Der Direktor einer österreichischen Privatbank läßt auf unerklärliche Weise das Vermögen seiner Anleger verschwinden, flüchtet ins Ausland und taucht unter. Ein Journalist, Mitarbeiter eines Nachrichtenmagazins, spürt den flüchtigen Banker auf und führt ein Interview, Auszüge werden bereits öffentlich, während Wirtschaftspolizei und Sicherheitsdienst noch im Dunkeln tappen. Kein konstruierter Fall, um die Grenzen des österreichischen Pressegesetzes auszuloten: den Bankdirektor gibt es wirklich, ebenso den Journalisten und das Interview. Und es gibt auch den Paragraphen im Medienrecht, der dem Reporter grundsätzlich den Spielraum sichert, den Fall zu recherchieren - und mit der Exklusivgeschichte für gehörigen Aufruhr in Branche und Öffentlichkeit gleichermaßen zu sorgen -, ohne Angaben über seine Informanten machen zu müssen.
Dieser spektakuläre Fall, ins Rollen gekommen Ende Oktober, macht den Informantenschutz als eine der zentralen Regelungen des österreichischen Pressegesetzes deutlich. Generell beurteilen die befaßten Gerichte und Anwälte ebenso wie Medienmacher die Gesetzesgrundlage positiv. Als "wohlüberlegt" bezeichnet etwa Doris Trieb, Richterin am Oberlandesgericht Wien, die Gesetze und hält die Freiheit der Presse in Österreich für "sicherlich garantiert". Ebenso ist Medienanwalt Gottfried Korn grundsätzlich mit der Gesetzeslage zufrieden: "Ich glaube nicht, daß die Medien in Österreich durch das Gesetz gehindert werden, ihre Aufgaben zu erfüllen. Auch die Möglichkeiten des investigativen Journalismus, Kontrollfunktion gegenüber Behörden und Politik auszuüben, sind theoretisch gewährleistet".
An der Handhabung aber über vor allem Medienmacher harsche Kritik. Für Alfred Worm, Chefredakteur des Magazins New, dessen Aufwand für Gerichtskosten nach eigenen Angaben geschätzte zehn Millionen Schilling pro Jahr beträgt, ist das Mediengesetz in der derzeitigen Form schlicht "unpraktizierbar". Der Grund: "Es gibt so viele Fußangeln etwa bei der Unschuldsvermutung und beim Identitätsschutz, da kennt sich niemand wirklich aus." Hinzu kommt, daß Medienangelegenheiten sowohl nach dem Straf- als auch nach dem Zivilrecht behandelt werden. Das Mediengesetz selbst ist zwar dem Strafrecht zugeordnet, gerade in den strittigen Punkten des Persönlichkeitschutzes und des Zeugnisverweigerungsrechts gibt es jedoch die Möglichkeit, in einem Parallelverfahren eine Zivilrechtsklage einzubringen, etwa über den Weg des Urheberrechts.
Nach Ansicht der Medienrechtsexperten Walter H. Rehberger und Kaja Puschner läßt das Verfahrensrecht die selbständige Geltendmachung von medien- bzw. urheberrechtlichen Ansprüchen "bewußt offen" oder "erzwingt" diese sogar. Die Doppelgleisigkeit in der Behandlung medienrechtlicher Angelegenheiten ist demnach unausweichlich im Gesetz verankert: "Wo der Gesetzgeber mit voller Absicht Mißgeburten schafft, vermag auch die heilende Kraft der Auslegung nichts auszurichten", halten Rechberger und Puschner fest; "eine gesetzliche Neuordnung im Sinne einer Verfahrenszusammenlegung ist daher schon im Hinblick auf das Gebot der Einheit der Rechtsordnung mehr als wünschenswert."
Eine Auffassung, der sich auch Medienanwalt Korn anschließt: "Diese systemwidrige Situation halte ich für völligen Unfug, die Rechtssicherheit muß in einer Hand liegen, nach dem status quo kommt es zwangsläufig zu unterschiedlichen Entscheidungen in der gleichen Sache". Gerhard Litzka, Pressesprecher des Justizministeriums, hält diese Unsicherheit für ausgeräumt: "Nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes müssen etwa bei einer Urheberrechtsstreitigkeit in einem medienrechtlichen Verfahren auch die Kriterien des Medienrechts herangezogen werden - und wenn die Judikatur das sagt, müssen wir das Gesetz nicht ändern". Alfred Worm hat andere Erfahrungen gemacht. Im Zuge der Berichterstattung über die Briefbombenattentate der "Bajuwarischen Befreiungsarmee" veröffentlichte sein Blatt Bilder eines Verdächtigen. Nach dem Mediengesetz war es berechtigt, dessen Identität zu lüften, da öffentliches Interesse vorhanden war. Der Betroffene dagegen sah sein Recht am eigenen Bild verletzt und klagte nachdem Urheberrecht, was den Blättern "irrsinnig hohe Strafen" bescherte.
