuelle Sensibilisierungskampagne der Ministerin Taina Bofferding (LSAP). Mit 24 professionell produzierten Videoclips wirbt ihr Ministerium für die Gleichstellung von Frauen und Männern für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Im modischen Englisch heißt das Equal Care oder Work-Life-Balance, so als schlössen sich Beruf und Leben per se aus. Zu sehen sind hinter virtuellen Türchen 24 Porträts von Frauen und einigen Männern, die auf Mausklick erzählen, wie gut sich ihr Job mit dem Privatleben vereinbaren lässt: Es sind Bankerinnen darunter, Offizierinnen, Leiterinnen von Personalabteilungen, Lehrerinnen ... Allesamt beruflich ziemlich erfolgreich und weiß. Die Auserkoren arbeiten in Unternehmen, die nach Ansicht der Ministerin Verdienste in der Vereinbarkeit haben. Ob und wie wirksam ihre Lösungen wirklich sind, erfährt man in den anderthalbminütigen Clips nicht. Als darin Manou Hoss, Managing Partnerin bei Elvinger Hoss Prussen, zu Wort kommt, wird die Wahl auf Twitter als „zynisch“ kommentiert. D’Land hatte 2017 über die hohe Belastung und prekären Arbeitsbedingungen junger AnwältInnen in führenden Anwaltsfirmen berichtet.

Die Initiative für den Frauenstreik am 7. März 2020 (der 8. März ist ein Sonntag) geht nicht vom Gleichstellungsministerium aus, sondern kommt aus der Schweiz. Dort hatten am 14. Juni zehntausende Frauen ganz oder teilweise die Arbeit niedergelegt, um für gerechte Löhne, bessere Bedingungen für Familien und ein Ende sexistischer Gewalt zu demonstrieren. Bereits 1991 waren Hunderttausende Schweizerinnnen auf die Straße gegangen, um für Gleichberechtigung zu kämpfen. Weil sich seitdem zu wenig getan hat, wurde nun erneut zum Streik aufgerufen.

Frauenstreik am 7. März An der Idee hat sich die Plattform Internationaler Frauentag Jif inspiriert, die unter www.fraestreik.lu online mobilisiert. Aus der Plattform, die sich aus dem Frauenrat, Cid Fraen an Gender, dem OGBL, politischen Parteien und anderen Gruppen zusammensetzt, organisiert ein Team die Arbeitsniederlegung. Es ruft dazu auf, Streikkomitees in Betrieben und im Freundeskreis zu bilden, um gegen ungleich verteilte Fürsorgearbeit zu protestieren und es stellt gegen einen Solidaritätsbeitrag Poster, Sticker und mehr zur Verfügung. Von den 10 000 Euro, die per Crowdfunding, über Spenden, gesammelt werden sollen, wurden bisher 1 475 Euro (Stand: 19.12.) zugesagt. Ganz auf staatliche Unterstützung verzichten die Initiatorinnen nicht; sie haben Arbeitsminister Dan Kersch (LSAP) aufgefordert, ihren Aufruf an die Arbeitgeber, Streikende für 15 Minuten freizustellen, zu unterstützen. Bisher ist von der Mobilisierung nicht sehr viel zu sehen.

Genügend Gründe zu streiken hätten die Frauen (und sympathisierende Männer): Im Gender Equality Index nimmt Luxemburg mit 69,2 Punkten von 100 einen mäßigen zehnten Platz ein und liegt nur knapp über dem EU-Durchschnitt. Die Lohnschere klafft hier zwar nicht so auf wie in anderen EU-Ländern, aber laut Statec verdienten 2018 Frauen im Dienstleistungssektor 54 189 Euro brutto jährlich gegenüber 69 552 Euro der männlichen Kollegen. Im Baugewerbe standen sie mit 46 302 Euro gegenüber 42 589 Euro bei den Männern (2018) besser da. Die Zahlen beziehen sich auf Vollzeitjobs; in Luxemburg arbeiten viele Frauen Teilzeit. Bofferdings Parteikollegin und Vorgängerin Lydia Mutsch brachte 2016 ein Gesetz auf die Schiene, das Lohndiskriminierung verbietet, bislang wurde aber noch keine solche Benachteiligung vor Gericht erfolgreich nachgewiesen.

