Durch die Abspaltung der Banque internationale à Luxembourg von der Dexia-Gruppe versucht Luxemburg einen Fall Fortis bis zu vermeiden

Preemptive strike

d'Lëtzebuerger Land vom 07.10.2011

Fast auf den Tage genau drei Jahre, nachdem Belgien, Frankreich und Luxemburg die Bankengruppe Dexia auf dem damaligen Höhepunkt der Finanzkrise mit einer Kapitalerhöhung und staatlichen Garantien gestützt hatten, ist es soweit: Dexia wird auseinander- und umgebaut. 

Am Donnerstag ergriff Finanzminister Luc Frieden (CSV) die Flucht nach vorn und kündigte an, man habe einen internationalen und finanzkräftigen Investor gefunden, der bereit sei, einen Mehrheitsanteil an Dexia-Bil zu übernehmen. Die Verhandlungen seien im fortgeschrittenen Stadium und könnten möglicherweise noch diesen Monat abgeschlossen werden. 

Der Investor wolle seine Identität zum jetzigen Zeitpunkt nicht preisgeben, sagte Frieden. Worte, die bekannt klangen, denn wortgemäß hatte man  diese Aussage schon gehört, als Qatar Airways über den Einstieg bei der Cargolux verhandelte. Da Frieden am Donnerstag die Diversifizierungsmöglichkeiten hervorhob, welche die Transaktion dem Finanzplatz Luxemburg eröffnen würden – seit Jahren gibt es Bemühungen, die islamischen Finanzaktivitäten am Standort Luxemburg auszubauen –, klang das Gerücht gar nicht abwegig, beim finanzkräftigen Investor handele es sich um des Staatsfonds des Wüstenstaats Qatar, die Qatar Investment Authority (QIA), die für 900 Millionen Euro die Mehrheit bei Dexia-Bil erwerben wolle.

Der Luxemburger Staat selbst werde einen Minderheitsanteil am Kapital der Bil übernehmen, kündigte Frieden am Donnerstag an. Da er gleichzeitig erklärte, der Staat werde alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Kundeneinlagen in jeder Situation zu sichern, kann man davon ausgehen, dass die Panik hinter den Kulissen doch etwas größer ist, als der Finanzminister noch Anfang der Woche beteuerte, als er meinte, man sei „nicht in einer Paniksituation“. Doch da hatte er auch noch gemeint, der Luxemburger Staat habe weder etwas zu verkaufen (weil er, anders als Belgien und Frankreich, keine Dexia-Beteiligung hat), noch etwas zu kaufen. 

Der Luxemburger Regierung dürfte es derzeit vor allem darum gehen, Fakten zu schaffen, um eine Situation wie 2008 zu vermeiden. Da hatten Belgien, Luxemburg und die Niederlande die Bankengruppe Fortis gestützt. Doch nach wenigen Tagen entschied sich die niederländische Regierung für eine unilaterale Nationalisierung der holländischen Aktivitäten. In der Folge musste Belgien quasi allein das auf Gruppenebene angerichtete finanzielle Disaster schultern. Luxemburg war mit zwei Milliarden Euro bei der in BGL umgetauften Fortis Banque Luxembourg eingestiegen, damit sie zusammen mit Fortis Banque Belgique an BNP Paribas  verkauft werden konnte. 

Dass Frieden sich beeilt, seine Schäfchen ins Trockene bringen, lässt sich auch daran erkennen, dass er entschied, eine Ankündigung zu machen, noch bevor die belgische und die französische Regierung sich auf eine Lösung für den restlichen Dexia-Konzern einigen konnten. Das war vor drei Jahren anders. Damals informierten die jeweiligen Regierungen immer zeitgleich über die neuesten Entwicklungen. Jetzt ist auch die belgische Regierung bemüht, ein Fortis bis zu vermeiden. Kurz nachdem Frieden den Verkauf der Bil ankündigte, ging das Gerücht um, Belgien wolle die Dexia Banque Belgique nationalisieren. An der Börse stürzten die Dexia-Aktien daraufhin um über 17 Prozent auf 85 Cent. Belgien wolle nicht allein die Zeche zahlen, ließ die belgische Regierung am Donnerstag verlautbaren. Frankreich, das seinerseits die Übernahme des Kommunalfinanzierers Dexma durch die staatlichen Banken Caisse de Dépôts und Banque postale plant, soll eine Bad Bank mitfinanzieren, in der risikobehaftete Wertpapiere isoliert werden könnten. 

Dass die Banque internationale à Luxembourg den Zusatznamen Dexia bald wird ablegen können, empfinden sicherlich viele ihrer Mitarbeiter als eine Befreiung. Wie wahrscheinlich auch das Management. Denn seit der Bankenrettung 2008 hatte auch der damalige Vorstandschef Frank Wagener nur mit Mühe die Frustration darüber verbergen können, dass der profitablen Bil Sparmaßnahmen aufgezwängt wurden, weil die Schwesterbanken in Belgien, aber vor allem in Frankreich, ihre Probleme nicht in den Griff bekamen. 

