ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

 

Vorarbeit

d'Lëtzebuerger Land vom 21.06.2024

In den Niederlanden führt die Partij voor de Vrijheid die neue Regierung an. In Belgien ist die Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) mit der Regierungsbildung beauftragt. So weit zu Benelux. Andernorts regieren Fidesz, Fratelli d’Italia, Občanská demokratická strana, Schweizerische Volkspartei, Sverigedemokraterna. Bei den Europawahlen setzte sich die schleichende Faschisierung fort.
In Frankreich verlor der autoritäre Liberalismus vor zwei Jahren die parlamentarische Mehrheit. Nun löste sein Vollzugsbeamter das Parlament auf. Die Familie Le Pen soll dem Neoliberalismus wieder Autorität verschaffen. Die Börse meldete überraschte Kapitalbesitzer.
Die Rechtsradikalen sind nicht illiberal: „An der Wirtschaftspolitik bekennt d’ADR sech zu enger liberaler Politik an zum fräien Handel“ (Wahlprogramm 2023, S. 293). Sie setzen liberale Politik autoritär-nationalistisch durch. Sie schieben die Verantwortung auf die Hautfarbe, Religion, Nationalität von Sündenböcken. In Luxemburg lautet das Codewort: „Wachstumsdebatte“. In den USA könnte bald wieder ein faschistischer Millionär regieren.

Der Faschismus bekämpfte mit SA und Camicie nere die Arbeiterbewegung. Er bekämpfte die staatlichen Institutionen. Seine Enkel haben keine wehrhaften Gegner. Sie benutzen die Institutionen. Sie kämen vielleicht in einer Koalition mit der CSV oder der DP an die Macht.
Konservative, liberale, sozialdemokratische, grüne Parteien erklärten erst dem Terrorismus den Krieg, dann dem Covid. Mit Dutzenden Gesetzen rüsteten sie für kommende Krisen. Auf Kosten der bürgerlichen Freiheiten. Sie leisteten postdemokratische Vorarbeit.
DP, LSAP, Grüne und CSV stockten mit dem Gesetz vom 5. Juli 2016 die Mittel des Geheimdienstes auf. Das Gesetz vom 30. Mai 2005 und sieben folgende erlauben die Überwachung und Auswertung von Handy- und Computerdaten. Zum Schutz der Staatssicherheit. Das Gesetz vom 17. Mai 2017 erlaubt, die Fingerabdrücke, DNA-Profile und Daten von Reisenden zu sammeln.

Nach den Anschlägen in den USA und Frankreich verabschiedeten CSV, DP, LSAP und Grüne Terrorismusgesetze vom 12. August 2003, 27. Oktober 2010, 26. Dezember 2012, 18. Dezember 2015, 3. März 2020. Jedes Mal wurde der Straftatbestand ausgeweitet. Eine rechtsradikale Regierung wird politische Gegner als Apologeten, Komplizen, Terroristen verfolgen können. Wer heute 35 000 tote Zivilisten in Gaza erwähnt, wird als Apologet des Terrorismus eingeschüchtert.

Mit dem Gesetz vom 8. Juni 2004 können außerparlamentarische Proteste, gewerkschaftliche Mobilisierung als „rébellion et sédition“ verfolgt werden. Das Gesetz vom 7. August 2023 verschärft es. Mehr wird eine rechtsradikale Regierung nicht für einen Polizeistaat verlangen.

Das Gesetz ahndet die Autoren von „chansons, pamphlets, figures, écrits, imprimés, dessins, gravures, peintures, emblèmes, images ou par tout autre support“, die „[ont] publiquement outragé les moeurs“. Mehr wird eine rechtsradikale Regierung nicht zur Zensur brauchen.
Diese Gesetze bieten keinen Schutz gegen einen autoritären Staat. Sie dienen ihm als Instrumente. Rechtsradikale würden keine Rechtsbeugung nötig haben. Höchstens einige rechte Richter. Die gibt es immer.

„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Versprach der Nazi-Jurist Carl Schmitt (Politische Theologie, S. 9). Zur endgültigen Machtübernahme verhängten die Faschisten stets den Ausnahmezustand. Artikel 48 der neuen Verfassung erlaubt der Regierung, den Ausnahmezustand auszurufen. Wenn sie „[des] atteintes graves à la sécurité publique“ feststellt. „Ces mesures peuvent déroger à des lois existantes.“ Die radikale Rechte nennt schon Bettlerinnen eine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit.

Romain Hilgert
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