Maria Magdalena

Nun wollen wir Spießruten laufen

d'Lëtzebuerger Land du 23.11.2000

Die Literaturgeschichte erzählt, Henrik Ibsen sei seinerzeit stark von Friedrich Hebbels Maria Magdalena beeindruckt gewesen, von der Ausweglosigkeit dieser Frau, die den normativen moralischen Druck der bürgerlichen Gesellschaft nicht aushielt und den Freitod wählte. Als er 35 Jahre später seine Nora Helmer schuf, die ähnliche Familienverhältnisse kannte, gab er ihr einen größeren Willen zur Selbstbestimmung: sie verlässt am Ende des Stückes Mann und Kinder. 

Es gibt also durchaus einen Zusammenhang zwischen beiden Stücken, die das Kapuzinertheater, wenn auch nicht in chronologischer Reihenfolge, in seiner Serie Frauenschicksale programmiert hat. Allerdings hat Eva Paulin in ihrer Hebbel-Inszenierung den Kampf gegen den Staub viel weniger zu meistern gewusst als Marja-Leena Junker in Une maison de poupée (siehe dazu unsere Kritik auf www.land.lu). Aber möglicherweise liegt das auch am Stück. Denn Hebbels "bürgerliches Trauerspiel" scheint in vielen Hinsichten weit entrückter als Ibsen.

Doch anstatt radikal mit dem nach-klassischen Schnickschnack des Stückes zu brechen, vielleicht eher zu abstrahieren, um neue Interpretationswege zu öffnen, engt Eva Paulin das Stück weiter ein, angefangen beim übermächtigen und viel zu bestimmenden Bühnenbild von Jeanny Kratochwil (ein überdimensionaler goldener Bilderrahmen, ein Labyrinth aus rotem Teppichboden, das zu einem einzigen Ausgang führt...). So gleiten Szenen wie der schlagartige Tod der Mutter aus Scham oder die Ankündigung von Klaras Tod in den bodenlosen Kitsch ab. Und plötzlich, zwischen den Szenen, treten leicht anachronistische Musiker auf, die die melancholischen Seemannslieder, die Serge Tonnar auf Hebbels Gedichte komponierte, live singen und spielen. Eine schöne Idee, die leider nicht zu Ende gedacht wurde.

Und dann gibt es Klara, eine Traumrolle für jede junge Schauspielerin, in der die 25-jährige Fabienne Biever, frisch von der Saarbrücker Schauspielschule, zeigen kann, was sie drauf hat. In dieser von Männern bestimmten Welt des Tischlers Anton (Jean-Paul Maes, schon wieder in der Rolle des Opfers), ist Fabienne Bievers spritzige Klara schnell davon überzeugt, dass sie so nicht leben will. Und man versteht sie. Um sie herum wird viel gestorben, andere verfallen dem Wahnsinn, im deutschen Kleinbürgertum des frühen neunzehnten Jahrhundert gab es offenbar nicht viel zu lachen. Nur ihr Jugendfreund, der Sekretär (Jens Ochlast) bringt es fertig, sie noch einmal von der Hoffnungslosigkeit ihres tragischen Schicksals abzulenken, doch diese Unbeschwertheit bleibt von kurzer Dauer. 

Denn Klara ist schwanger, doch ihr zynischer, karrierebewusster Verlobter Leonhard (Sebastian Hufschmidt, sehr überzeugend) trennt sich von ihr, als er erfährt, dass ihr Bruder des Diebstahls beschuldigt wird. Zu Unrecht, wie sich heraus-stellen wird. Die Mutter ist tot, der Bruder im Gefängnis, also setzt der Vater alle Hoffnungen auf Klara, sie soll mit ihrer Unschuld und Reinheit die Ehre der Familie retten... So pilgert Klara zu Leonhard, sobald sie erfährt, dass ihr Bruder frei ist, und fleht ihn an, sie doch zurück zu nehmen. Diese Szene ist eine der beeindruckendsten des Stückes, sowohl vom Text her als auch schauspielerisch. 

Hier schildert Klara zum Beispiel ihre Vorstellung von der Ehe: "Ob ich Dich liebe, ob ich Dich nicht liebe, nie sollst Du's erfahren! Ich will Dir dienen, ich will für Dich arbeiten, und zu essen sollst Du mir Nichts geben, ich will mich selbst ernähren, ich will bei Nachtzeit nähen und spinnen für andere Leute, ich will hungern, wenn ich Nichts zu thun habe, ich will lieber in meinen eig'nen Arm hinein beißen, als zu meinem Vater gehen, damit er Nichts merkt. Wenn Du mich schlägst, weil Dein Hund nicht bei der Hand ist, oder weil Du ihn abgeschafft hast, so will ich eher meine Zunge verschlucken, als ein Geschrei ausstoßen, das den Nachbaren verrathen könnte, was vorfällt. Ich kann nicht versprechen, daß meine Haut die Striemen Deiner Geißel nicht zeigen soll, denn das hängt nicht von mir ab, aber ich will lügen, ich will sagen, daß ich mit dem Kopf gegen den Schrank gefahren, oder daß ich auf dem Estrich, weil er zu glatt war, ausgeglitten bin."

Hebbel selbst hatte einer Frau zwei Kinder gemacht, ohne sie zu heiraten, und lebte später unverheiratet mit der Schauspielerin Christine Enghaus in Wien. Sein Leben lang wähnte er sich "in der Hölle des Lebens", seine Figuren gehen an tragischen Schicksalen, die sie nicht verschuldet haben, zugrunde, jeder Mensch kann nur Opfer sein. Ein moralisch zweifelhafter Fatalismus. 

Hebbels Nebenrollen sind höchst undankbar, da sie kaum zum Spielen kommen. Eva Paulin hat fast alle beibehalten und besetzt, auch wenn sie nur sehr kurz auftreten. Davon hat besonders Serge Tonon als steifer Kaufmann einen beeindruckenden Auftritt; die anderen (Mike Tock, Serge Tonnar, Mireille Wagener, Silvana Pontelli) singen sich durch den Abend. Doch weniger wäre mehr gewesen, denn beim Versuch, jedem zu gefallen, geht leider die Essenz des Stückes verloren.

 

Maria Magdalena von Friedrich Hebbel, inszeniert von Eva Paulin, Assistenz: Silvana Pontelli; Musik: Serge Tonnar; Kostüme: Ulli Kremer; Bühne: Jeanny Kratochwil; mit: Fabienne Biever, Tom Leick, Sebastian Hufschmidt, Jens Ochlast, Serge Tonon, Mike Tock, Serge Tonnar und Mireille Wagener; weitere Vorführungen: heute abend um 18.30 Uhr, morgen 25. November sowie am 5. und 6. Dezember jeweils um 20 Uhr. Kartenvorbestellung über Telefon 22 06 45 oder Fax.: 22 63 23.  

Die Musik zum Theaterstück Die Hebbelmaschine interpretiert Maria Magdalena - Theatermusik, Probenaufnahmen, Dialoge und Bonustracks wurde auf CD veröffentlicht und ist für 400 Franken an der Abendkasse oder durch Überweisung von 450 Franken auf das Dexia-Konto 9-147/9836/671 der Instinct asbl erhältlich.

 

josée hansen
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