Die Umsetzung der Istanbuler Konvention gegen Gewalt gegen Frauen in nationales Recht 2017 wurde vom damaligen Justizminister Félix Braz (déi Gréng) hochgelobt, dabei ist Luxemburg Nachzügler und erfolgte die Umsetzung halbherzig, ein eigener Straftatbestand für psychische Gewalt wie in Frankreich fehlt hierzulande; Frauenorganisationen bemängeln zudem Lücken im Wegweisungsgesetz. Eine systematische Auswertung von tödlicher Beziehungsgewalt wie in England fehlt in Luxemburg weiterhin.

Das ist eine Konstante: Fortschritte bei der Gleichstellung fallen in Luxemburg langsamer aus als anderswo in Europa. Auch der Cedaw-Länderbericht der UN vom März 2018 stellte Luxemburg ein durchwachsenes Zeugnis im Bemühen um Gleichstellung aus. Die Evaluation bezog sich auf die Jahre 2015 bis 2018; das war vor Bofferdings Amtsantritt, aber die Kritik ist zu grundsätzlich, als dass sie sich auf die Vorgängerinnen abwälzen ließe: Laut Cedaw-Komitee wird nicht genügend ersichtlich, wie die Regierung bestehende strukturelle Diskriminierungen von Frauen abbauen will.

Der letzte Aktionsplan lief dieses Jahr aus, der neue lässt auf sich warten. Erste Beratungen haben stattgefunden; Bofferding will vor allem in den Bereichen Erziehung, Kampf gegen Stereotype und – als Innenministerin – bei den Gemeinden ansetzen. Die Blau-Rot-Grüne-Koalition hatte im ersten Schwung 2014 versprochen, bei zentralen gesellschaftlichen Fragen klassische Ressortgrenzen zu sprengen und Synergien zu bündeln. Das Schneckentempo allerdings, in dem beispielsweise die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vorankommt, ebenfalls eine ressortübergreifende Angelegenheit, zeigt, wie wenig das allem Team-player- und Kapitänsgerede zum Trotz gelungen ist.

Kapitänin gesucht Bislang spricht wenig dafür, dass sich das unter Taina Bofferding ändert. In Interviews zum Amtsantritt betonte die LSAP-Politikerin, die sich selbst Feministin nennt, dass sie die Gleichstellung voranbringen will, aber wo ansetzen? Die Ministerin hat wohl neue Leute eingestellt; die wenigsten jedoch verfügen über Berufserfahrung in der Gleichstellungspolitik. Das führte zu so Anfängerfehlern, dass Einladungen zu frauenbezogenen Anlässen nur in der männlichen Form geschrieben waren. Inzwischen ist die Sprache inklusiver geworden, aber die Advents-Werbevideos zeugen weiter von peinlichen Blindstellen; Arbeiterinnen kommen nicht vor, Frauen anderer Hautfarbe ebensowenig. Einer ehemaligen Gewerkschafterin darf das nicht passieren. Und viel mehr als PR-Aktionen waren bisher von der Ministerin nicht zu sehen, die als einzige 365 Ministerinnen-Tage auf Facebook in Bildern festhielt. Die Initiative Rock de Rack in der Rockhal gegen Stereotype, mit vielen Gadgets und knallig türkisen Sweatshirts poppig inszeniert, tourt zwar durch die Schulen. Aber inhaltliche Workshops und Info-Tafeln kommen von Organisationen, wie dem Jugendparlament, dem Cid Fraen an Gender oder der Menschenrechtskommission.

Dafür versucht Bofferding, verstärkt Männer ins Boot zu holen. Im Cedaw-Bericht klingen indes deutliche Zweifel an, ob dieser „genderneutrale Ansatz“, der sich zugleich an Frauen und Männer richtet und für den die Regierung und die Ministerin stehen, mehr Früchte tragen wird. Um konkrete Effekte zu messen, ist es zu früh. Aber nachdem die von Schwarz-Rot eingeführten Gender-Kompetenzzellen in den Ministerien abgeschafft und Schulungen für Beamte in Sachen Gleichstellungspolitik nur noch freiwillig und nicht mehr obligatorisch sind, ist unklar, was an ihre Stelle treten und wer die Initiativen vernetzen und vorantreiben soll.

