Polizei-Nachwuchs

Paradoxe Situation

d'Lëtzebuerger Land vom 23.09.2010

„Etwas mit Natur und Tieren“. So stellte sich die 17-jährige Rachel Pleger ihren Beruf vor. Damals besuchte sie die Ackerbauschule in Ettelbrück udn hatte keine rechte Vorstellung von ihrem zukünftigen Beruf. Ein Klassenkamerad ging zur Polizei, der brachte sie auf die Idee. „Ich hatte früher nur das Bild vom Polizisten, der ärgerliche Strafzettel verteilt.“ Der Freund vermittelt ihr ein anderes Bild: Die Pferde- oder Hundestaffel klangen ideal, um ihre Vorlieben für Tiere mit dem Beruf zu verbinden. Rachel bewarb sich.

Das war vor drei Jahren, mit ihr bewarben sich fast 400 andere. Heute sitzt die 22-Jährige im holzvertäfelten Sitzungssaal, um von ihrem Beruf zu erzählen, neben ihr sind Pressesprecher Vic Reuter und Polizeischuldirektor Christian Gatti. „Das war ein geburtenstarker Jahrgang“, sagt Gatti. Gewöhnlich liege die Zahl der Bewerbungen zwischen 200 bis 300.

Die Aufnahmeprüfung, ein Sprachtest in Deutsch und in Französisch sowie Landeskunde, schaffte Rachel mit links. Auch die medizinischen und psychologischen Tests, die ihre Eignung zur Polizistin prüfen sollen, bereiteten der quirligen Frau mit dem Pferdeschwanz keine Probleme. Auf die Sportprüfung – Laufen, Springen, Liegestütze – bereitet sie sich mit einer Freundin vor: „Ich hab’s nicht so mit dem Laufen.“ Körperliche und psychische Fitness sind wichtig „Ein Polizist muss belastbar sein“, unterstreicht Gatti.

Nerven hat die junge Frau, auch wenn sie das Anfängertraining auf eine harte Probe stellte. Kaum war sie in der neuen Schule angekommen, hieß es den blauen Polizeirucksack packen und ab auf den Herrenberg. Das dreimonatige Training ist Teil der zweijährigen Grundausbildung. Und was heißt Training? Drill trifft es besser. „Das war heftig, vor allem der erste Tag“, sagt Rachel rückblickend. „Wir mussten mit dem Rucksack bergauf laufen.“ Immer wieder mussten die Polizeianwärter die Anhöhe neben dem Polizeischultrakt hinauf und wieder hinunter rennen, zogen und zerrten sie unter lautes Zurufen der Trainer Körbe und Taschen nach oben. „Meine Arme waren an dem Abend Pudding“, erinnert sich die junge Frau lachend.

Nicht jeder hält die Anstrengung durch. Ein junger Mann warf noch am ersten Tag das Handtuch: „Das muss ich mir nicht geben.“ Rachel biss die Zähne zusammen. „Wir haben uns gegenseitig angespornt, das durchzuhalten.“ Für die Polizeiausbildung ist der militärische Drill eine wichtige Etappe. „So erkennen wir, ob die Kandidaten die physischen und psychischen Eigenschaften mitbringen, die der Beruf erfordert“, sagt Pressesprecher Vic Reuter. Sich unter Kontrolle zu haben, ist für den Polizeiberuf unabdingbar. Auch wenn das nicht immer gelingt, wie die Jahresberichte der Generalinspektion der Polizei belegen: Jedes Jahr gehen dort Beschwerden von Bürgern ein, die sich über unfreundliche Beamte und ruppige Einsätze beschweren. Im Jahr 2009 waren es besonders viele: mit 303 Beschwerden lag ihre Zahl um 25 Prozent höher als ein Jahr zuvor (250). „Nous pensons que cette tendance n’est cependant pas le signe d’une plus grande ‚criminalisation de la Police‘, mais plutôt d’une plus grande prudence du ministère public qui, depuis quelque temps, démontre une tendance à privilégier les enquêtes pénales par rapport aux enquêtes administratives ou disciplinaires“, kommentiert die Polizei der Polizei.