Als erstes Opfer der griechischen Staatsschuldenkrise wurde Dexia vielerorts bezeichnet. Die Angst war unter anderem bei der europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA groß, dass Dexia nur der erste Dominostein sei, der das europäische Bankensystem zum Kippen bringen könnte. So dass, nur wenige Wochen nachdem Dexia, wie die Mehrheit der anderen getesteten Kreditinstitute, den Stresstest bestanden hat und europäische Entscheidungsträger die neue Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, mehr oder weniger laut beschimpften, weil sie eine Rekapitalisierung der europäischen Banken angemahnt hatte, die gleichen Entscheidungsträger nach einer Gesamtlösung zur Kapitalaufstockung in EU-Bankensystem rufen. 

Dass Dexia die europäische Schuldenkrise nicht übersteht, liegt aber daran, dass die Bank drei Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise immer noch mit den Altlasten kämpft. Da hilft es nicht, wenn das Geschäftsmodell auf die Finanzierung öffentlicher Kreditnehmer, wie Kommunen, Städte und Staaten, ausgerichtet ist. Im zweiten Quartal 2011 hatte die Gruppe vier Milliarden Euro Verlust gemeldet. Die Bank gehört zu den größten Kreditgebern Griechenlands außerhalb des Landes, ist mit 3,8 Milliarden Euro in griechischen Staatsanleihen engagiert und mit einer Milliarde zusätzlich in der hellenischen Wirtschaft. Deswegen schrieb sie entsprechend einem Wertabschlag von 21 Prozent im ersten Semester 377 Millionen Euro auf den Griechenlandanleihen ab, nachdem sich die europäischen Staats- und Regierungschefs im Juli auf die Beteiligung des Privatsektors an einem Schuldenschnitt für Griechenland geeinigt hatten. 

Doch am späten Montagabend sprach der Vorsitzende der Eurogruppe Jean-Claude Juncker nach stundenlangen Debatten unter Eurofinanzminister von „technischen Anpassungen“ in Sachen Privatsektorbeteiligung, was in europäischen Bankenkreisen neue Ängste auslöste, mit einem Schnitt von 21 Prozent könnte es nicht getan sein und es könnten noch höhere Verluste drohen. 

Doch da liefen die Verhandlungen um den Umbau der Dexia bereits. Am Wochenende, so Finanzminister Luc Frieden (CSV), hatte er schon intensive Verhandlungen geführt. Denn in den vergangenen Wochen hatte die Bankengruppe zunehmend Schwierigkeiten, ihre kurzfristigen Refinanzierungsanforderungen zu decken. Seit dem Sommer waren die Depots bei den Zentralbanken angestiegen, ein Hinweis darauf, dass sich eine Kreditklemme anbahnte. Ein Umfeld, in dem besonders die Dexia mit ihren großen Anleihe-Portfolios in Europa (über 20 Milliarden risikobehaftete Euro-Staatsanleihen) und den USA, anderen Banken nicht unbedingt als vertrauenswürdigster Kreditnehmer gegolten haben dürfte. Ende Juni betrug das kurzfristige Finanzierungsbedürfnis der Dexia-Gruppe 96 Milliarden Euro, wobei die Bank noch über Papiere im Wert von 20 Milliarden Euro verfügte, die bei der Europäischen Zentralbank (EZB) als sicherheitsfähig eingestuft werden und bei Refinanzierungsoperation als Pfand hinterlegt werden könnten. Die EZB ihrerseits kündigte am Donnerstag an, den Banken wieder einjährige Kredite zu gewähren. Eine absolute Krisenmaßnahme, wie sie auf dem Höhepunkt der Kreditklemme nach der Lehman-Pleite getroffen worden war. 

Seitdem Dexia 2008 staatliche Hilfe in Form einer Kapitalerhöhung von rund sechs Milliarden Euro und Garantien über 150 Milliarden Euro erhalten hatte, versucht die Bank, mit Restrukturierungs- und Transformationsplänen aus der Misere zu kommen. So verkaufte sie 2009 die US-Tochter FSA, musste aber einen Teil der Risiken aus dem US-Geschäft weiter selbst decken, um die Firma überhaupt loszuwerden. 2010 kündigte die Bank eine Neuausrichtung des Geschäftsmodells an. Man wolle sich künftig mehr auf das Geschäft mit Schalter- und Privatkunden konzentrieren als auf die öffentliche Finanzierung. 