Inzwischen steht der frauenfördernde Ansatz, wie er 1995 in großer Aufbruchsstimmung auf der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking beschlossen wurde, und der darauf aufbauende Gender-Mainstreaming-Ansatz der EU selbst unter Druck. Nicht nur rechtspopulistische Parteien, wie die ADR, stellen ihn in Frage. Auch der Feminismusbegriff der AktivistInnen wandelt sich; der 1980-er-Frauenbewegung folgen jüngere Feministinnen. Mit neuen Gesichtern kommen andere Akzente und Aktionsformen. Der Cid femmes heißt heute inklusiv Cid Fraen an Gender. Laut der politischen Leiterin Isabelle Schmoetten will sich das Zentrum nicht nur namentlich öffnen, sondern setzt verstärkt auf intersektionale Zusammenarbeit. Schmoetten findet den neuen Namen des Ministeriums „gut“; noch besser hätte sie „Ministerium für Feminismus und soziale Gerechtigkeit“ gefunden, sagte sie in einem Interview mit der woxx. Mit neuen Schwerpunktsetzungen und Bündnissen versuchen sie und ihr Team, ausgetrampelte Wege zu verlassen. Stattdessen gibt es Anti-Rassismus-Workshops, Konferenzen über die Ausbeutung weiblichen Dienstpersonals, eine Arbeitsgruppe zu Fridden an Gender. Der Cid unterstützt auch den Frauenstreik.

Der Event-Feminismus boomt Derweil gibt es noch einen anderen Trend. Aktionen wie die Orange Week gegen Gewalt gegen Frauen, angeschoben von den Vereinten Nationen, werden mit viel Ressourcen und Pomp beworben. Am Protestmarsch Ende November beteiligten sich Frauenorganisationen wie der Cid Fraen an Gender oder der Frauenrat CNFL, aber auch der Cigale. Und zunehmend etablierte Politiker – wenn sie den Marsch bildlich nicht gar dominieren. Dieses Jahr stand, nein saß (mit Knieverletzung im Rollstuhl) die Grande-Duchesse Maria Teresa mit auf der Bühne, die sich mit ihrer Initiative Stand Speak Rise up für im Krieg vergewaltigte Frauen einsetzt. Bloß: Wie passt das Engagement mit frauenverachtenden Traditionen katholisch geprägter Adelsdynastien und erzkonservativen Sexualvorstellungen (nicht zuletzt in der Abtreibungsfrage) zusammen? Dass auf der Abschlusskundgebung in erster Linie das politische Establishment das Mikro ergriff und später Selfies publikumswirksam in sozialen Netzwerken veröffentlichte, schien niemanden zu stören. Jedenfalls protestierte keine/r laut. Dieselbe kulturelle Aneignung geschieht mit dem schwul-lesbischen Gay mat: Kaum ein Politiker, der nicht im Juli nach Esch eilte, um auf dem Abschlussfoto abgelichtet zu werden.

Ob das Escher Theater mit dem Kollektiv ILL, das Institut Pierre Werner mit feministischen Autorinnen, das jährliche Kulturfest im Neumünster zum 8. März – der Event-Feminismus boomt. Eine kritische Auseinandersetzung darüber, inwiefern er der Sache der Frauen (oder der Männer?) dient oder ob er nicht den Fortschritt bremst, weil er Ressourcen bindet, die anderswo besser eingesetzt werden könnten, unterbleibt, oder sie wird nicht öffentlich geführt. In anderen Städten grenzen sich immer mehr Gruppen entnervt von Groß-Paraden und Konfetti-Konferenzen ab, weil sie sich vereinnahmt spüren und nicht als Alibi für Pseudopolitik mit We-are-Family-Bildern herhalten wollen.

Hierzulande fällt das schwer. Auch der genderneutrale Ansatz der Regierung wird kaum in Frage gestellt, dabei ist er den Beweis bisher schuldig geblieben, dass er die Barrieren schneller aufbricht, die Frauen daran hindern, denselbem Einfluss zu haben wie Männer und mit ihnen gleichgestellt zu sein. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Feminismus in Luxemburg maßgeblich von Institutionen unterhalten und getragen wird. Wesentliche Akteure waren und sind Cid, Frauenrat und Jif. Viele Aktionen würde es so nicht geben, würden die institutionalisierten Feministinnen nicht in ihren Netzwerken eifrig die Trommel rühren und Geld, Zeit und Personal zur Verfügung stellen. Darin ändert auch der Streit im Frauenrat nichts, der diese Woche für mediale Unterhaltung sorgte (siehe S. 4). Die Verlockung, sich irgendwann in die Arme des subventionierten Feminismus zu werfen, ist groß. Nicht einmal die Jugend scheint dagegen gefeit: Voix de jeunes femmes wurde als Initiative des staatlich subventionierten Frauenrats gegründet. Sie unterstützt über die Plattform Jif den Frauenstreik.

Ines Kurschat
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