„La lutte contre la pauvreté constitue une priorité absolue pour le Gouvernement“, heißt es im Koalitionsabkommen von CSV und DP. In seiner Rede zur Lage der Nation verkündete der CSV-Premierminister, der DP-Familienminister arbeite „intensiv“ am „nationale Plang fir d’Präventioun an de Kampf géint d’Aarmut“.
Luc Frieden weiß wenig über Armut. Um etwas darüber zu lernen, hatte er vor vier Wochen an einem Caritas-Forum teilgenommen. Dort erfuhr er, dass in Luxemburg ein Viertel der Kinder arm ist oder an der Armutsgrenze lebt. Deshalb nahm er den Begriff Kinderarmut in seine Rede zur Lage der Nation auf. Kinderarmut wurde weder im CSV-Walprogramm, noch im Koalitionsabkommen oder in der Regierungserklärung thematisiert. Arme Kinder berühren, sie rufen Bilder von unschuldigen verelendeten Wesen hervor. Arme Erwachsene rufen Bilder von bequemen Müßiggängern und arbeitsscheuen Sozialschmarotzern hervor. „Schaffe muss sech lounen“, mahnen CSV und DP.
Dass „Schaffen“ sich hierzulande häufig nicht mehr lohnt, haben Studien der Uni Luxemburg nachgewiesen. Die Armutsgefährdungsquote der Erwerbstätigen ist die zweithöchste in der EU. 2023 ist sie laut Eurostat erneut gestiegen und liegt bei 14,8 Prozent – doppelt so hoch wie in Deutschland und Frankreich, fünfmal so hoch wie in Belgien. Die Arbeitnehmerkammer hat berechnet, dass über die Hälfte der Working (yet) Poor wöchentlich mindestens 34 Stunden arbeiten. Um das Armutsproblem zu bekämpfen, sind staatliche Zuschüsse wie Teuerungszulage und Mietsubvention ungeeignet. Sie stigmatisieren die Betroffenen und fördern die Niedriglohnkultur auf dem Arbeitsmarkt. Die Wohnungskosten werden in absehbarer Zeit nicht sinken, selbst wenn es der öffentlich subventionierten Baubranche gelingen sollte, künftig „méi a méi séier“ zu bauen. Um Armut zu bekämpfen, bedarf es struktureller Reformen. Eine davon wäre die substanzielle Erhöhung des Mindestlohns. Eine 2022 vom EU-Parlament verabschiedete Richtlinie empfiehlt, den Mindestlohn auf 60 Prozent des Median- oder 50 Prozent des Durchschnittseinkommens anzuheben. Laut OECD lag er 2022 in Luxemburg sechs bis sieben Prozent unter diesem Mindestrichtwert.
Am 28. Februar hatte CSV-Arbeitsminister Georges Mischo im Parlament angekündigt, bald einen Entwurf zur Umsetzung dieser Richtlinie vorzulegen und eine Erhöhung des Mindestlohns in Aussicht gestellt. Der Premierminister widersprach ihm am Montag gegenüber Reporter.lu: „Wir haben eine Erhöhung des Mindestlohns zu diesem Zeitpunkt nicht vorgeschlagen.“ Sie würde das Armutsproblem allein nicht lösen und hätte „andere Konsequenzen“ für die Wirtschaft. Auf Land-Nachfrage antwortete Mischo diese Woche, der Anpassungsmechanismus für den Mindestlohn sei schon größtenteils konform zur EU-Richtlinie, sodass eine Reform nicht nötig sei.
Georges Mischo hatte im Februar ebenfalls angekündigt, noch vor den Sommerferien einen in der Richtlinie vorgeschriebenen Aktionsplan zur Erhöhung der tarifvertraglichen Abdeckung (von aktuell rund 55 Prozent) auf 80 Prozent vorzulegen. Am 4. Juli will er den Sozialpartnern seinen Vorschlag unterbreiten. Vieles deutet darauf hin, dass Unternehmenstarifverträge künftig nicht mehr ausschließlich zwischen Patronat und Gewerkschaften, sondern auch zwischen Betriebsführung und ihr unterstellten Personaldelegierten verhandelt werden können. Unternehmerverbände träumen davon schon seit 100 Jahren.
„Armut ist nur ein Teil des größeren Problems der wachsenden Ungleichheiten“, sagte im RTL-Radio Christoph Butterwegge, der auf dem Caritas-Forum sprach, dem Luc Frieden beiwohnte. Als Grund für den Anstieg der Ungleichheiten machte der Politikwissenschaftler die Deregulierung des Arbeitsmarkts und den Abbau des Sozialstaats unter dem Einfluss des Neoliberalismus verantwortlich. Unter dem Vorwand, Luxemburg zu „modernisieren“, setzen CSV und DP diese Deregulierung fort. Neben der „Flexibilisierung“ von Arbeitszeitorganisation und Sonntagsarbeit gehören dazu auch die chèques emploi, mit denen Beschäftigte künftig stundenweise bezahlt werden sollen. Vordergründig sollen sie die Schwarzarbeit eindämmen, gleichzeitig könnten sie Niedriglohnsektoren wie Gaststättengewerbe und Reinigungsbranche weiter prekarisieren. Ungleichheiten schaffen gesellschaftliche Parallelwelten, sie zerstören die soziale Kohäsion. Um sie zu bekämpfen, braucht es Steuermaßnahmen, die Arme entlasten und Reiche stärker belasten. Letzteres lehnt die Regierung ab. Ungleichheiten führten zu Drogenabhängigkeit, Kriminalität und Aggressivität, warnte Butterwegge. Deshalb wollen CSV und DP den repressiven Staatsapparat weiter ausbauen.