Die Krankenkasse leert sich. Der Staat soll helfen. Und die „andere“ Gesundheitspolitik von CSV und DP?

Im Schatten der Rentenreform

Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 30.05.2025

Am Dienstag voriger Woche war der Generaldirektor der Hôpitaux Robert Schuman im RTL-Radio. Marc Berna erzählte dort, die Schuman-Spitäler hätten in Cloche d’Or eine Radiologie-Antenne betriebsbereit, seit Monaten schon. Mit IRM, Röntgen, Scanner, bald auch einem Mammografen. Doch alles liege still. Denn die Verhandlungen mit der CNS über „Pauschalen“ zur Finanzierung solcher Antennen liefen noch. Zwei Jahre diskutiere der Krankenhausverband FHL, deren Vizepräsident Berna ist, nun schon mit der CNS. „Viel weitergekommen“ sei man nicht.

Der Radio-Auftritt ausgerechnet am Dienstag voriger Woche war vielleicht kein Zufall. Am Tag danach lud Gesundheits- und Sozialministerin Martine Deprez (CSV) zur Frühjahrssitzung der Krankenkassen-Quadripartite ein. Mit anschließender Pressekonferenz – und Gelegenheit zur Nachfrage, wieso es nicht vorangeht in einer so sensiblen Angelegenheit wie „IRM“. Weil Deprez am Vormittag desselben Tages auch eine Pressekonferenz zur Rentenreform gab, wurde sie schon dort nach der Radiologie in Cloche d’Or gefragt. Nach der Quadripartite wieder. Jedesmal sagte sie, „alle Details“ in Erfahrung bringen zu wollen, dann gebe es eine Stellungnahme von ihr. Acht Tage später, bis zum Redaktionsschluss dieses Artikels, gab es noch immer keine.

Kein Wunder: Die Pauschalen sind ein technisches Thema. CNS und Krankenhausverband reden darüber im Rahmen ihrer Tarifautonomie. Nicht viel mehr könnte die Ministerin sagen. Es sei denn, sie fände wie ihr Vorgänger im Sécu-Ressort, Claude Haagen von der LSAP, dass alles zu lange dauert. Und würde die Pauschalen dekretieren wie Haagen vor drei Jahren einen Tarif für Psychotherapie. Das ist unwahrscheinlich. Die Pauschalen reichen hinein in die Krankenhausfinanzierung und sind von ganz anderem Kaliber als Honorare für Psychotherapeut/innen. Klar ist aber: Für Martine Deprez und die CSV sieht es nicht gut aus, wenn ein IRM still steht. Es sieht schlimmer aus als „sozialistische Planwirtschaft“, die nicht für genug IRM sorge, wie die CSV im Wahlkampf behauptet hatte.

Mit diesem Widerspruch muss Deprez sich im Gesundheitsressort ganz allgemein herumschlagen. Sie hat einiges angekündigt. Die Gesundheitsversorgung will sie „konsequent vom Patienten her“ denken. Will besser vernetzen, was es gibt – Kliniken, Arztpraxen und andere Akteure. Will einen digitalen Informationsaustausch zwischen ihnen allen, ähnlich wie im Vorbild-Land Dänemark. Und eine Prävention, die besser funktioniert als bisher. All das klingt gut, aber das wollten die vorige Regierung und Paulette Lenert (LSAP) eigentlich auch. Schon Lenert hatte Dänemark bereist. Ihr Problem war, dass ihr vor lauter Covid-Management keine Zeit blieb, einen richtigen Plan aufzustellen; zu sagen, was sie wollte und was nicht. Erst im Wahlkampf machte sie Pläne publik, die dann wie Wahlkampfbeiträge aussahen. Und wie „Planwirtschaft“.

Martine Deprez’ Problem ist, dass die Wahlkampfaussagen ihrer Partei sich anhörten wie „mehr Markt“, sogar viel mehr Markt. Die CSV werde „die Privatinitiative freisetzen“, versprach der damalige gesundheitspolitische Sprecher ihrer Fraktion, Claude Wiseler. Doch was im Koalitionsvertrag der Regierung steht, ist nicht viel weniger sozialistisch als die Programme der Regierungen mit LSAP-Beteiligung waren. Luxemburgs Gesundheitssystem ist öffentlich finanziert. Darin mehr Privatinitiative zuzulassen, wird Geld kosten. Martine Deprez erlebt das gerade.

Im Jahr 2028 bei null

Vergangene Woche bei der Quadripartite saß CSV-Finanzminister Gilles Roth mit am Tisch. Hatte seinen Ersten Regierungsrat Luc Feller mitgebracht und Nima Ahmadzadeh, den Direktor der Generalinspektion der Finanzen. Sie wollten sich anhören, was die Vertreter von Patronat und Gewerkschaften, die die Krankenversicherung der CNS mehrheitlich führen, sich als Staatsbeitrag zur Sanierung der Kasse vorstellen können. Die könnte 2028 leer sein, ganz leer. So steht es in Gilles Roths Mehrjahreshaushalt 2025 bis 2028.