An dieser Neuausrichtung sind die europäischen Wettbewerbsbehörden nicht ganz unschuldig. Die staatlichen Hilfen genehmigten sie unter strengen Auflagen. So sollte Dexia bis 2014 seine Bilanzsumme um 35 Prozent reduzieren, die Kosten um 15 Prozent senken und mit Wertpapieren nur noch im Auftrag von Kunden, nicht zur eigenen Gewinnsteigerung handeln. Zudem sollte Dexia die kurzfristigen Finanzierungsbedürfnisse, die Ende 2008 bei über 40 Prozent der Bilanzsumme lagen, auf unter elf Prozent 2014 reduzieren. Wegen des Ungleichgewichts zwischen den langfristigen und oft nur niedrig verzinsten Kredite an die Kunden und der kurzfristigen Refinanzierung bei anderen Banken, die in der Finanzkrise immer teurer wurde, war die Bank ja ursprünglich in Schwierigkeiten geraten – ein Problem, das die Bank nicht lösen konnte, bevor sich die Staatsschuldenkrise zuspitzte. 

Die EU schrieb der Bank quasi eine Mindestrendite für die Beteiligung an öffentlichen Finanzierungsausschreibungen vor und gab den Rhythmus für den Verkauf des Wertpapierportfolios vor. Auch um den Anteil der Kundeneinlagen, die als stabile Finanzierungsmittel gelten, im Verhältnis zur Bilanzsumme zu erhöhen, sollte sich die Bank stärker auf die Schalterkundschaft konzentrieren, ein Geschäft, in dem die Bank in Belgien, Luxemburg und der Türkei aktiv war, nicht aber in Frankreich, was die Bil für die Dexia-Gruppe besonders wertvoll machte.

Dabei waren die im Februar 2010 festgelegten EU-Auflagen bei der Sanierung der Bank nicht immer hilfreich. Weil die Bank den Aktionären keine Dividenden zahlen durfte, waren Dexia-Aktien auch vor dem Absturz diese Woche für die Anleger ziemlich uninteressant. Schon im Herbst 2010 motzte Pierre Mariani, CEO von Dexia-Gruppe, bei der Vorstellung der Restrukturierungspläne, dass sich die Konkurrenz ins Fäustchen lache. Durch die EU-Vorgaben sei die Bank gezwungen, Wertpapiere vor Ende der Laufzeit und mitunter unter Wert zu verkaufen, wodurch Einnahmeeinbußen und Verluste entstünden.

Das machte sich im ersten Semester 2011 auch in den Ergebnissen der Dexia-Bil bemerkbar. Dass die Bil auch über diesen Zeitraum noch einen Gewinn von 78 Millionen Euro erwirtschaften konnte, verdeutlicht, dass die Luxemburger Tochtergesellschaft zu den solideren Dexia-Unternehmen gehört. Doch während die Bil 2009 und 2010 aus dem Verkauf der Papiere der internen Bad-Bank genannten Legacy Division noch Gewinne machen konnte, entstanden durch die Veräußerung von Papieren im Wert von 1,5 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2011 rund 33 Millionen Euro Verlust, die das Nettoergebnis belasteten. 

Die Bil selbst hat ihre von der EU verordnete Rosskur bereits hinter sich. Derzeit im dritten Transformationsplan, hat die Bank schon 20 Stellen mehr abgebaut, als die Zielsetzungen vorgaben, und stellt derzeit wieder ein. Seit Dezember 2008 hat die Bil ihre Bilanzsumme um 38 Prozent reduziert, erfüllt jetzt schon die Vorgaben, die Ende 2014 bindend werden. Zwar besitzt auch die Bil einiges an riskanten Euro-Staatsanleihen. Insgesamt 536 Millionen Euro griechische, italienische, und portugiesische Papiere hatte sie Ende Juni in den Büchern, sowie vier Milliarden Euro, die kurzfristig refinanziert werden müssten. Doch dem gegenüber stehen 2,5 Milliarden Euro Eigenkapital.    

Solide und profitabel sei die Bil, wiederholten Luc Frieden, wie die die Bank selbst am Donnerstag. Dazu gehören nicht nur die Schalter- und Privatkundenbank, deren Vorsteuerergebnis im ersten Semester 90 Millionen Euro betrug. Der Dexia Bil gehören auch die 50-prozentige Beteiligung an der Joint-Venture RBC-Dexia, wie auch eine 50-prozentige Beteiligung an Dexia Asset Management, die Analysten zufolge zu den wertvolleren Teilen der Firma gehören. Wie groß der Verkaufsperimeter sei, wollte Luc Frieden am Donnerstag nicht kommentieren. Doch noch bevor bestätigt war, dass es sich bei den Interessenten tatsächlich um die QIA handelte, wurden bereits Vorwürfe laut, der angesetzte Preis sei zu niedrig.

Michèle Sinner
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