Leitartikel

Der Papst kommt

d'Lëtzebuerger Land vom 28.06.2024

In seiner Stellungnahme am Ende der Debatte über die Rede zur Lage der Nation vor zwei Wochen im Parlament wunderte CSV-Premierminister Luc Frieden sich über „Widersprüche“ in den Ausführungen der Opposition: „Ech stelle fest, datt d‘Präsidentin vun der sozialistescher Fraktioun, d‘Madamm Bofferding, seet, et wär eng konservativ Ried, konservativ Regierung, konservativ-liberal. An den Här Keup seet e puer Minutten dono, se wär net konservativ genuch. An duerfir confirméiert dat dat, wat ech gesot hunn: datt dëst eng Regierung ass vun der politescher Mëtt.“ Friedens Verortung der politischen Mitte zwischen Sozialdemokratie und Rechtsradikalismus rief im Parlament Belustigung hervor.

In seinem am Samstagabend im Fernsehen übertragenen „Message à l‘occasion de la fête nationale“ untermauerte der Premierminister seine rechtsliberale Grundhaltung, die sich von der seines sozialliberalen Vorgängers und Vizepremiers grundlegend unterscheidet. Während Xavier Bettel nach der Veröffentlichung des Waringo-Berichts den Großherzog in seinen Ansprachen zum Nationalfeiertag kaum noch erwähnte und von „eisem Land“ sprach, rückte Frieden den Großherzog als Symbol der Einheit „vun eiser Natioun“ wieder in den Vordergrund. Während Bettel seine Reden seit 2020 mit „Vive eise Grand-Duc“ abschloss, weil spätestens seitdem klar ist, dass die Verfassung für die Frau des Staatschefs keine offizielle Aufgabe kennt, kehrte Frieden zu der Formulierung „Vive de Grand-Duc an d’Grande-Duchesse“ zurück. Während Bettel 2023 „Solidaritéit, Zesummenhalt an ongebremsten Optimismus“, als das identifizierte, „wat Lëtzebuerg ausmécht“, sprach Frieden von „Fräiheet, Respekt, an Demokratie“ als „unseren“ gemeinsamen Werten. Während Bettel neben dem Zweiten Weltkrieg die im Sozialdialog gelöste Stahlkrise der 70-er Jahre als identitätsstiftendes historisches Ereignis hervorhob, berief Frieden sich auf die „Industrialiséierung ronderëm den Ufank vum 20. Joerhonnert“.

Dass Luc Frieden die Industrialisierung wählte, um die nationale Einheit zu beschwören, zeugt von seinem Verständnis von Freiheit, Respekt und Demokratie. Bis 1919 galt in Luxemburg das Zensuswahlrecht, Arme und Frauen durften nicht an Wahlen teilnehmen – frei waren vor allem die Notabeln, die Bourgeoisie. Arbeiter/innen hatten kaum Rechte, was zu Sozialkämpfen und Protesten, zur Gründung von Gewerkschaften und Arbeiterparteien führte. Die erzkatholische Großherzogin sympathisierte während des Ersten Weltkrieges mit dem deutschen Kaiser, mischte sich in die Regierungsgeschäfte ein und löste 1919 eine institutionelle Krise aus. Die weitgehend friedliche republikanische Bewegung wurde mithilfe französischer Soldaten niedergeschlagen; bei einem Besuch in Longwy vor einem Jahr bedankte Großherzog Henri sich dafür, dass sie die „tentative de coup d‘État militaire“ damals verhindert hätten. Die Monarchie wurde durch die Abdankung von Maria-Adelheid und ein geschickt formuliertes Referendum gerettet. Die Rechtspartei verdrängte die Liberalen von der Macht und sollte sie fast ein Jahrhundert lang nicht mehr hergeben.

Heute lassen sich durchaus Parallelen zur Industrialisierung am Anfang des 20. Jahrhunderts ziehen. Wie damals ist heute ein großer Teil der Bevölkerung von den Kammerwahlen und damit von der politischen Teilhabe weitgehend ausgeschlossen. Obwohl die Zustimmung zum Ausländerwahlrecht laut Polindex-Studie inzwischen höher sein soll als beim Referendum von 2015, gedenken CSV und DP nicht, daran etwas zu ändern. Wie damals die Dampfmaschine, wird die Digitalisierung die Arbeit „revolutionieren“. Künstliche Intelligenz wird keine „ungelernte“ Arbeit „verrichten“, sondern im Dienst des Kapitals die Arbeiter/innen überwachen, den Arbeitstakt und die Intensität weiter beschleunigen. Ohne Regulierung wird die Digitalisierung die Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten nur noch vergrößern.

Friedens Versuch, Luxemburg in seiner Ansprache als offenes Land darzustellen, in dem Luxemburger/innen und Nicht-Luxemburger/innen geeint zusammenleben, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die CSV in wirtschafts-, arbeits- und sicherheitspolitischen, aber auch in manchen gesellschaftspolitischen Fragen inzwischen wieder näher an der ADR als an LSAP und Grünen ist. Unter Spitzenkandidat Claude Wiseler war die CSV vielleicht sozialliberal, doch seit Luc Frieden die Alleinherrschaft in der Partei übernommen hat, kehrt die Kirche ins Dorf zurück. Ende September wird der Papst zum ersten Mal seit 40 Jahren wieder Luxemburg besuchen.

Luc Laboulle
© 2024 d’Lëtzebuerger Land