Ibrahim Bassa

Im Spiegel des asiatischen Despoten

d'Lëtzebuerger Land du 17.01.2002

"Entthrönte Königin! Entzepterte Beherrscherin der Welt! Gestürztes Asien!", wehklagt im Prolog von Ibrahim Bassa der Kontinent über seinen von einem Tyrannen verursachten Sturz. So führte ein 15-jähriger Schüler, Daniel Casper von Lohenstein (1635-1683), für sein Breslauer Schultheater die Geopolitik in das Barockdrama ein.

Neben dem älteren Andreas Gryphius ist Lohenstein der bedeutendste deutsche Barockdramatiker. In den öffentlichen Bibliotheken Luxemburgs findet sich ein einziges Reclam-Bändchen von ihm (Sophonisbe).

Ibrahim Bassa ist der christliche Feldherr des geschmähten Tyrannen, des türkischen Sultan Süleymans des Prächtigen (1520-1566). Der islamische Herrscher der ottomanischen Weltmacht ist dem Christen zwar zu Dank verpflichtet, doch lässt er ihn nach einigen Gewissensbissen trotzdem aus Eifersucht und Staatsräson hinrichten. Denn "in der asiatischen Despotie" ist der politische Staat "nichts als die Privatwillkür eines einzelnen Individuums", wie später Marx in seiner Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie beipflichtet.

Natürlich handelt Ibrahim Bassa nur auf den ersten Blick von der moralischen Verkommenheit der Muselmanen und der Überlegenheit der sich von der "Türkengefahr" bedroht fühlenden Christenmenschen. Denn Lohenstein wurde im Dreißigjährigen Krieg geboren, der mehr als alle anderen einschließlich des Zweiten Weltkriegs den Kontinent ausblutete, in Chaos und Sittenverfall stürzte. So erzählt das Stück in exotischer Verkleidung und allegorischer Bombastik vom Absolutismus und seiner die Staatsräson legitimierenden Religion, also von den Ursachen und Folgen des Dreißigjährigen Krieges in Europa.

Zusammen mit Dramaturg Hanns-Dietrich Schmidt hat Regisseur Hansgünther Heyme seit 1979 bereits drei Lohenstein-Stücke ausgegraben. Die beiden bringen es fertig, den barocken Schwulst des gekürzten und sprachlich modernisierten Stückes auf ein doch noch erträgliches Maß zurückzudrängen. Statt farbiger Riesenturbane und anderer Faschingsverkleidung zitieren Kostüme und Mobiliar das frühe 20. Jahrhundert. Dadurch wird die historische Distanz verkürzt, ohne ganz aufgehoben zu werden. Nur die zehn bis elf zum Tode verurteilten Christen hätten unbedingt schon vor der Aufführung umgebracht werden müssen.

Schwarz und weiß weisen als dominierende Farben der Heimwerkerbühne auf die etwas politisch unkorrekte Darstellung der unterschiedlichen Kulturen hin. Dieter Laser greift in seiner großartigen Interpretation Solimans das Motiv auf, knüpft an expressionistische Schwarzweißfilme des frühen 20. Jahrhunderts an und ironisiert den barocken Plunder. Ihm ebenbürtig scheint nur Christine Sohn als ebenso lasterhafte Sultansfrau Roxalane und Vamp der Roaring Twenties.

Weshalb der Sultan des reichsten Harems zwischen Algier und Bagdad ausgerechnet die unscheinbare Heilsarmee-Soldatin Isabelle begehrt, von der des Deutschen unkundigen Spanierin Eva Castro tapfer phonetisch rezitiert, ließe sich bestenfalls theologisch erklären. Und im Vergleich zu Sultans muss auch Titelheld Max Urlacher als christlicher Tugendhort blass erscheinen.

Das Nationaltheater sponserte die ansonsten ziemlich biedere Inszenierung für die armen Ruhrfestspiele und verlegte sie hier zu Lande erneut ohne triftigen Grund auf eine Baustelle. Für März kündigt es eine weitere Heyme-Inszenierung eines Türkenstücks an, Ibrahim Sultan. Als Lohenstein es 1673 schrieb, hatte er nicht nur zusätzliche Erkenntnisse über die Reize christlicher Märtyrerinnen gewonnen. Er war inzwischen Jurist und Diplomat und damit auch ein wenig Dichter im Dienst des Habsburger Absolutismus geworden.

 

Weitere Vorführungen im Tutesall, Stadt-Grund, heute und morgen um 20.00 Uhr, Vorbestellungen nachmittags über Telefonnummer 26 45 88 70. Auf ein Programmheft mit dem schwer zugänglichen, aber urheberrechtsfreien Text wurde leider verzichtet.

 

Romain Hilgert
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