Marc Fischbach möchte dort fortfahren, wo Jean-Louis Schiltz mit der Abberufung des Generalstabschefs aufgehört hatte, und den ganzen Generalstab abschaffen

Ein Bundeswehr-Generalinspekteur

d'Lëtzebuerger Land vom 26.10.2012

Bei der Weihnachtsfeier vor einem Jahr auf dem Diekircher Herrenberg hatte Verteidigungsminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) Alarm geschlagen. Als Minister müsse er verhindern, dass die Armee „zerstört wird“. Denn die Armee sei „krank“, die Atmosphäre fand er „unmöglich“, es fehle an „festen rechtsstaatlichen Regeln“.
Über eine drohende Zerstörung spricht einer von Halsdorfs Vorgängern, Marc Fischbach, zwar nicht. Aber sonst gibt er dem amtierenden Minister Recht in seinem diese Woche überreichten Rapport sur l’état de l’armée luxemburgeoise. Denn er nennt die Atmosphäre in der Armee „beunruhigend“. In den Gesprächen, die er seit Anfang des Jahres geführt habe, habe er Spannungen und Reibereien innerhalb der Hierarchie festgestellt, zwischen Offizieren und Unteroffizieren, aber auch zwischen den Unteroffizieren. Es mangele an Korpsgeist.
Das alles ist nicht neu. Denn der Zweetklass-Muppi klagt schon lange über selbstgefällige Offiziere, denen es an Professionalismus mangelt. Wesentlich wurde die Moral der Truppe vom Neid auf das 2007 eingeführte „Superprivileg“ für Soldaten im Auslandseinsatz untergraben. Beklagt wird der schlechte Zustand der Unterkünfte auf dem Herrenberg oder der Kauf angeblich unzureichend gepanzerter Erkundungsfahrzeuge.
Aber auch die christlich-sozialen Verteidigungsminister destabilisieren mit ihrer erratischen Politik die Armee: Jean-Marie Halsdorf bekommt auf dem Herrenberg vorgeworfen, Konflikte nicht zu lösen, sondern sich lieber tot zu stellen. Für Unzufriedenheit sorgten seine Entscheidungen, einzelne Offiziere oder Unteroffiziere über das Renteneintrittsalter hinaus im Amt zu lassen. Sein Vorgänger Jean-Louis Schiltz hatte mit der Abberufung von Generalstabschef Nico Ries sogar für jahrelanges Chaos an der Armeespitze gesorgt.
Erst als die Konflikte vor einem Jahr mit der Meuterei gegen Einsparungen beim Sankt-Nikolaus-Gebäck publik wurde, sah Halsdorf sich zum Handeln gezwungen: Er ordnete an, dass drei Tage nach dem Nikolausfest die Boxemännercher doch noch verteilt wurden, und bestellte erst einmal bei seinem Parteikollegen Marc Fischbach, selbst Verteidigungsminister und leidenschaftlicher Kalter Krieger zwischen 1984 und 1989, einen Bericht. Dann brachte er im April nicht ganz geschickt einen Gesetzentwurf zur Refom der Militärorganisation ein, der sich darauf beschränkte, bei der Gewährung des umstrittenmen „Superprivilegs“ die Ausbildungszeit auf die Dienstzeit bei Auslandseinsätzen anzurechnen.
Bei seiner Suche nach den Wurzeln des Unbehagens stellt Marc Fischbach die Reform von 2007 nicht in Frage. Auch wenn sie die wesentliche Ursache ist. Sie verlagerte den Schwerpunkt von einem militärischen Auftrag der Armee auf einen politischen. Statt alleine oder in einem Bündnis die Landesverteidigung zu sichern, soll die Armee weit außerhalb der Landesgrenzen an Nato-, UN- und EU-Interventionen in strategisch relevanten Gebieten Afrikas, Asiens und des Balkans teilnehmen. Doch die meisten Jugendlichen, die sich zur Armee melden, tun das in der Absicht, trotz einer niedrigen Qualifikation eine sichere Arbeitsstelle im öffentlichen Dienst zu erhalten, sei es bei der Polizei, dem Zoll, der Straßenbauverwaltung oder einer Gemeinde.