Im aktuellen Fall des Wolfgang Rieger sieht Worm Klagen von Seiten der Steuerberater des Bankdirektors entgegen, obwohl das vorgehen des Journalisten und des Verlages auch nach Ansicht von Medienanwalt Korn "nach dem Mediengesetz vollkommen korrekt" war. Einzig mögliche Haltung für den Chefredakteur in vergleichbaren Fällen: "Darauf ankommen lassen, klagen lassen". Ein Medium in der Größenordnung von News mit hoher Auflagestärke und günstiger Eigentümerkonstellation (das deutsche Verlagshaus Gruner [&] Jahr stärkt dem bunten Magazin den Rücken) kann sich diesen Pragmatismus erlauben. Aufgrund der Marktsituation und der geltenden Rechtspraxis können im Grunde nur die großen, auflagestarken Medien den Luxus eines investigativen Journalismus finanzieren räumt auch Worms ein, dessen Magazin mit spektakulären Aufdecker-Geschichten Marktvorteil erzielt.
Diese Ungleichheit bemängelt auch Armin Thurnher, Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung Falter und kritisiert zudem, daß ertragsstärkere Medien durch die Gesetzgebung unverhältnismäßig geschont, kleine Blätter dagegen stärker getroffen werden. Für ihn liegt die Crux generell aber weniger in den Paragraphen und ihrer Handhabung als in der Medienkultur im Lande begründet: die Dominanz des Boulevard und der Illustrierten einerseits und die sprichwörtliche "Verhaberung", dem traditionell freundschaftlich orientierten Verhältnis von Politik und Medien andererseits, führen seiner Ansicht nach dazu, daß die Kontrollfunktion der Medien nicht im wünschenswerten Maße wahrgenommen wird.
Die Marktkonzentration, sichtbar im marktbeherrschenden Konzern der "Mediaprint", die politisch nicht verhindert wurde, ist dabei nicht das einzige Hindernis. Auch das Wirtschaftsrecht bevorzugt in der realen Handhabung die größeren Medien, etwa in der Frage unlauteren Wettbewerbs: Zugaben werden von den Marktführern am Magazinmarkt beispielsweise lockerer gehandhabt, ein möglicher Prozeß wird in Kauf genommen, der Wettbewerbsvorteil wiegt den möglichen Verlust durch Bußgeldzahlungen auf. Für kleinere Mitbewerber scheidet diese Möglichkeit aus, der Streitwert ist zu hoch.
Als politisches Instrument, um die Vielfalt am Medienmarkt und damit die praktische Seite der Meinungsfreiheit zu stützen, soll die Presseförderung wirken. Trotz des hehren Zieles ist die Förderungspraxis vielfacher Kritik ausgesetzt: Medienrechtsexperte Ernst Svoboda bemängelt, über die Förderung werde "teilweise eine bloß optische Vielfalt erreicht, die von den Leserinteressen nicht getragen wird." Ein weiterer Kritikpunkt trifft die "Besondere Presseförderung", da sie auf Tageszeitungen beschränkt ist und nur jenen Medien gewährt wird, deren Anzeigenaufkommen 22 Prozent des Gesamtumfanges nicht überschreitet. Medien wie die Tageszeitung der Standard, mit zehn Jahren die jüngste erfolgreiche Neugründung am Qualitätssektor, und die Wochenzeitung Falter fallen durch diese Bestimmungen durch den Rost. Der "Bericht zur Lage des Journalismus" des Salzburger Instituts für Publizistik lastet dem für die Förderung zuständigen Bundeskanzleramt darüber hinaus an, "nach dem Gießkannenprinzip" vorzugehen und erkennt eine "starke parteipolitische Motivation, die mit der Publizistikförderung verbunden wird."
Liberalisierungstendenzen am Medienmarkt der vergangenen Jahre, die in der lange ersehnten Öffnung des Rundfunks für private Unternehmer erkennbar sind, gehen nicht auf politische Initiativen zurück: auf Drängen des Verfassungsgerichtes fiel im August 1996 das Monopol des Österreichischen Rundfunks. Im August 1996 gingen erste private Kabelfernsehpogramme ins Rennen, im April 1998 fiel der Startschuß für private Radioprogramme.
