Der zerbrochene Krug

Wenn der Adam mit der Eve . . .

d'Lëtzebuerger Land du 07.02.2002

Das ist ein Zielpublikum! Jeder Werbefachmann würde Höchstpreise für ein paar Sendeminuten verlangen. René Nuss ist sich dessen bewusst und hat seinen Soundtrack für den Zerbrochenen Krug seines langjährigen Weggefährten an das anspruchsvolle, an hundertfache Stimuli gewöhnte Publikum angepasst: die Jugendlichen! Bassdröhnend eröffnet die Melodie des THX-Jingels, allen bekannt aus den Utopolis-Kinos, das Stück, immer wieder vermischt René Nuss lokale Folklore ("Kättchen, Kättchen, bréng mer nach e Pättchen . . .", "Tulpen aus Amsterdam" usw.) mit World-, Techno- und Popeinflüssen. Wie im Kino.

Wer sich heute an Kleists Klassiker heranmacht, der ist sich auch des Erfolgs sicher. Für nicht viele luxemburgische Produktionen werden gleich zwölf Vorstellungen in einem doch relativ großen Saal eingeplant, nicht viele außer der Revue, dem Cabarenert oder Frank Feitlers lustiger Gurkentruppe. Der zerbrochene Krug (1806) ist ein "Lustspiel", das Stück mit dem der ewig melancholische Kleist seinen Zeitgenossen einmal so richtig zeigen wollte, wie viel Humor er hatte. Seiner Linie treu, die er letzte Saison mit Kafka ausgearbeitet hat, kitzelt Frank Hoffmann (gemeinsam mit Jacqueline Posing) das Komische, den Slapstick, die Farce heraus und macht aus dem Zerbrochenen Krug einen wahren Dorfschwank, der die Provinz genüsslich verulkt.

Spielt Kleists Stück in Huisum bei Utrecht in Holland, so verlegt Hoffmann es nach Luxemburg, lässt die beiden Richter Wuermer Këppchen trinken, hiesige Melodien zwitschern und erntet damit noch mehr Sympathien beim Publikum. Christoph Rasche hat wieder eine krumme Bühne gebaut, aus hölzernen Versatzstücken diesmal, und vor einem grässlichen Landschaftsbild im Halbrund. Denn, ach ja, wir sind im Forum Geesseknäppchen - wo auch schon K. gespielt wurde -, also bei den Schulen und ihren Schülern. Wahrscheinlich hat das staatlich finanzierte Théâtre national, wie seine Kollegen, eine Abmachung mit dem Kulturministerium, in der unter anderem auch Theater für Schüler gegen Geld festgeschrieben ist. Aber wenn schon, es ist immer besser, die Schüler sehen eine gute Produktion als eine schlechte.

"Was hat uns Kleist heute noch zu sagen?" pflegen Journalisten sich bei jeder Inszenierung eines Klassikers zu fragen. Und diesmal kann man die Lehrer nur beneiden, die das Stück vor oder nach der Aufführung mit ihrer Klasse durchgehen, da zur gleichen Zeit, wenn die Kunst das Leben paraphrasiert, die Wirklichkeit ein starkes Echo ruft. Was darf die Justiz? Ist sie unfehlbar oder unantastbar? Den derzeitigen Streit zwischen der dritten und der ersten Macht in Luxemburg illustriert das Thema ideal. Darf ein parteiischer Richter Urteile erlassen? Auch hier gibt ein aktueller Fall, der des Collectif Findel gegen Richter Prosper Klein, ein perfektes Beispiel ab.

Wie ein Krimi wollte Frank Hoffmann den Zerbrochenen Krug zeigen und es gelingt ihm zumindest teilweise. Er wollte etwas über die Lüge sagen, hieß es, über den Begriff der Lüge "als Antwort auf persönliche, aber auch gesellschaftliche Probleme". "Die Not des Augenblicks gebiert die Improvisation, die uns täglich als Wahrheit verkauft wird", schrieb er in der Ankündigung. 

Und dieser stete Seiltanz zwischen Wahrheit und Notlüge, Aufrichtigkeit und Schlitzohrigkeit des Dorfrichters Adam ist es wohl, die Ulrich Gebauer ansprach. Ständig bringt er die Zuschauer durcheinander, erfindet immer neue Geschichten vom Verbleib seiner Perücke oder von seinen beiden Wunden. Sein Dorfrichter Adam ist ein Lebemann, der sich in Huisum eingenistet hat wie die Made im Speck und der alle Vorteile seines Amtes und des Respekts, den die einfachen Dorfleute ihm entgegenbringen, skrupellos überstrapaziert.

