Porträt: Carole Lorang

Raum für Experimente

d'Lëtzebuerger Land vom 03.02.2017

Phillipe Noesen, Jemp Schuster, Serge Tonnar, Christian Kmiotek – Bisher wurde die Theaterfederatioun von Männern geprägt und jetzt sie: Carole Lorang. Am 17. November 2016 anlässlich der 20jährigen Jubiläumsfeier des Theater-Dachverbandes gab deren Präsident, Christian Kmiotek, bekannt, dass sie seine Nachfolgerin wird...

Wer eine laute, resolut auftretende Frau erwarten würde, die mit den Ellenbogen um sich stößt, um ihre Position zu verteidigen, irrt! Carole Lorang tritt zurückhaltend auf. Die 1974 in Luxemburg-Stadt geborene Luxemburgerin wirkt bei der ersten Begegnung fast scheu. Aufmerksam blickt sie einen an, aber ihre Augen strahlen, wenn sie von Theater spricht. Mersch, Esch-sur-Alzette, Brüssel, Saarbrücken und wieder Luxemburg waren Stationen ihrer Ausbildung. Seit 2003 hat sie rund 20 Stücke inszeniert, vor allem auf Französisch, 2007 gründete sie ihre eigene Kompagnie, die Compagnie du Grand Boube. An die Spitze des Theaterverbandes hat sie nie gewollt. „Ich wollte nie Karriere machen. Es ging mir immer um die Sache, ums Theater!“

Und doch hat sie von klein an immer mit Theater zu tun gehabt, war in der Grundschule im Theater, im Lycée im Theaterclub. Dann moderierte sie mit Freunden bei Radio Ara ihre Theatersendung, sah sich alles an, was in Luxemburg gespielt wurde und kommentierte dies im Radio. „Es war wirklich ein Prozess“, erinnert sie sich: „Ich gehörte nie zu denen, die gesagt haben, ich will Schauspielerin werden, aber zu denen, die immer etwas mit Theater zu tun hatten.“

Beim Institut national supérieur des arts et techniques de diffusion (Insas) in Brüssel fand sie schließlich das, was sie suchte: Eine Ausbildung, in der man Bühnenbild, Lichtgestaltung, Dramaturgie erlernt und eben Regie. Es folgten Regie-Assistenzen in Deutschland, Belgien und Luxemburg. Schon während ihres Studiums begann sie, für kleine Theater zu arbeiten. „Ich habe noch eine Zeit lang zwischen Brüssel und Luxemburg gelebt und dann irgendwann entschieden, ganz nach Luxemburg zurückzukommen und hier meine Projekte umzusetzen.“

Eine Bilderbuchkarriere war es freilich nicht. „Es ist vorgekommen, dass etwas nicht so ankam, wie ich es wollte“, gibt sie zu. „Ein wichtiger Bruch war 2007, wo ich mich wirklich gefragt habe, ob ich weitermachen will und meine Antwort war ganz klar: „Nein!“ Dann gründete sie kurzentschlossen ihre eigene Kompagnie. „Ich habe damit unsere Identität geschaffen und es hat mir Autonomie gegeben“. Und sie wollte zeigen: Das ist meine Arbeit. Das ist die Gruppe, mit der ich schaffen will und dafür gibt es Gründe.“ Carole wird nachdenklich, wenn sie zurückblickt. Es habe einen Vorfall gegeben, bei dem sie sich erniedrigt gefühlt habe. „Da habe ich entschieden, entweder Du lässt das über Dich ergehen oder Du gehst mit anderen zusammen und wirst so stark.“

Obwohl sie in Brüssel meist mit Frankophonen zusammengearbeitet hat, hat sie gerade in den letzten Jahren immer wieder auch auf Deutsch inszeniert. Zuletzt im Frühjahr 2016, Ein Kind unserer Zeit von Ödön von Horváth. Die für Luxemburg typische Sprachenvielfalt spielt in ihren Stücken eine große Rolle. „Es ist gerade hier interessant, weil man eben in zwei Welten unterwegs sein kann“, meint sie. Sowohl in Furcht und Wohlstand des Luxemburger Landes (März 2015), ein antirassistisches Statement zum Referendum, wie auch in Welcome to Paradise (2016), einer Collage über Flüchtlinge und ihr Leben in Luxemburg spielt sie mit den Sprachen – zum einen, um die kulturellen Unterschiede sichtbar zu machen, aber auch, um selbstbewusst zu zeigen: das ist Luxemburg. Das sind wir! „Wir leben auf der Grenze von zwei Kulturen, das macht auch für mich unsere Identität aus, dass wir das Glück haben, in die Welt der Frankophonie einzutauchen, aber auch geprägt sind vom Deutschen.“ Das spiegele sich auch in der Arbeit ihrer Kompagnie wieder.

Inszeniert hat sie am Grand Théâtre, im Kapuzinertheater, im Kasemattentheater, im Carré Rotondes, im Cape und zuletzt Opderschmelz. Ihre Lieblingsbühne? „Es gibt ein paar Orte, an denen ich einfach sehr gern arbeite – unabhängig davon, wo ich es auf die Bühne bringe, aber zum Beispiel mag ich den Probesaal am großen Theater sehr.“ Ansonsten seien es unkonventionelle Orte, an denen gerade etwas Neues, Kreatives entstehen könne. So habe sie Ein Kind unserer Zeit im Cape in Ettelbrück kreiert und in der psychiatrischen Klinik geprobt. „Das war ein super Ort, um dort zu arbeiten, weil er total losgelöst war von der Theatermaschinerie.“ Normalerweise probe man in einem Theater und sei in diesem Milieu gefangen, sie probe am liebsten an Orten, wo es nicht nach Theater riecht.

