Porn made in Luxembourg (6)

Paul Kerjean

d'Lëtzebuerger Land vom 30.09.2011

Geschäftig ging es um den Ersten Weltkrieg in der Villa eines Hamburger Kommerzienrats zu, so DAS HAUS DER LIEBE Erotische Milieuschilderung von Paul Kerjan Privatdruck Luxembourg 1930. Denn zuerst lassen sich die beiden halbwüchsigen Töchter recht didaktisch vom Pferdeknecht in die Praxis des Geschlechtsverkehrs einführen. Bildungsbürgerlich stilvoll, versteht sich: „Darum bettete er sie ins Heu und ließ sich vor ihr nieder. Er drückte ihre Schenkel auseinander und öffnete das wundervolle Tabernakel zwischen den weißen Säulen dieses Domes ihrer Liebe, indem er die weißen Schamlippen mit den Fingern trennte“ (S. 27). Die Frau Kommerzienrat geht unterdessen mit der Zofe und einem zarten Jüngling fremd, der Herr Kommer[-]zienrat mit der korpulenten Köchin, betrachtet aber auch mit „wollüstigen Wohlgefallen“ (S. 91) seine minderjährige Tochter. Andere Dienstmädchen pflegen den Beischlaf untereinander und werden so nebenbei Opfer einer Vergewaltigung.

Das Haus der Liebe, das sich im Stil der Zeit als Milieustudie wissenschaftlich rechtfertigt, wurde in einer weiteren Ausgabe unter dem abweichenden Titel Ville d’amour Erotische Milieu-Schilderung von Paul Kerjean Illustriert Luxembourg 1930 veröffent[-]licht. Mit durch die Klassenverhältnisse manchmal verkehrten Geschlechterrollen spielt noch deutlicher das zweite Werk des Autors, Thea, Anita und der Negerknabe, welches laut einem vervielfältigten Typoskript in einer Privatsammlung eindeutig „von PAUL KERJEAN. Luxemburg 1930.“ stammt. Im „Rosenschlösschen“ einer Gräfin im Taunus erzählen sich zwei Freundinnen ihre Liebesabenteuer, darunter die Titelgeschichte, in der sich die Komtesse in Ostende einen jungen Afrikaner als willenlosen Sexsklaven leistet, „Jumbo sein mit zehn Jahren von Master gekauft worden für ein Stück Tuch und eine Tabakpfeife“ (S. 41). Was wie peinliche rassistische Phantasien aus längst vergangenen Zeiten erscheinen mag, klingt nach der Begegnung zwischen dem Direktor des Internationalen Währungsfonds und einem afrikanischen Zimmermädchen wieder ganz realistisch. Die jungen Heldinnen erinnern sich auch, wie sie im fachkundig geschilderten sado-masochistischen Verkehr erst einen Lord und dann einen Baron dominierten. Die vierte Geschichte handelt schließlich von einem Fürsten, der eine unnahbare Gräfin aus Budapest in sein Karpatenschloss entführt und mit Aphrodisiaka gefügig macht.

Als einer der wenigen Pornografen hat der flüssig, wenn auch mit den Konventionen und Klischees der pornografischen Literatur schreibende Paul Kerjean es in das Luxemburger Autorenlexikon geschafft. Doch das Handbuch klagt: „Über die Biografie des Autors liegen zzt. keine Informationen vor. Es handelt sich bei dem Namen P.K. vermutlich um ein Pseudonym“(S. 318). Den Verdacht, dass es sich um ein Pseudonym handelt, erhärtet die Tatsache, dass auf der Titelseite von Das Haus der Liebe der Autor „Kerjan“ heißt. Doch wer verbirgt sich hinter dem Pseudonym?

Nach dem Zweiten Weltkrieg erschien ein Neudruck von Ville d’Amour als Anhang von Das Glashaus. Sittenschilderung aus der Zeit des zweiten Kaiserreiches, einer Übersetzung des österreichischen Schriftstellers Ernst Klein (1876-1951) unter dem Pseudonym Richard Werther. Obwohl Klein unter verschiedenen Pseudonymen und mit fiktiven Druckorten etwa zwei Dutzend pornografische Bücher verfasste, muss dies keineswegs heißen, dass Klein auch hinter dem Pseudonym Paul Ker[-]jean steckt und Luxemburg lediglich ein fiktiver Druckort ist. Eine andere nahe liegende Erklärung wäre, dass Paul [-]Kerjean ein Anagramm von Ker Jean-[-]Pierre (1900-1951) ist, einem Taubstummenlehrer, der als Autodidakt für Festschriften und Kinderbücher zeichnete und malte. Das Haus der Liebe enthält immerhin drei, wenn auch ungeschickte, handkolorierte Illustratio[-]nen ohne Signatur.

Romain Hilgert
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