Sekundarschulreform

Herausgefordert

d'Lëtzebuerger Land vom 23.09.2011

Chancë ginn – Chancen notzen, lautet das Motto der diesjährigen Rentrée scolaire. Das Versprechen einlösen, will Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres, in dem sie den Kompetenz-ansatz, der seit zwei Jahren den Alltag der Grundschulen prägt, in die Sekundarstufe fortschreibt.

Damit die Logik von der Spillschoul bis zum Abschlussexamen wirksam greift, muss die Ministerin noch einen Baustein hinzufügen: die Orientierungsprozedur nach dem vierten Zyklus respektive nach der sechsten Grundschulklasse muss ebenfalls überarbeitet werden. Das wäre dann auch der Moment, um den Erkenntnissen aus Untersuchungen wie der Magrip-Studie Taten folgen zu lassen: Wenn das Elternhaus und die soziale Herkunft weniger prägend für den Bildungsweg unserer Kinder sein soll, wenn jeder so qualifiziert wie möglich ins Leben starten soll, dann müssen künftig die kognitiven Fähigkeiten unserer Jungen und Mädchen in der Versetzungsprozedur stärker berücksichtigt werden.

Ob das zu mehr Chancengerechtigkeit führen wird, insbesondere für die strukturell in unserem Schulsystem Benachteiligten – die Kinder aus bildungsarmen und einkommensschwachen Elternhäusern –, muss sich erst zeigen.

Sicher ist, dass mit dieser Reform für die sozialistische Ministerin eine der schwierigsten Etappen ihrer zweiten Amtszeit beginnt: Die Lehrer in den Sekundarschulen sind gut organisiert, und die Gewerkschaften haben schon erste Kostproben ihrer Streitlust gegeben. Mit der Reform werden sich Fächer, Bewertung und die interne Schulorganisation ändern. Da sind Konflikte programmiert, egal wie sehr sich die Ministerin bemüht, die Direktionen, Koordinatoren und andere Lehrer mit ins Boot zu nehmen.

Mit dem neuen Rahmengesetz werden die Lyzeen zum ersten Mal überhaupt zur systematischen Entwicklung verpflichtet. Man kann kritisieren, dass der Akzent zu stark auf dem Output liegt – den Schülerleistungen. Aber eine Schule, die nicht den Anschluss verlieren, die sich entwickeln will, muss sich zuerst selbst kennen, dann gemeinsame Ziele setzen und sich schließlich Instrumente geben, um diese zu erreichen.

Erziehungswissenschaftler betonen: Eine gute Schule bedeutet guten Unterricht. Das würden sogar reformskeptische Lehrer unterschreiben – um dann über unmotivierte Schüler zu klagen.

Aber es geht nicht allein um die Motivation und Qualifikation der Jugendlichen, sondern auch um die der Lehrer. Bloß: Wie motivieren, wenn neue Rollen verunsichern? Wozu sich noch mehr engagieren, wenn man nicht den Mehrwert erkennt, sondern nur die Mehrarbeit? Wenn man statt Chancen nur Risiken sieht? Wie die Besten gewinnen für einen Beruf, der zwar ein sicheres Gehalt bietet, aber immer weniger Gewissheiten?

Nach dem Hämmern und Klopfen an neuen Strukturen und Inhalten wird das die eigentliche große Herausforderung sein.

Ines Kurschat
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