Vergangenen Sonntag ging die 74. Frankfurter Buchmesse zu Ende: das Event der Buchbranche, das Event der Literatur, die weltweit größte internationale Buchmesse. Vom 19. bis zum 23. Oktober kamen hier Menschen aus aller Welt zusammen. Menschen, die lesen, schreiben, Bücher verlegen oder Bücher verkaufen. Vor der öffentlichen Messe trifft sich hier jedes Jahr das Fachpublikum der internationalen Buchbranche – Verlage, Medienhäuser, Agenturen oder auch Filmproduktionsfirmen – zu Verhandlungen über Übersetzungs- oder Filmrechte und Vorstellungen von Buchprojekten. Dieses Jahr war die Messe anschließend drei ganze Tage für den Publikumsverkehr geöffnet: Von Freitag bis Sonntag tummelten sich neugierige Besucherinnen und Leser zwischen den Messeständen. Zuhörer saßen in Strandliegen oder auf Sitzwürfeln vor Bühnen mit Diskussionsrunden und Lesungen. Zwischen Cosplayern und Frankfurter-Würstchen-Ständen errichteten Live-Dichter oder Spontan-Schriftsteller improvisierte Stände.
Nachdem die Türen der Buchmesse 2020 aufgrund der Corona-Pandemie für die Öffentlichkeit verschlossen geblieben waren, wirkte die Messe 2021 infolge der Hygienemaßnahmen und internationalen Reisebeschränkungen fast leer. Die Flure waren breiter und internationale Aussteller aus außereuropäischen Regionen fehlten, ihre Stände blieben verwaist. Dieses Jahr schien sich die Messe von den Rückschlägen der Pandemie erholt zu haben. Das erlebte man beim Besuch mit allen Sinnen – die Messehallen brummten vor Menschen. Über 4 000 Messestände aus 95 Ländern und fast 2 000 Events lockten dieses Jahr über 180 000 Besucher und Besucherinnen an, die Hälfte davon Fachpublikum. Auch wenn diese Zahlen noch nicht mit den Besuchermassen vor der Pandemie mithalten können, beweisen sie, dass die Literatur und die Branche quicklebendig sind. Juergen Boos, der Direktor der Frankfurter Buchmesse, unterstreicht die Bedeutung der persönlichen Begegnungen, die jetzt wieder möglich sind:
„Unsere Branche lebt vom Vertrauen, das kann ich digital nicht herstellen. Wenn ich ein neues Geschäft anbahnen oder Übersetzungsrechte ins Ausland verkaufen will, kann ich das nicht am Bildschirm machen, sondern muss jemanden gegenüber haben. Das andere hat viel mit Entdecken zu tun. Wenn ich übers Messegelände gehe, entdecke ich Dinge ganz anders, die ich vielleicht selbst machen oder übersetzen will oder Autoren, die ich lesen will. Im Digitalen findet das zielgerichteter statt. Hier ist alles zufällig, ich bekomme die Ideen geliefert.“
Doch neben aller Wiedersehensfreude und Entdeckungslust, war die Krise der Buchbranche– neben den gegenwärtigen Krisen der Welt – in aller Munde. Sorgen bereiten der Verkauf, der sich ins Internet und auf größere Plattformen verlagert, worunter der Buchhandel leidet. Wer Bücher liebt, kauft in der Buchhandlung, steht auf einem riesigen Banner über dem Messegelände. Steigende Papierpreise stellen eine neue Herausforderung dar, so Karin Schmidt-Friederichs, die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Was das für die Anzahl an Publikationen auf dem deutschen Buchmarkt bedeuten wird, wird sich zeigen. Seit zehn Jahren zeichnet sich ein Abwärtstrend ab, nachdem sich die Anzahl an Neuerscheinungen vor zwanzig Jahren auf einem absurden Höhepunkt eingependelt hatte. In den vergangenen zwei Jahren wurde regelrecht die Produktionsbremse gezogen – ein Zeichen, dass sich der digitale Wandel auch in den Lesegewohnheiten bemerkbar macht.
Creatividad Desbordante
Im Pavillon des Gastlandes Spanien stand die Geschichte der spanischen Literatur und die einhüllende Macht der Sprache im Fokus. Eine Leseecke und Gespräche luden zum Verweilen ein. In einer von Federico García Lorca inspirierten Installation aus vielschichtigen, von der Decke hängenden Schleiern, die kleine Schneckenhäuschen bildeten, und Lichtprojektionen von Buchstaben, Worten, Gedichten, konnte man physisch in die Literatur und den Zauber der Sprache eintauchen, unter dem vom Gastland Spanien gewählten Thema: Creatividad Desbordante. Sprühende Kreativität.
Der Buchmessenschwerpunkt ist oft einen Anlass, sich internationaler, fremdsprachiger Literatur zu öffnen und die Autorinnen und Autoren des Gastlandes oder der Nationalsprache(n) zu übersetzen. Das Gastland der Buchmesse erlebt oft einen regelrechten Übersetzungsboom. Aber ist Literatur orts- und zeitspezifisch oder an einen bestimmten sozio-kulturellen Kontext gebunden? Durch die Übersetzung, die Übertragung werden Texte und Geschichten auch in neuen Kontexten rezipierbar, an einem neuen Ort, zu einer anderen Zeit, in den Augen der unterschiedlichsten Leserinnen und Lesern. In einer neuen Sprache und mit der Stimme der Übersetzenden.
Eine Transferleistung, die auch in den Begegnungen auf der Buchmesse selbst stattfindet. „Verstehen und Verständigen“, nennt es Karin Schmidt-Friederichs. Denn die internationale Frankfurter Buchmesse ist seit je her ein Ort der Begegnungen und des Austausches. In, über oder mittels verschiedener Sprachen, in einer anderen oder mit anderen Kulturen, Lebensformen, Geschichten. So scheint es wenig zu überraschen, dass dieser Aspekt dieses Jahr zum Motto der Frankfurter Buchmesse erhoben wurde: Translate, transfer, transform …
Hard Facts: Übersetzungen in Deutschland
Die Zahl der Erstauflagen von Übersetzungen geht in Deutschland, wie auch die Anzahl an Neuerscheinungen insgesamt, seit zehn Jahren konstant zurück, nachdem sie sich vor 20 Jahren auf einem absurden Höhepunkt eingependelt hatte. Englisch bleibt, wie auch weltweit, die wichtigste Herkunftssprache von Übersetzungen ins Deutsche; gefolgt vom Französischen und Japanischen. Die meisten Lizenzverträge, also Übersetzungen aus dem Deutschen in andere Sprachen, wurden in den chinesischen Sprachraum vergeben, dabei handelt es sich vor allem um Kinder- und Jugendbücher oder Werke aus den Naturwissenschaften, der Medizin, Informatik oder Technik. Darauf folgten bislang Russisch und Italienisch.