Heute loben wir Lady Gaga. Meist ist die Popikone minimalistisch gekleidet und zeigt ihre prachtvolle Anatomie. Jüngst aber, bei der Verleihung der MTV-awards, trat sie in voller Montur auf, in einem Kleid, das für ihre Verhätnisse schon fast an Überlänge grenzte. Das Pikante an ihrer Garderobe war: sie bestand integral aus Fleischlappen, also echtem Stoff aus der Metzgerei. Das singende Carpaccio in Menschengestalt löste Entsetzen aus. Durch die Völker ging ein Aufschrei der Empörung. Wir fragten uns verwundert: Was ist denn jetzt wieder los?
Ja, wir kommen nicht daran vorbei, Lady Gaga sanft zu kritisieren. Ein Kleid aus realem Fleisch passt nicht in den Kanon der Modebranche. Ist das Kostüm nämlich nicht nachhaltig mariniert, beginnt es schon nach kurzer Zeit zu stinken. Das ist schlecht fürs Geschäft. Und bringt die Models mit hoher Berufsethik leider in Mißkredit. Ein rohes Fleischkleid zieht zudem allerlei Ungeziefer an. Wir kennen ja die Tücken der lästigen Fleeschmécken. Bald sieht die Fleischkleidträgerin aus wie ein wandelnder Méckefänkert. Auch Hunde, allesamt begabte Fleischfresser, könnten sich herausgefordert fühlen, Frau Gaga ungestüm zu bespringen. Das extravagante outfit wäre in diesem Fall von sehr kurzer Lebensdauer. Außerdem hat Lady Gaga ja ausgiebig bewiesen, dass sie sich nicht unbedingt mit tierischen Fleischfetzen garnieren muss. Ihr eigenes Menschenfleisch hält jedem Vergleich stand. Am allerbesten sieht sie aus, wie Gott sie erschaffen hat.
Womit wir beim eigentlichen Punkt wären. Es scheint sich hier um eine fundamentale Debatte über Ästhetik zu handeln. Sollen wir Fleischliebhaber tatsächlich unsere rasende Fleischeslust buchstäblich nach außen kehren und jedem vorführen, wie hemmungslos wir uns den Magen mit Tierleichen jeder Art vollstopfen? Brauchen wir diesen primären Exhibitionismus? Müssen wir wirklich signalisieren: ich putze jeden Tag mindestens ein halbes Tier weg, also darf ich mich mit den Trophäen der Fleischfresserei schmücken von Kopf bis Fuß?
Wir plädieren hier eher für die mitteleuropäische Lösung. Wir Luxemburger zum Beispiel, wahre Rekordhalter der ununterbrochenen Fleischvertilgung, sind da viel diskreter und zivilisierter. Wir zügeln unseren kannibalischen Impetus und behängen uns nicht mit den fertig tranchierten Körperteilen von Tieren. Was Lady Gaga unplugged zur Schau stellte, sublimieren wir mit christkatholischer Dezenz. Statt der Fleischlappen zeigen wir unsere Speckringe. Diese perfekt gestapelten Fettklumpen, das will keiner bestreiten, zeugen ja auch anschaulich von unserer Fleischeswut. Doch ein mit Speck gezierter Körper ist höchst salonfähig. Im Gegensatz zur Rohfleischsilhouette von Lady Gaga. Der speckige, mitteleuropäische Fleischfresser darf sich sogar ungestört ins Freiluftbad begeben, ohne gleich eine vegetarisch animierte Bürgerinitiative gegen sich aufzubringen. Wir wissen auch, dass Mücken und andere Insekten sich von Speckringen nicht beeindrucken lassen. Und Hunde schon gar nicht. Wie gesagt: es geht hier fundamental um die Ästhetik. Speckringe sind schön, Fleischfetzen sind bäh!
Lady Gaga, der kunstvollen Zicke im Fleischmantel, möchten wir empfehlen, doch mal bei den Pfadfindern aus Rollingergrund vorbeizuschauen. Diese jungen, idealistischen Herren sind wahre Meister des öffentlichen Fleischexzesses. „Fällt der Pfadi-Grillwurscht-Rekord?“, titelte die Presse, um sogleich zu erläutern: „Die Les Aigles-Scouten wollen den Rekord der längsten Luxemburger Grillwurscht knacken.“ Am vergangenen Wochenende versuchten die pittoresk uniformierten Fleischer also, ihre eigene, 39,5 Meter lange Wurst vom Vorjahr zu übertreffen. Na bitte, so kann man es doch auch machen. Zum Thema Speckringe wäre hier nur soviel beizufügen: 39,5 Menschen (oder mehr) mussten anschließend einen ganzen Meter Wurst hinabwürgen, um den Rekord gebührend zu feiern. Das nennt man fleischbewusste Aufopferungsbereitschaft.
Natürlich hätten die Pfadfinder sich auch die rohen Wurststücke um den Hals hängen können, ganz à la Lady Gaga. 39,5 Meter Wurst (oder mehr) reichen sogar aus, um einen ganzen Pfadfinder von oben bis unten einzuwickeln. Doch auf diese spektakuläre Grillwurschtmumie haben die Herren gezielt verzichtet. Wir sind ja hier nicht im showbiz, sondern auf dem seriösen Fleischmarkt. In puncto Ästhetik könnte sich Lady Gaga demnach ein Stück (Wurst) bei den Pfadfindern abschneiden, zu ihrer eigenen fleischlichen Emanzipation.
Übrigens zeichnet sich hier ein bedeutender Fortschritt in Sachen Pfadfindertum ab. Von ihrem Ursprung her waren die Pfadfinder Aufklärer, die sich in Kriegsgebieten zwischen den feindlichen Linien hin und her bewegten. Heute pendeln sie zum Glück nur mehr zwischen den freundlichen Linien „Schlachthof“ und „Grill“, und zwar in friedvoller Absicht. Das ist wahre Kultur. Lady Gaga sollte sich ein Beispiel nehmen und beschämt im Tiefkühlfach verschwinden.