Weil der Mehrjahreshaushalt schon publik war, als die Quadripartite im November zusammenkam, musste Martine Deprez sich damals von OGBL und LCGB anhören, sich um die Krankenversicherung zu kümmern, sei wichtiger als eine Rentenreform bei 27 Milliarden Euro in der Rentenreserve. Politisch sind Renten und Krankenkasse schwer zu trennen. Als die Gewerkschaftler im November nachschoben: „Wenn wir so weitermachen, müssen die Krankenkassenbeiträge erhöht werden, und das wollen wir nicht“, fühlte die Ministerin sich provoziert. Weil sie zum Thema Rentenreform gesagt hatte, es sei keine gute Idee, gleich von Beitragserhöhungen zu reden. Doch auf die Gesundheits-Ankündigungen im Koalitionsvertrag kam die November-Quadripartite auch zu sprechen. Da fanden Gewerkschaften und Unternehmerdachverband UEL zu einer regelrechten Sozialpartnerschaft zusammen. Nach dem Motto: Mir Patrongen a mir schaffend Leit sollen eppes bezuelen, wat de Staat gären hätt! Also müsse die Regierung sagen, welche Gesundheitsprojekte die Staatskasse tragen soll. Und was sie, abgesehen davon, beitragen werde, um die Krankenkasse vor der Pleite zu bewahren.

Klar ist das noch nicht. Im Raum steht, dass der Staat zum Beispiel die Geldleistungen für die insgesamt 20 Wochen Mutterschaftsurlaub (dieses Jahr voraussichtlich an die 163 Millionen Euro) und für die Arbeitsbefreiung schwangerer und stillender Frauen (48 Millionen) übernehmen könnte. Wenigstens einen Teil davon. Oder die Ausgaben für familienbedingten Urlaub (33 Millionen Euro). Und die 20-Prozent-Beteiligung der Krankenversicherung an Klinik-Neubauten. Weil das Abschreibungen sind, sind sie schwer zu beziffern und können von einem Jahr zum anderen differieren.

Insgesamt sind es hohe Millionenbeträge. Mutterschaftsausgaben und Baukosten-Prozente hatte Martine Deprez bei der Quadripartite im November selber ins Spiel gebracht. Beim Treffen vorige Woche sollte es darüber eigentlich Klarheit geben. Fünf Monate lang wurde in einer Arbeitsgruppe mit Deprez darüber diskutiert, wie sich die „Trajektorie“ der Krankenkassenfinanzen, die im Moment nach unten zeigt, umkehren lassen soll. Zwischen 2025 und 2028 würde die CNS rund eine Milliarde Euro brauchen, um nicht ins Minus zu rutschen. Was ungefähr so viel ist wie ein Fünftel eines Jahresbudgets. Also eine Menge Geld.

Ob man dem näher kam, lag vergangenen Mittwoch im Aufge des Betrachters. „Wir haben gut gearbeitet“, sagte UEL-Direktor Marc Wagener nach der Quadripartite dem Land. Gewerkschafts- und Patronatsvertreter in der CNS hätten eine Liste mit 30 Maßnahmen vorgestellt. Nicht nur mit Wünschen nach Staatsbeiträgen. Sondern zum Beispiel auch, dass man doppelte Verschreibungen verhindern will, die es offenbar gibt. Oder dass Krankenkasse und Pflegekasse gelegentlich zweimal dasselbe bezahlen.

„Wir haben gar nicht gut gearbeitet“, meinte dagegen der stellvertretende LCGB-Generalsekretär Christophe Knebeler. Fünf Monate Treffen in einer Arbeitsgruppe –und am Ende habe die Sozialministerin noch immer nicht sagen können, was die Staatskasse tragen werde. Stattdessen den Finanzminister zur Quadripartite mitgebracht. Gilles Roth habe jovial gesagt: „Kommt mal zu mir, dann reden wir über alles.“ Knebeler fand das nicht lustig. UEL und Gewerkschaften hätten ihre Vorschläge gemacht. Nur die dritte Partei, die Regierung, wolle noch immer „schauen, was sich machen lässt“.

Was sich „machen lässt“, müsste der Finanzminister bis zum nächsten Staatshaushaltsentwurf im Oktober wissen. Und für 2026 reicht das Geld der CNS wahrscheinlich noch. Die Finanzierungsregeln der Krankenversicherung sind „sehr trivial“, meinte CNS-Präsident Christian Oberlé vor drei Jahren. Der einzige Maßstab ist, ob sich eine Reserve von mindestens zehn Prozent der Jahresausgaben halten lässt. Solange das klappt, besteht im Grunde kein Handlungsbedarf. Erst wenn es nicht mehr zu funktionieren droht, müsste eine Quadripartite die Beiträge erhöhen, die Leistungen kürzen, die Eigenbeteiligungen anheben, und zwar kurzfristig. Wahrscheinlich müsste es im Herbst 2026 geschehen, damit alles 2027 in Kraft tritt. Oder man findet doch Wege, es zu verhindern. Und entscheidet beizeiten, was sich machen lässt. Also jetzt.

