Kino

Generationskonflikt

d'Lëtzebuerger Land vom 26.02.2021

Viggo Mortensen hat es nach dem weltweiten Erfolg von The Lord of the Rings vermieden, in den ganz großen Filmproduktionen mitzuwirken. Vielmehr sucht er sich seine Projekte mit äußerster Sorgfalt aus und setzt dabei immer wieder auf kleine Independent-Produktionen wie Captain Fantastic (2017) oder auf größere Filme an der Schnittstelle zwischen Arthouse und Hollywood wie in Peter Farrellys Green Book (2019).

Mit seinem neuen Film Falling bleibt er dieser Linie treu, Mortensen übernimmt darin nicht nur die Hauptrolle, er schrieb das Drehbuch und führte erstmals Regie. Vieles spricht mithin dafür, diesen Film als Herzensprojekt zu sehen, denn die wenngleich fiktionale Geschichte nährt sich doch eigenen Angaben zufolge stark aus Mortensens Kindheitserfahrungen und Familienerinnerungen und der im Abspann erscheinende Verweis auf seine beiden Brüder bekräftigt die sehr persönliche Ausrichtung des Films. Falling ist die Geschichte von der immer schwieriger werdenden Beziehung zwischen John Peterson (Viggo Mortensen) und seinem unter Demenz leidenden Vater Willis (Lance Henriksen).

Das Hauptkonfliktfeld des Films liegt in der Familie, also an dem Ort, an dem Amerikas Seele sitzt. Der Vater ist ein frauenfeindlicher, rassistischer und homophober Egozentriker, der keinerlei Hehl daraus macht, dass ihm die offene Homosexualität seines Sohnes und seine Beziehung zum koreanischen Krankenpfleger Eric (Terry Chen), mit dem er zudem ein adoptiertes Kind großzieht, missfällt.

In diesen eindringlich gespielten Szenen eines zwischen Geduld und Verzweiflung oszillierenden Mortensen und dem mit präziser Aggression auftretenden Henriksen vermittelt sich das Bild einer gestörten Familie, in der es nicht so sehr an Liebe mangelt, sondern an Kommunikationsfähigkeit. Henriksen verschreibt sich der großen Geste, agiert nahezu bis ins Groteske überzeichnet, Mortensen hingegen spielt zurückgenommen, auf die feine Mimik konzentriert. Was aber in den Momenten der Ruhe durchscheint, ist die bedingungslose Liebe, die der Sohn für seinen Vater empfindet: Dass der Vater an der Krankheit zugrunde geht, steht fest. Bis es aber so weit ist, soll er der sein, der er ist: Der Störfaktor innerhalb einer ansonsten intakten Familienharmonie. Was da bleibt sind die Erinnerungen, der Rückzug in die Glücksmomente der Vergangenheit.

Mortensen entfaltet dieses Familienporträt über mehrere Zeitebenen, blickt aus der Gegenwart qua Rückblende in die Vergangenheit ohne dabei immer ganz transparent werden zu lassen, aus welcher der Perspektiven dieser Vater-Sohn-Beziehung das Vergangene betrachtet wird, noch, ob die Erinnerungen sich tatsächlich so abgespielt haben. Das schafft beinahe lyrische Passagen, die begleitet von den Klängen Mortensens eigener Klavierkompositionen, über die Vergänglichkeit menschlicher Erinnerung reflektiert – und das in einem Film, der zentral um die Fragen der Gedächtnisleistung, der Vergesslichkeit und die Fragilität des Menschen selbst kreist.

Dem Anspruch eines wirklichkeits-bezogenen sozialen Dramas verpflichtet, erzählt Mortensen ferner auch vom Generationsunterschied und beschaut in Falling ausgehend von den familiären Brüchen auch die tiefen Risse in der US-amerikanischen Gesellschaft, die in den letzten Jahren mit neuer Vehemenz aufgekommen sind. Die Bilder wirken stellenweise wie in Nostalgie getaucht; eine wehmütige Erinnerung an die Obama-Ära scheint da durch ohne dabei aber in einen überquellenden Gestus der Emotionalität zu verfallen: Keine großen, tränenreiche Gefühlsausbrüche, keine dramatischen Wendepunkte gibt es in Falling; anstelle plötzlicher Erkenntnis tritt viel eher das Gefühl von einsichtigem Verständnis – das Unveränderliche, das Unüberbrückbare wird letztendlich akzeptiert. Viggo Mortensen – ohnehin ein künstlerisches Multitalent,
der auf den Gebieten der Fotographie, Musik und der Malerei äußerst bewandert ist – beweist mit Falling ein feines Gespür für die Filmregie, größere Aufmerksamkeit, fernab des Arthouse-Kinos, dürfte der Film allerdings nicht erreichen.

Marc Trappendreher
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