Während im Herbst 2016 ein Sack Reis in China umfiel, erschütterte in Luxemburg ein Skandal die Kunstszene und spaltete Politik- und Medienwelt. Die Kulturszene ist sich einig, wer das Bauernopfer war und wer die Schuldigen. Das Buch von Catherine Gaeng, der Lebensgefährtin des geschassten Mudam-Direktors, geriet zur erwartbaren Abrechnung.
Es war eine Frage der Zeit, bis ein Luxemburger Autor das Thema aufgreifen und die Affäre fiktionalisieren würde. Dass sich Guy Helminger nun dem Stoff gewidmet hat, kann man als Glücksfall bezeichnen. Mit der Die Lombardi-Affäre liefert er eine Fiktion nach, die es in sich hat. In seinem verschachtelten Roman sitzt der Schriftsteller und Moderator Georges Husen auf der Couch beim Psychiater Dr. Laurent, nachdem er seinen Hausnachbarn Bernaz aus nichtigen Gründen umgebracht hat. Er reflektiert seine imaginierten Tatmotive, sinniert über das Leben, die Intrigen und Machtspiele der Luxemburger Politik und blickt zurück auf einen Aufenthalt in China. Husen ist der Überzeugung, dass alles irgendwie miteinander zusammenhängt, dass er das Spinnennetz durchschlagen muss, und kommt in Bezug auf die Affäre zu dem Schluss: „(...) Die Kunstszene hat einen wichtigen Kurator verloren, die Politik hat gezeigt, was ihr Kunst wert ist. Der Premier hat nicht gefragt, ob das stimmt, was da in ‚Heimgesucht‘ gesendet wurde. Wenn Sie mich fragen, lief da die Intrige bereits. Lombardi sollte weg. Luxemburg brauchte niemanden, der gegenwärtig war, höchstens einen Zeitgenossen, der sich modern nannte, und das war Lombardi nicht.“
Durch die Termine beim Psychiater erschließt sich der vermeintliche Skandal retrospektiv, und man blickt mit der Lupe auf die Affäre – allerdings in der Deutung des von einem Verfolgungswahn getriebenen Georges Husen. Das MuzeiKu (Mudam) sollte in seiner avantgardistischen Ausrichtung „zurückgepfiffen werden“ – für Kandinsky oder Picasso sei dort Platz, aber die tätowierten Schweine eines Wim Delvoye oder eine Kacka-Maschine seien doch zu viel des Guten. Zweifellos eine Über-Identifizierung mit dem geschassten Enrico Lunghi, der genau für diese Ausrichtung stand. Im Kopf von Husen läuft die Geschichte so: Bei Kaffee und Apfelkuchen plaudern der Premier und der Generaldirektor des Senders Raymond Scharmell über die Konsequenzen ...
Helminger lässt den Roman beginnen, indem er Husen sagen lässt: „Als ich Bernaz das Küchenmesser an den Hals setzte und seine Schlagader durchtrennte, da war alles da, meine Eltern, meine Kindheit, Bernaz’ Leben, die Romane, die Reisen, Zhang Jiu Mei genauso wie René Haber. Das Großherzogtum mit seinem Premier war da, die Art, wie in diesem Land mit Kunst umgegangen wird. Der Zweite Weltkrieg war da. Die Französische Revolution. Und natürlich die Lombardi-Affäre.“
Fesselnd sind in dem Roman die Passagen im fernöstlichen China, die vorgeblich so gar nichts mit der Luxemburger Realität gemein haben. Sie sind gut erzählt, wirken mystisch, und die Figurenzeichnung besticht durch Menschlichkeit, andererseits durch Grausamkeit und Aggression. – Zum Vergleich: China als autoritärer Überwachungsstaat, in dem die meisten Menschen hart arbeiten, um ihre Existenz zu sichern. Hier merkt man, dass der Autor ein Weltenbummler ist, der es vermag, die Faszination anderer Kulturkreise zu vermitteln, ohne zum Klischee zu greifen. Der Gegensatz zu den eitlen Figuren in Luxemburg liegt hier, vielleicht zu sehr, auf der Hand. In den Passagen, in denen er über die Herkunft seiner Figuren fabuliert, ist sein Roman sehr stark, liest sich leicht und klug wie „Neubrasilien“.
Auch die Monologe Husens über seine verwickelte, letztlich trostlose, ausgelieferte Existenz und den Unterschied zwischen Fiktion und Wirklichkeit – eine Reflexion des Romans auf der Metaebene – sind gewitzt: „Aber haben Sie sich mal gefragt, ob Sie diese Wirklichkeit ohne das Wort „Wirklichkeit“ denken können, ob nicht unsere Sprache die Voraussetzung für unser Denken ist? Sollte das der Fall sein, können wir uns selbst nicht außerhalb von Sprache denken. Wir wären immer schon Literatur“, erklärt der Schriftsteller dem Psychiater.
Husen hat einen Mord begangen, zumindest einen Totschlag aus Wut, verbunden mit dem Wunsch, sein vermeintlich vorbestimmtes Leben zu ändern. Seine Motive sind nachvollziehbar, die Spießigkeit, die Überwachung des Nachbarn, andererseits sind sie selbstgerecht und beschränkt. So auch die grundsätzliche Kritik am mangelnden Kulturverständnis, das der Roman nahelegt. Luxemburg krankt an einem provinziellen Kunstverständnis, der Premier selbst mag in Helmingers „Lombardi-Affäre“ denn auch am liebsten Musicals. In einem Mikrokosmos, in dem in der Kulturszene nahezu jeder jeden kennt, ist die Wut des Georges Husens verständlich, aber sie geht darüber hinaus. Er spiegelt sich in der Affäre und sucht Gründe, sein eigenes Dasein als Nachbar von Bernaz und seine Handlungen zu rechtfertigen.
Der Blick des Autors auf die Affäre fügt dieser nichts hinzu. Eine neue Perspektive wäre auch die der Journalistin (Sophie Schramm, im Buch Juliette Narko) gewesen. Wenn am Ende der Autor und Moderator Husen selbst von der Abschaffung von „Kultur“ – einem Sendeformat, das er moderiert – betroffen ist, so wirkt das dick aufgetragen. Allerdings nur dann, wenn man den Autor Helminger umstandslos mit Husen identifiziert. Trotz ironisch verfremdeter Spitzen gegen Akteure in Politik und Medien dürfte die eine oder andere Leserin sicher ein flaues Gefühl beschleichen, samt der Frage, ob sich hier eine Szene nicht zu sehr um die eigene Achse dreht.