Vielleicht ist Hamlet auch deshalb bei Theaterleuten so beliebt, weil die zweite Szene des dritten Akts als Theater im Theater König Claudius als Mörder entlarvt und so der Schauspielerei einen Zuschauern und Kulturpolitikern einleuchtenden Nutzwert nachsagt. Zur wiederholten Eröffnung seiner Spielstätte inszeniert der Direktor des Nationaltheaters und ab Mai Leiter der Recklinghauser Ruhrspiels, Frank Hoffmann, nichts weniger als Hamlet und stützt sich vor allem auf diese Theaterszene im Stück, um daraus einen Kommentar zur Schauspielerei in Luxemburg zu machen. Die zu Hamlets Aufheiterung bestellte Schauspielertruppe im Stück bricht in die elisabethanische Tragödie ein und spricht nicht nur Rewenig-Luxemburgisch, sondern ist luxemburgisch: deftige, ungeschickte und begriffsstutzige, an Dorfpossen gewohnte Amateurschauspieler, die morgens Rundfunkreklamen für die Sparkasse sprechen und abends kritisches Kabarett spielen, wie Polonius ihnen schon zuvor vorgeworfen hatte. Auf den ersten Blick wirkt das befremdlich. So als wolle Hoffmann, wie mit seinem Theatermacher, in der Geste des zu Hause verkannten Genies den Unterschied machen zwischen ihm selbst als Regisseur von internationalem Format, der Shakespeare in Müller-Übersetzung zu inszenieren versteht, und den kleinen Provinzbanausen der Luxemburger Bühnen. Aber dass die Schauspieler Sparkassenreklamen sprechen müssen, würde Müller, im Gegensatz zu Rewenig, damit erklären, dass das Nationaltheater eines der höchstsubventionierten Theater ist, das seine Luxemburger Schauspieler am schlechtesten bezahlt. Doch der erste Eindruck täuscht. Binnen kürzester Zeit schreiten die Zuschauer verblüfft durch den Spiegel, wissen auf wunderbare Weise nicht mehr, wo beim Theater im Theater Abbildung und Wirklichkeit sind. Sie werden sich bewusst, dass Hamlet nur vom Luxemburger Theater zu handeln vorgibt, aber in Wirklichkeit Luxemburger Theater ist: der aus Film und Werbung bekannte Thierry van Werveke nuschelt sich angestrengt durch einen Text, den er weder zu verstehen, noch in seiner sprachlichen Schönheit zu erfassen scheint. Die Schauspieler stolpern über eine Bühne, die bloß rutschig und sperrig ist. Und der Regisseur hat alles gestrichen, was er für intellektuell oder politisch hält, um sein Publikum unbeschwert mit Slapstick-Einlagen zu unterhalten. Damit der Abgrund keinen Augenblick in Vergessenheit gerät, erinnert Hermann Treusch als König Claudius daran, dass es auf der anderen Seite des Monds auch eine Kunst gibt, mit Sprache und Text umzugehen. Spätestens seit 1996, seit Hamlet in einer Übersetzung in die Star-Trek-Sprache Klingonisch vorliegt (Nick Nicholas und Andrew Strader, Klingon Language Institute, Flourtown, Pennsylvania, USA), kann man Hamlet nicht mehr inszenieren, sondern nur noch über ihn inszenieren. Damit Hamlet nicht ein überdehnter Beliebigkeitstext wie die Bibel oder der Europäische Verfassungsentwurf wird, in dem alles steht und auch sein Gegenteil, muss man das Stück zumindest dekonstruieren. Aber Ziel einer Dekonstruktion kann nur sein, dass man am Ende des Prozesses klüger ist als zu seinem Beginn. Doch bei fast jedem seiner Stücke wirft Frank Hoffmann in Interviews und Programmheften hochtrabende Fragen über Politik und Kunst auf, ohne dann im geringsten zu versuchen, sie mit seiner Inszenierung zu beantworten. "Wieviel Wahrheit verträgt die Wirklichkeit? Welche Bilder gefährden Macht und Politik? Und: Wieviel Theater verdaut das (Luxemburger) Volk noch?", heißt es zu Hamlet. Und verspricht als oder statt einer Antwort "wahres Volkstheater". Dabei leistet sich die kleine Westgemeinde Steinfort schon seit mehr als einem Jahrzehnt ein Ein-Stück-Theaterfestival. Dort wird, unter dem irreführenden Vorwand von Aktualisierung und wahrem Volkstheater, ein Luxemburger "Theaterklassiker" nach dem anderen mit ratlosen Schauspielern und unerbittlichem Klamauk verwurstet. Diesem kommunalen Theaterfestival scheint nun auf Landesebene das Nationaltheater zu entsprechen. Die finanziellen Mittel sind erheblicher, und der Klassiker heißt nun Hamlet, aber Aktualisierung und wahres Volkstheater sind derselbe Vorwand, die Schauspieler sind ebenso ratlos, der Klamauk ist ebenso unerbittlich.
Hamlet, von William Shakespeare; in einer von Heiner Müller überarbeiteten Übersetzung, Textfassung von Frank Hoffmann, mit "Schauspielerszenen" von Guy Rewenig; Inszenierung: Frank Hoffmann; Bühne: Christoph Rasche; Kostüme: Katharina Polheim; Lichtdesign: Zeljko Sestak, Musik: René Nuss. Mit Thierry van Werveke (Hamlet), Chris Anthony, Marc Baum, Yves Bourgnon, Pol Hoffmann, Nora König, Ralf Günter Krolkiewicz, Marc Limpach, Myriam Müller, Max Putz, Christiane Rausch, Annette Schlechter, Roger Seimetz, Raoul Schlechter, Hermann Treusch. Weitere Aufführungen am 22., 31. Januar und 1. Februar, Reservierung unter 47 08 95 1; Informationen: www.tnl.lu.