Denn in Huisum haben die Leute blindes Vertrauen in die Justiz, die Witwe Frau Marthe Rull (Christiane Rausch) sieht keinen besseren Ort, um ihr Recht und eine Entschädigung für den zerbrochenen Krug zu fordern. Der vermeintliche Täter Ruprecht (Frederik Hofmann) und sein Vater (Roger Seimetz) erstarren quasi vor Ehrfurcht,wenn sie vor Gericht aussagen müssen.

Dabei hat der Richter nicht einmal eine Perücke, wie es sich doch passen würde. Besonders an dem Tag, als Gerichtsrat Walter (Nikolaus Haenel) eigens aus der Stadt angereist ist, um das Einhalten der Vorschriften über Land zu kontrollieren. Dieser Blick von außen wird es sein, der die schöne Lügenwelt des Dorfrichters Adam aus den Fugen bringt, der Schluss macht mit dem Aberglauben der Einheimischen, wie Frau Brigitte (Josiane Peiffer), und die Ratio walten lässt. Und mit seiner weiblichen Besetzung des Schreibers Licht (Anne Moll) macht Frank Hoffmann vielleicht sogar eine feministische Aussage - die unbeirrbare, leicht intrigante Frau macht Karriere nach dem Fall des Richters.

"War ein Gekos' und ein Geschleck'/ und schon war auch das Blümchen weg'", nannte es Goethes Mephisto. Doch Frank Hoffmann wird nie so explizit. Niemand will Schülern die Metapher des zerbrochenen Kruges als Eves Hymen zu deutlich machen. Adams auserlesene Eve hatte sich nicht wirklich gewehrt, als er sie in der Nacht besuchte und schon war auch das Blümchen weg', der Krug kaputt. Mélanie Fouché spielt eine schlaksige, doch sich während des Stücks emanzipierende Eve und erinnert nicht nur physisch an Popeyes Olivia. Sie ist kein Dummchen, weiß sehr wohl, wie ihr geschieht, und doch hatte sie sich aus Liebe zu Rupert geschehen lassen. Im als Epilog angelegten, sehr schönen Schluss erklärt sie sich und beeindruckt ihre Freunde und Bekannten.

Frank Hoffmann konnte sich für diese Produktion des Zerbrochenen Krugs eine außergewöhnlich homogene Besetzung sichern, die mit offensichtlichem Spaß am Spielen eine wahre Dorfgemeinschaft mit starken Persönlichkeiten bildet. Wie ein Zitat der Diener bei K. sind die Mägde (Annette Schlechter und Jutta Avrat) wahrhaft chaplineske Figuren, die durch das Stück führen. Das Volk tritt als kompakte Masse auf, der Richter, der Schreiber und der Gerichtsrat als Individualisten. Demnach macht es einfach Spaß, lebendiges Theater zu sehen. Bloß: Der zerbrochene Krug ist ein schrecklich langweiliges Stück, das in Wirklichkeit absolut nichts mehr zu sagen hat. 

 

 

Frank Hoffman und Jacqueline Posing van Dycks Inszenierung von Heinrich von Kleists Lustspiel Der zerbrochene Krug wird noch am 19., 20., 25., 26. und 27. Februar sowie am 1. und 2, März jeweils um 20 Uhr im Forum des Campus Geesseknäppchen gespielt; Bühne: Christoph Rasche, Kostüme: Katharina Polheim, Musik René Nuss, Licht; Zeljko Sestak, Dramaturgie: Olivier Ortolani, Produktionsleitung: Jacques Feitler. Mit: Ulrich Gebauer, Jutta Avrat, Paul Christophe, Mélanie Fouché, Nikolaus Haenel, Frederik Hofmann, Anne Moll, Josiane Peiffer, Christiane Rausch, Annette Schlechter und Roger Seimetz; Telefon für Reservierungen: 26 45 88 70 (von 15 bis 19 Uhr). Nach Luxemburg zieht die Luxemburgisch-Deutsche Koproduktion weiter zu den Ruhrfestspielen Recklinghausen, wo sie am 30. Mai Premiere feiert. 

 

 

 

 

josée hansen
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