Kranken- und Rentenkasse

Um der politischen Schadensbegrenzung willen müsste der Regierung daran gelegen sein. 2026 dürfte die Rentenreformdebatte ihren Höhepunkt erreichen, 2027 vielleicht noch nicht abgeschlossen sein. Nebenher noch eine Krankenkassendebatte führen zu wollen, wäre kühn. Gar nicht zu reden von den Neuerungen, die im Koalitionsvertrag stehen, Geld kosten werden und bis dahin politisch vielleicht kein Thema sein können. Koalitionspartner DP fürchtet das schon. In der Debatte im Parlament die Erklärung zur Lage der Nation beklagte DP-Präsidentin Carole Hartmann vor zwei Wochen, dass Premier Luc Frieden nichts zur „Santé“ gesagt hatte. Nichts über eine bessere Versorgung außerhalb der Krankenhäuser, über Centres médicaux, Chirurgie auch außerhalb der Kliniken, Radiologie natürlich und Ärztegesellschaften. Dem Land sagte Hartmann anschließend, nach den Kammerwahlen hätten CSV und DP „gerade zum Thema Gesundheit sehr schnell zueinander gefunden“. Zeit zum Handeln sei jetzt. Änderungen brauchten Zeit.

Aber die Finanzprobleme der CNS sind eben nicht nur konjunkturelle, weil die Beschäftigungsentwicklung und damit die der Beitragszahler eingebrochen ist. 2024 lag der Arbeitsplatzzuwachs bei nur einem Prozent, war damit der niedrigste seit 2009. Für dieses Jahr ging das Statec in seiner letzten Schätzung von 1,4 Prozent aus und für 2026 von 2,2 Prozent. In den vergangenen zwei Jahrzehnten lag der Jahresdurchschnitt bei drei Prozent.

Die Probleme sind auch strukturelle. Seit 2018 wachsen die Ausgaben schneller als die Einnahmen und die Reserve schrumpft. Dass 2024 das Defizit der Krankenversicherung mit 25,8 Millionen Euro wahrscheinlich kleiner ausfiel als die im Herbst geschätzten 37,9 Millionen und dieses Jahr statt 160 Millionen wohl nur 130 Millionen betragen wird, ändert nicht viel an der Struktur der Ausgaben. Für Kinesitherapie könnten sie dieses Jahr um elf Prozent steigen. Für Medikamente in Apotheken um acht Prozent, in Spitälern um elf Prozent. Nur zum Beispiel, und das sind Trends, die schon seit Jahren bestehen. Über alles nehmen die Ausgaben seit 2023 um zehn Prozent jährlich zu. Für neue Ausgaben ist da kein Platz. Die Generalinspektion der Sozialversicherung warnte davor in ihrem Bericht an die Quadripartite im November und riet zur „prudence face à toute initiative de changement structurel, même mineur, dans l’organisation de l’assurance maladie“.

Eigentlich ist die Lage so verzwickt und komplex, dass eine größere Reflexion angebracht wäre. Über die Rolle, die alle Akteure im System spielen sollen und wieso; wie man sie finanziert und wie viel Staat und wie viel Markt gelten sollen. Nötig ist das seit vielen Jahren. Ob es nun passieren wird, ist unklar. CSV und DP haben im Koalitionsvertrag eine „Strategie“ aufzustellen vereinbart. Noch ist davon keine Rede; zunächst soll die Krankenversicherung stabilisiert werden. Im Moment geschieht das auch, indem an den Honorartarifen für die Dienstleister gepart wird. Alle zwei Jahre werden sie angepasst, verhandelt die CNS dazu mit den Dienstleistergruppen. Diesmal gewährt die CNS von dem, was an Aufbesserung möglich wäre, nur die Hälfte. Vielleicht ist das auch der Ansatz, mit dem sie über die Pauschalen zur Finanzierung von Spital-Antennen mit Radiologie verhandelt. Eigentlich hat jedes Spital seine Besonderheiten und will die in den Pauschalen gerne berücksichtigt sehen. Doch pauschal ist pauschal; das Geld ist knapp, also geht die CNS normativ vor. Gibt es keine gesundheitspolitischen Vorgaben, steigt die Kasse in die Rolle, Gesundheitspolitik über die Zuweisung von Geld zu machen.

Diesen Mittwoch beklagte der Ärzteverband AMMD sich über die Gesundheitspolitik. Und wünschte sich mehr Markt, wie CSV und DP das versprochen hatten: Ärztehäuser, Angebote außerhalb der Spitäler, Ärztegesellschaften. Warum Martine Deprez den Gesetzentwurf Paulettte Lenerts über die Gesellschaften zurückgezogen hat, „versti mir bis haut net richteg“.

Aber vielleicht sind solche politischen Schritte nicht möglich, solange die Rentenreform sich zum Sozialkrach zu entwickeln droht und solange die Gesundheits- und Sozialministerin mit diesem Vorhaben in der Schusslinie steht. Dass OGBL und LCGB seit einer Woche eine Tripartite zu allen Themen verlangen, von den Kollektivverträgen bis hin zu den Renten, und solange an keinen „Tischen“ mehr teilnehmen, gilt auch für Martine Deprez’ Arbeitsgruppen zu den Finanzen der CNS.

Peter Feist
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