LEITARTIKEL

Steine ins Wasser

d'Lëtzebuerger Land vom 08.09.2023

Vor zwei Wochen erschien im Wort ein Meinungsartikel mit der Überschrift „Vers une médecine du future“. Er handelte nicht davon, dass dringend Ärztehäuser mit Magnetresonanztomografen eingerichtet werden müssten. Oder von der Auslagerung von Aktivitäten aus den Spitälern, weil die zu groß geworden seien, träge und innovationsresistent. Dass sich nur so der Arztberuf attraktiv halten lasse und Luxemburg im europaweiten Konkurrenzkampf um Ärzt/innen nicht abgehängt wird. Der Autor, Gregor Baertz, ist Krankenhausarzt an den Hôpitaux Robert Schuman, war während zehn Jahren und bis Anfang 2021 medizinischer Direktor der HRS. Ihm geht es um den Spitalsektor. Um die Qualität der Behandlungen. Um die Organisation dessen, was die Kliniken tun. Um die Arbeitsbedingungen von Ärzt/innen und Pflegepersonal. Um die Einkommensunterschiede zwischen angestellten und freiberuflichen Klinikärzt/innen und Unterschiede je nach Fach.

Lauter Themen, die in der politischen Diskussion der letzten Jahre nur eine untergeordnete Rolle spielten. Wo die Gesundheitsministerin von der LSAP, nachdem die Covid-Krise halbwegs ausgestanden war, zu improvisieren begann, damit aufkommende Ärztehäuser-Initiativen nicht das System sprengten. Wo die CSV dies, als das Wahljahr nahte, als fortgesetzte „sozialistische Planwirtschaft“ und „Unterdrückung der Privatinitiative“ zu brandmarken begann und die DP es für politisch opportun hielt, ins gleiche Horn zu stoßen.

Verkehrt ist es nicht, die Frage zu stellen, ob die medizinische Versorgung angepasst werden und es über Land zusätzliche Angebote geben muss. Schon wegen des demografischen Wachstums und des durch Immoblienpreisunterschiede anhaltenden Sogs, in den ländlichen Raum zu ziehen. Und groß ist die Rolle der Spitäler in der Versorgung ja. Aber gerade deshalb müssen Veränderungen hin zu einer „Medizin der Zukunft“ dort beginnen.

Gregor Baertz macht dazu in seinem Artikel mehrere Vorschläge. Etwa den, ein „système intégré“ zu schaffen, in dem die vier großen Centres hospitaliers eine „gouvernance unique“ erhalten würden. An deren Verwaltungsrat sollten auch Patientenvertreter beteiligt sein. Die einheitliche Klinikführung könne es zum Beispiel erlauben, Kompetenzen für komplexere und seltenere Fälle zu bündeln. Wodurch sich die Behandlungsqualität steigern ließe, die Attraktivität des Arztberufs ebenfalls, und es könnten Verbindungen zur Forschung entstehen.

Schon das sind ziemlich große Steine ins Wasser. Zu hoffen ist, dass das möglichst viele Wellen ausgelöst hat, dass sie noch nicht abgeklungen sind, den Wahlkampf erreichen und die Koalitionsverhandlungen nach den Wahlen. Eine stärkere Bündelung von Komptenzen zum Beispiel ist seit Jahrzehnten gewollt, tritt aber auf der Stelle. Denn es wären Fragen zu beantworten, die sich um die Luxemburger Klinikmedizin schon lange stellen: Wie sollte sie strukturiert und organisiert sein? Wer trägt welche Verantwortung? Wie sorgt man für Qualität? Wer kontrolliert was? Inwiefern sollten Ärzt/innen besser angestellt sein als freiberuflich? Wie finanziert man alles? Die Liste ließe sich noch fortsetzen. Und das Problem ist, dass eine Frage allein sich nicht gut beantworten lässt, wenn man die anderen auf der Seite lässt.

Deshalb geht die Diskussion um „IRM“ und „Privatinitiativ“ an den eigentlichen Herausforderungen vorbei. Ob die nächste Regierung sie aufgreifen wird, ist nicht sicher. Vielleicht braucht es vor den Wahlen noch mehr Steine ins Wasser. Oder es dauert noch ein paar Jahre, bis der CNS das Geld für die Krankenversicherung ausgeht. Oder aus einem Krankenhaus verabschieden sich so viele Ärzte gleichzeitig in eine Privatpraxis, dass ein Klinikkonzern aus dem Ausland gerufen werden muss, um die Notaufnahme aufrecht zu erhalten.

Peter Feist
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