LEITARTIKEL

Ein Covid-Urteil

d'Lëtzebuerger Land du 18.08.2023

Im Herbst 2021 arbeitete Frau X. als Krankenpflegerin bei den Hôpitaux Robert Schuman. Am 20. Oktober 2021 bestellte ein Vorgesetzter sie zu einem Gespräch, wie es vor einer Entlassung üblich ist. Am 2. November wurde ihr fristlos gekündigt: Sie sei zehn Mal unentschuldigt dem Arbeitsplatz ferngeblieben. Gegen die Kündigung klagte Frau X. im Januar 2022 vor dem Arbeitsgericht Luxemburg-Stadt. Am 11. Juli dieses Jahres gab das Gericht ihr recht: Die Entlassung war missbräuchlich.

In Wirklichkeit war die Geschichte komplizierter. 2021 ging die Corona-Seuche um. Das Covid-Gesetz, wie es damals in Kraft war, schrieb den Spitälern vor, nur geimpften, genesenen oder getesteten Personen den Zugang zu gestatten. Der Covid-Check war sowohl für das Personal wie für die Patient/innen Pflicht, außer in Notfällen. Impfen lassen wollte Frau X. sich nicht. Tests lehnte sie auch ab. Alle drei Tage einen Schnelltest verlangten die Hôpitaux Schuman von nicht Geimpften und nicht kürzlich von Covid-19 Genesenen. Sie stellten die Tests zur Verfügung, Gesundheitspersonal konnte sich selber testen. Frau X. sah in den Schnelltests ein Gesundheitsrisiko für sich. So dass sie nicht unentschuldigt dem Arbeitsplatz fernblieb, sondern der Arbeitgeber ihr den Zugang dorthin verweigerte. Mangels QR-Code nach der „3G-Regel“.

Die Urteilsbegründung des Gerichts ist interessant. Die Klinik habe zwar keine andere Wahl gehabt, als Frau X. den Zutritt zu verwehren, denn das Covid-Gesetz schrieb es den Spitälern so vor. Dasselbe Gesetz habe jedoch sämtlichen lohnabhängig Beschäftigten die freie Wahl zur Impfung und zu Tests gelassen. Von unentschuldigtem Fernbleiben oder einer Insubordination von Frau X. könne deshalb keine Rede sein.

Wahrscheinlich ist diese Affäre ziemlich einzigartig. Öffentlich bekannt zumindest wurde bisher noch keine ähnlich gelagerte. Trotzdem stellt die Frage sich, wie es geschehen konnte, dass ein und dasselbe Gesetz Bestimmungen enthielt, die sich fundamental widersprachen. Hätte das den vielen Juristinnen in der Regierung und den vielen Juristen im Parlament und im Staatsrat nicht auffallen, hätte so eine Rechtsunsicherheit nicht unterbunden werden müssen?

Ob es jemandem auffiel und was daraufhin geschah, war dem Land innerhalb von ein paar Tagen nicht möglich, nachzuvollziehen. Tatsache ist aber, dass der Covid-Check im Herbst 2021 umstritten war. Die Betriebe sollten ihn fakultativ einführen können, erklärte Premier Xavier Bettel am 6. Oktober 2021. Die drei Gewerkschaften OGBL, LCGB und CFFP protestierten eine Woche später, damit würden Geimpfte und Ungeimpfte gegeneinander ausgespielt. In den Wochen danach gingen die Auseinandersetzungen weiter. Ob es Entlassungen wegen einer Weigerung, am Covid-Check teilzunehmen, geben könne, war ebenfalls eine Frage. Im Dezember 2021 wurde sie durch eine Covid-Gesetzesänderung mit Nein beantwortet.

Doch bei all dem bildeten die Spitäler, wie auch die Pflegeeinrichtungen, stets eine Welt für sich. Einerseits war für sie obligatorisch, was für andere Betriebe fakultativ war. Und das Entlassungsverbot, wenn jemand nicht am Covid-Check teilnahm, wurde nie auf das Klinik- und das Pflegewesen ausgedehnt. Andererseits galt der Sektor als besonders sensibel wegen der vielen Pendler/innen beim Personal. Dass es nicht nötig war, eine sektorielle Impfpflicht einzuführen, sorgte bei der Regierung für Erleichterung.

So dass die Antwort womöglich die ist, dass die Politik sich mit den Kliniken nicht weiter abgab. Und davon ausging, dass die schon selber die für sie richtigen Entscheidungen treffen würden. Nah dran am Pandemie-Geschehen waren sie schließlich. Falls diese Haltung der Politik so bestand, wäre es wahrscheinlich nützlich, sie einer Überprüfung zu unterziehen, wenn eines Tages die Diskussion über ein allgemeines „Pandemiegesetz“ beginnt.

Peter Feist
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