Dasselbe gilt auch für die Theaterdisziplinen. Warum nicht die Genres durchmischen? „Interdisziplinär zu arbeiten war für mich eine wichtige Erfahrung“, erzählt Lorang. Bei einem Stück habe sie mit einer Opernsängerin und einem Pianisten zusammengearbeitet. „Das war einfach eine gute Mischung“, denn das habe dazu geführt, dass alle Menschen ihr Terrain verlassen haben und etwas Neues gemacht haben. „Es war erfrischend und befreiend, dass man nicht immer in seinen alten Schemata funktioniert. So wird der Rahmen gesprengt.“

Strukturen aufzubrechen und zu öffnen – das sind auch ihre Pläne für die Theaterfederatioun. Was ihr vorschwebt, ist ein Dachverband, der wirklich alle repräsentiert. „Mein Hauptwunsch ist, dass die Federatioun ein Dachverband für den ganzen Sektor wird!“ Die Gruppe, die bisher gänzlich gefehlt habe, sei die der Theaterschaffenden, derjenigen, die auf der Bühne stehen. Ich hätte gern, dass die „Intermittents du spectacle“ auch in die Federatioun kommen, aber auch all die Leute, die im „spectacle vivant“ unterwegs sind, also auch Tänzer und Choreografen. Den Dachverband sieht sie als eine Art Mittler und zugleich als Plattform zum Austausch, eine Ideenfabrik, über die man miteinander verhandeln kann. Die Fragen seien: Was brauchen wir? Was braucht die Theaterwelt? Der „intermittent“, der nicht an eine Struktur gebunden ist, werde bisher noch nicht durch die „Theaterfederatioun“ repräsentiert. „Das ist nicht gesund!“, ist sich Carole sicher. „Die Öffnung ist das, worauf ich hinarbeite und dass man repräsentativ für den Sektor wird.“ So hätte man auch eine größere Glaubwürdigkeit und bekäme mehr Gewicht gegenüber dem Ministerium, weil man dann für das gesamte Milieu spreche.

Vernetzung sei das A und O und es brauche ein dickes Fell in der Theaterszene, gerade als Schauspieler. Man werde ständig beurteilt, sei ausgeliefert und brauche eine gewisse Distanz zu sich selber. Als Künstler sei man zudem immer darauf angewiesen, dass irgendwer an einen glaube, sonst bekomme man gar keine Möglichkeit, etwas zu machen. „Wenn ich mit einem Stück ins Ausland gegangen bin, dann geschah das auf Initiative des Direktors“, erinnert sich Carole. Das war in meinem Fall immer Fränk Feitler, der die Koproduktionen an anderen Häusern einging, weil er die Kontakte hat. Die Auseinandersetzung mit einem anderen Publikum – nach 2007 ging sie mit ihrer Kompagnie auf Tournee nach Belgien und Frankreich – war für Carole wichtig.

Die Vorbereitung ihres nächsten Projekts ist schon im vollen Gang. (Am 19. Mai ist die Premiere im Kapuzinertheater.) Es heißt Miroirs troubles, dunkle Spiegel. Es sind drei Geschichten über Geschwisterpaare, sowohl auf Französisch wie auf Deutsch. „Das Stück ist ein gutes Beispiel für das, was mich wirklich interessiert. Es lebt von der Mehrsprachigkeit und verschiedenen Disziplinen, die sich ergänzen, wie Schauspiel und Gesang.“ Es geht um grenzenlose Geschwisterverhältnisse, aber auch um Grenzüberschreitendes. Eines der Themen ist zum Beispiel Inzest. Ein anderes Thema verschmelzende Identitäten, etwa wenn einer die Identität seiner Schwester annimmt. „Es sind exzessive Verhältnisse und Extreme, die auf eine witzige Art dargestellt werden“, schwärmt Carole, die zugleich bedauert, dass Theater nicht viel grenzüberschreitender genutzt wird.

Warum nicht es an Schulen, in Strafanstalten oder zur Therapie einsetzen? Theater könnte im Unterricht genutzt werden, um Sprachen spielerisch beizubringen. Natürlich kann es auch (ver)stören, aber es könne eben auch Debatten auslösen, Missstände aufdecken, es könnte ein formidables Mittel sein, um der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Dass sei bei Welcome die Idee gewesen, zu hinterfragen, wie es sich eigentlich als Flüchtling hier in Luxemburg lebe. Viel zu selten werde darüber nachgedacht, wie vielfältig Theater ist und was es einem Gutes bringen kann. Stattdessen wird es immer noch getrennt konzipiert – für eine Elite, die gern ins Theater geht. Doch letztlich, räumt Carole Lorang ein, „ist es auch an uns, der Theaterfederatioun, zu fragen, wie wir die Leute sensibilisieren können und auch, wie wir neue Zielgruppen gewinnen können.“

Anina Valle Thiele
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