Die Gesetzgebung in Österreich erhebt zwar die Regelung von Presse und Rundfunk in Verfassungsrang und definiert die Aufgaben der Medien als öffentliche Aufgaben, erkennt somit die Funktion der Medien als "Wachhund" der Staatsbürger gegenüber Politik und Behörden an: aus Sicht des Verfassungsgerichts soll die Mediengesetzgebung die Freiheit als "wesentlichen Grundpfeiler unseres demokratischen Politischen Systems" sichern. Die reale Situation aber, bestimmt durch unklare und widersprüchliche gerichtliche Entscheidungen, politischen Einfluß über die Presseförderung und die Marktkonzentration bringt es mit sich, daß diese Sicherung der Medienfreiheit auf unterschiedlichen Ebenen unterlaufen wird.
Das österreichische Mediengesetz vom 12. Juni 1981, BGBL 314 in der Fassung der Novelle 1993 BGLB 20 und 21 - wesentliche Grundsätze
1. Überzeugungsschutz (§2)
Dem Medienmitarbeiter darf aus einer geringfügigen Weigerung kein Nachteil entstehen, wenn die Mitarbeit an der inhaltlichen Gestaltung von Beiträgen oder Darbietungen seiner Überzeugung in grundsätzlichen Fragen oder den Grundsätzen des journalistischen Berufes widerspricht. Ausnahme: Blattlinie.
2. Innere Medienfreiheit (§ 5)
Redaktionsstatuten können abgeschlossen werden (müssen es nicht), ebenso können allgemeine Grundsätze hierfür von kollektivvetraglosen Körperschaften vereinbart werden.
3. Persönlichkeitsschutz (§§6,7)
3.1) Wegen übler Nachrede, Beschimpfung, Verspottung und Verleumdung in einem Medium steht dem Betroffenen eine Entschädigung für erlittene Kränkung gegen den Medieninhaber zu.
3.2) Verletzungen des höchst persönlichen Lebensbereiches: Die Erörterung des höchst persönlichen Lebensbereiches eine Menschen in einem Medium, die geeignet ist, den Betroffenen in der Öffentlichkeit bloßzustellen, erzeugt einen Anspruch des betroffenen auf eine Entschädigung für erlittene Kränkung, bis zur Höhe von ATS 200.000.
3.3) Identitätsschutz: Schützt Opfer einer gerichtlich strafbaren Handlung und Verdächtige vor der Bekanntgabe ihrer Identität sofern schutzwürdige Interessen dieser Person verletzt werden.
3.4) Schutz der Unschuldsvermutung: eine Person, die noch nicht wegen einer strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt ist, darf nicht als überführt oder schuldig oder auch nur als Täter bezeichnet werden.
4. Verbotene Einflußnahme auf eine Strafverfahren (§23)
Vor dem Urteil erster Instanz darf der vermutliche Ausgang eines Strafverfahrens oder eines Beweismittels nicht in der Weise erörtert werden, daß das Verfahren beeinflußt werden kann.
5. Gegendarstellung (§9)
Jede durch eine Tatsachenmitteilung nicht bloß allgemein betroffene natürliche oder juristische Person hat Anspruch auf unentgeltliche Gegendarstellung im gleichen Medium.
6. Impressum: Offenlegung und Kennzeichnung (§§ 24,25,26)
6.1.) Name, Firma und Anschriften des Medieninhabers/Verlegers, des Herstellers sowie der Herstellungsort sind anzugeben
6.2.) Offenlegung: Der Medieninhaber hat alljährlich und bei jeder Änderung seine Eigentumsverhältnisse und die Blattlinie offenzulegen
6.3.) Entgeltliche Veröffentlichungen: Redaktionelle Empfehlungen sowie Beiträge und Berichte, für deren Veröffentlichung ein Entgelt geleistet wird, müssen entsprechend gekennzeichnet sein, es sei denn daß durch die Anordnung kein Zweifel über die Entgeltlichung besteht.
7. Journalistische Sorgfaltspflicht (§29)
Bei einem Medieninhaltsdelikt ist der Journalist oder Medieninhaber nicht zu bestrafen, wenn er den Wahrheitsbeweis erbringt, wenn ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung bestanden hat und unter Wahrung der journalistischen Sorgfaltsplicht hinreichende Gründe vorlagen, eine Behauptung für wahr zu halten.
8. Sachliche Immunität (§30)
Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen der Gesetzgebenden Körperschaften oder eines Ausschusses bleiben von jeder Verantwortung frei.
9. Schutz des Redaktionsgeheimnisses (§31)
Medieninhaber, Herausgeber, alle Medienmitarbeiter und Arbeitnehmer eines Medienunternehmens genießen Schutz: In einem Verfahren vor Gericht oder der Verwaltungsbehörde besteht Zeugnisverweigerungsrecht, soweit die Fragen den Bereich der Information im weitesten Sinn betreffen (Informantenschutz), Beschlagnahmeverbot und Schutz der Herausgabe von Unterlagen, Überwachung des Fernmeldeverkehrs von Anlagen des Medienunternehmens nach der Strafprozeßordnung nur bei schweren Straftaten.