Durch die 2007 vom Staatsrat als Zweiklassensystem vehement abgelehnte Schaffung der Unités de disponibilité operationnelle (UDO) erhalten Soldaten, die sich von Anfang an zu Auslands­einsätzen melden, nach ihrem Dienst als „Superprivileg“ Vorrang bei der Vergabe von Arbeitsstellen im öffentlichen Dienst. Soldaten, die diesen Einheiten nicht angehören, fühlen sich deshalb übergangen und fragen sich, weshalb sie überhaupt zur Armee gegangen sind.
Zudem strapazieren die Auslandseinsätze die begrenzten Mittel der Armee. Laut Fischbach verfügt die Armee derzeit nur über 260 der laut Generalstab benötigten 350 einsatzbereiten Soldaten. Ab nächstem Jahr müssen sie sich zudem für die schnellen Eingreiftruppen von Nato und Europäi­scher Union bereit halten. Deshalb schließt sich Fischbach den Wünschen des Generalstabs an, den Freiwilligendienst um ein Jahr zu verlängern. Damit die Soldaten bis ans Ende ihrer Dienstzeit der Fahne treu bleiben, soll ihr Sold gesenkt und ihre Abgangsprämie erhöht werden. Ein niedrigerer Sold soll die Soldaten auch ermuntern, nach ihrem Dienst eine Arbeit mit einem niedrigeren Lohn anzunehmen.
Für das Unbehagen in der Armee macht Marc Fischbach das Syndicat professionel de l’armée  luxembourgeoise und dessen Präsidenten mitverantwortlich. Deshalb verlangt der ehemalige Richter und Ombudsmann trotz der in der Verfassung gewährleisteten Gewerkschaftsfreiheit ein gesetzliches Verbot für die Verantwortlichen von Ämtern und Verwaltungen, Gewerkschaftspräsidenten zu werden.
Ohne persönlich zu werden, wirft Fischbach auch der Armeeführung vor, nicht immer ein mustergültiges Verhalten an den Tag gelegt zu haben. Die Truppe hatte vergangenes Jahr dem „Här Generol“ verübelt, erst bei den Boxemännercher gespart zu haben und einen Tag später Prominenz aus Armee und Politik zu einem Festessen in die Offiziersmesse geladen zu haben.
Deshalb rät Fischbach Kollegen Halsdorf, die politische Kontrolle über die Armeeführung zu verstärken. Zwecks „Rationalisierung“ will er dort fortfahren, wo Jean-Louis Schiltz mit der Abberufung des General­stabschefs aufgehört hatte, und den ganzen Generalstab in seiner gegenwärtigen Form abschaffen. Nach deutschem Vorbild soll aus dem Generalstabschef eine Art Bundeswehr-Generalinspekteur werden, das heißt ein Berater des Ministers mit verringerter Entscheidungsgewalt. Er soll mit einigen anderen Offizieren als Ministe­rialbeamte in Halsdorfs Ministerium gegenüber der Kathedrale ziehen; der Rest des Generalstabs soll in die Verwaltung des Diekircher Militärzentrums integriert werden. So könnte sogar die Miete für die eigenständigen Büros des Generalstabs im Bahnhofsviertel gespart werden, freute Halsdorf sich am Mittwoch schon.
Doch die Freude könnte von kurzer Dauer sein. Denn eine solche Umstrukturierung könnte zwar die demokratisch legitimierte Kontrolle der Armee verstärken. Aber die Armeegeschichte ist auch eine Geschichte wiederholter Krisen, die durch eine Vermengung von Parteipoltik und Militärführung ausgelöst wurden.

Romain Hilgert
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