Der Job ist oft kein Zuckerschlecken, die Situation paradox: Als Berufswunsch rangiert der Polizist immer noch in den Beliebtheitsskalen weit oben, auf der Straße aber haben die Beamte mit sinkendem Respekt und steigender Aggression zu kämpfen, die sich auch in Tätlichkeiten entlädt. Ein typischer Einsatz: Beamte müssen einen Mann, der seine Frau geschlagen hat, aus der gemeinsamen Wohnung verweisen. Oder jemand ruft wegen Ruhestörung und Trunkenheit aus einer Kneipe die Polizei. Dort angekommen, kippt die Stimmung und plötzlich sind es die Beamten, die attackiert werden.

Da heißt es, einen kühlen Kopf bewahren. „Sozialkompetenzen spielen eine große Rolle“, sagt Vic Reuter. In Schulungen werden Deeskalation und friedliche Konfliktlösung geübt. Mit dem raubeinigen Fernsehkommissar, der mit kreativen Ermittlungsmethoden und gezückter Pistole Verbrecher aushebt, hat der Berufsalltag wenig zu tun. Die Waffe darf nur im Notfall eingesetzt werden. „Das kommt maximal zwei bis drei Mal im Jahr vor“, sagt Gatti.

Noch etwas zeigt der Härebierg: ob der Anwärter oder die Anwärterin Teamgeist, Gehorsam und Disziplin mitbringt. Die Polizei gehört, neben der Armee, zu den letzten verbleibenden Berufen mit ausgeprägtem Korpsgeist. Wer sich nicht einfügen will, hat dort nichts verloren. Wer die Strapazen durchhält, alle Prüfungen besteht und dazu genügend Berufserfahrung gesammelt hat, dem bieten sich viele Karriereoptionen: bei der Spurensicherung, der Kripo oder dem Sondereinsatzkommando – wenn man das nötige Rüstzeug mitbringt. Für die Bewerbung als Inspektor reicht ein Technique- oder Techniker-Abschluss aus, die Anforderungen liegen in Luxemburg damit etwas niedriger als beim deutschen Nachbarn. In Nordrhein-Westfalen müssen Polizeianwärter seit 2008 ein dreijähriges Bachelor-Studium absolvieren.

Aber auch in Luxemburg wird längst nicht jeder Polizist. Bewerben können sich nur Luxemburger Staatsangehörige, die nicht jünger als 17 und nicht älter als 30 Jahre sein dürfen. Eine Regelung, die wegen der Freizügigkeitsregel in der EU fragwürdig ist. Quereinsteigen geht nicht, jeder muss durch die harte Grundausbildung. Von den anfänglich 200 bis 300 Bewerbern bleiben am Ende meistens zwischen 60 bis 80, das Gros Männer. „Wir rekrutieren selbstverständlich auch Frauen“, betont Vic Reuter. Die „Genderbalance“ sei wichtig. Frauen hätten „andere Qualitäten“. In Konfliktsituationen stünden sie aber „gleichermaßen ihren Mann“, fügt der Pressesprecher eilig hinzu. Der Frauenanteil liege bei sieben bis neun Prozent, rechnet Direktor Christian Gatti vor. Frauen seien auf allen Führungsebenen vertreten, auf den oberen sogar etwas stärker. Bis zur „Genderbalance“ ist es aber noch ein Weg.

Für Rachel spielt das Geschlecht keine große Rolle. Allein unter Männern zu sein, ist sie gewöhnt: „Das war schon an der Ackerbauschule so“, sagt Rachel und nach einer kleinen Pause fügt sie hinzu: „Selbstvertrauen ist wichtig.“ Nachteile habe sie, beteuert die junge Frau, wegen ihres Frauseins nicht. „Wir waren immer ein Team“, unterstreicht sie, die nun als Zweitbeste ihres Jahrgangs abschließt. Einige dumme Sprüche oder Frotzeleien habe es „hier und da“ mal gegeben, „aber das gehört wohl dazu, um uns anzustacheln“. Ansonsten sei die Atmosphäre „sehr kollegial“.

Vergangenen Freitag dürfte die Stimmung extra gut gewesen sein: Rachel Pleger wurde zusammen mit ihren Kameraden vereidigt. Ihr nächster Einsatz? „Ich werde auf einer Polizeiwache praktische Erfahrungen sammeln“, freut sie sich. Was genau sie innerhalb der Polizei machen will, Spuren sichern, Drogenhandel bekämpfen oder lieber Kriminalfälle lösen, weiß sie noch nicht. „Ich gucke von Tag zu Tag.“ Nur in einem Punkt hat sie sich definitiv entschieden: Hundeführerin will sie nun nicht mehr werden.

Ines Kurschat
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