Ode to a plastic bowl

d'Lëtzebuerger Land vom 26.07.2019

„Hast du mal eine Cactus-Marke?“ Die Supermarktkette Cactus löst dieser Tage erneut einen Rausch und rege Markenschnorrerei unter ihren Kunden aus. Denn wer nun fleißig Timberen sammelt, kann sie bei Zuzahlung von auf der Kundenkarte angesparten Punkten (oder Barem) gegen Schüsseln von Tupperware tauschen. Tupperware! Nicht irgendein billiger Ersatz, sondern das Original. Da versteht sich von selbst, dass die Erwachsenen nun ihr Markenalbum mit der gleichen Leidenschaft füllen, wie Kinder während der Fußballweltmeisterschaft ihr Panini-Album. Wie hat diese Plastikschüssel doch im vergangenen Jahrhundert die westliche Gesellschaft verändert – und verändert sie immer noch. Denn Cactus bewirbt sein neues Programm zur Kundenbelohnung mit dem Slogan „Love food, stop waste“, als ob es selbstverständlich wäre, dass man das Abfallproblem, das sich durch Einwegplastikverpackungen in der Lebensmittelindustrie verschärft, mit – jawohl – noch mehr Plastik bekämpft.

Aber es stimmt schon: Die Tupper-Dose hat die Aufbewahrung von Lebensmitteln im Haushalt revolutioniert, die vorher entweder in schweren Gläsern oder Metallbehältern aufbewahrt wurden. Viele Firmen haben versucht, die Tupperware zu imitieren. Aber unter Hausfrauen und -männern ist es kein Geheimnis, dass nur das Original wirklich dicht hält. Wenn die Tupperdose beim Schließen „Fsscht“ macht, bleibt die Suppe drin, und wenn man sich damit auf den Kopf stellt. Andere Hersteller haben, wie viele besudelte Schulhefte nach Unfällen mit dem Pausenbrot über die Jahre belegen, Probleme mit dem Vakuum. Nicht so die Tupperware. Das ist die Rolls Royce unter den Snackdosen.

Nicht nur deshalb, sondern auch wegen ihres stolzen Preises ist echte Tupperware ein Statussymbol, das nur deutlich sichtbar namentlich gekennzeichnet mit Obstsalat oder Kuchen gefüllt mit zu Schul- oder Dorffesten genommen werden kann – nicht dass nach dem Spülen in der Gemeinschaftsküche ganz bewusst aus Versehen die Nachbarin die Schüssel mit nach Hause nimmt oder diese auf „unerklärliche“ Weise verlorengeht. Zur Kostprobe: Der Bräter, der aus schwarzem Plastik optisch denen aus Gusseisen nachempfunden ist, aber nur einen Bruchteil davon wiegt, hat einen Referenzpreis von 86,90 Euro. Die Salatschüssel kostet immerhin 35,90 Euro. Mit der Tupperware-Ausstattung verhält es sich deswegen ein bisschen wie mit einer richtigen Rolex. Sie signalisiert, dass man einmal im Leben richtig investiert, statt sich alle paar Jahre eine neue Salatschüssel zu kaufen. Auch wenn dafür auf den Jahresurlaub verzichtet werden muss; auf beiden, Uhr und Schüssel, gibt es schließlich lebenslange Garantie.

Die Dosen sind ähnlich unzerstörbar, wie der andere US-Exportschlager, der in den 80-er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Europa populär wurde: die Maglite. Und diese Taschenlampen aus Flugzeugstahl blieben sogar noch heil, schwörten kleine Jungs und große Männer Stein und Bein, wenn ein Auto darüber fahre. Daher, und weil Tupperware verspricht, dass alle Teile bis in alle Ewigkeit nachbestellt werden können, gehört richtige Tupperware quasi zum Erbnachlass. In manchen Familien wird sie wie das Tafelsilber von Generation zu Generation weitergereicht und ihr epochenspezifisches Design ist fest mit der Erinnerung an die Oma oder unterschiedliche Lebensabschnitte verbunden. Die Schüsseln haben auch schon die Auflösung von so manchem Haushalt überlebt, in dem sie der Nahrungsmittelaufbewahrung dienten. Dass die passenden Deckel immer verschwinden, oder die passenden Schüsseln, Deckel und Schüsseln unerklärlicherweise immer abgetrocknet werden müssen, wenn sie aus der Spülmaschine kommen, hat, wie Paartherapeuten bezeugen, ähnlich hohes Streitpotenzial wie falsch ausgequetschte Zahnpastatuben und herumliegende Unterwäsche. Da kann es schon vorkommen, dass nachher die Ehe kaputt ist, während die Tupperware noch heil ist. Mit deren unzerstörbarem Hartplastik ließe sich dem Expartner theoretisch mindestens so gut eins überbraten wie mit einer richtigen Pfanne.

Auch in anderen Lebenslagen hat die Plastikschüssel zur Emanzipation der Frau beigetragen. Brownie Wise, die Erfinderin der Tupperparty, die mit ihrer Idee für den Direktverkauf bei Kundinnen zuhause im Kaffeeklatschformat, den Umsatz der Dosen überhaupt erst ankurbelte, war die erste Frau auf dem Cover von Business Week. Nachdem sie ihn reich gemacht hatte, feuerte Firmengründer Earl Tupper sie, aus Eifersucht darauf, dass alle Welt sie statt ihn für die Chefin hielt – auch das eine lehrreiche Episode für Karrierefrauen. Der Begriff „Tupperparty“ hat es dennoch in das Duden-Wörterbuch geschafft: „Substantiv, feminin - gesellige, private Veranstaltung zum Verkauf von Tupperware®-Artikeln [besonders Aufbewahrungsbehältern aus Plastik].“

Kinder der Achtziger verstanden unter Tupperparty ein Treffen von Nachbarinnen, Tanten und Freundinnen der Mutter, bei dem nichtalkoholische Erfrischungsgetränke serviert und die Vorzüge der neuesten Erfindungen erklärt wurden. Die Tupperparty hielt nicht nur mit dem technischen Fortschritt mit – mit dem Einzug der Mikrowellenherde kamen die Mikrowellgardosen – sie war auch Vorbotin der inzwischen so populären Kochshows. Mehl, Zucker, Eier, Öl, Apfelschnitze in die Schüssel geben, Deckel drauf, kurz schütteln und in die Backform geben. Und voilà: Fertig war die Schütteltorte, mit der nach solchen Demonstrationen durch Tupperware-Expertinnen monatelang ganze Volksstämme ernährt wurden.

Andere Branchen haben Brownie Wises Konzept der Verkaufsparty übernommen und weiterentwickelt. Kinder der Nullerjahre verstehen daher unter Tupperparty ein Freundinnentreffen, bei dem die Hemmschwelle mit Sekt gesenkt wird, bis alle kichernd Reizwäsche anprobieren, die sie nie im Leben in einem Lingeriegeschäft mit in die Kabine nehmen würden. Oder bei dem sie die Geschmacksrichtungen von Gleitgel und die unterschiedlichen Geschwindigkeiten eines Vibrators ausprobieren. Daraus folgt: Ohne Salatschüsseln keine Dildos, obwohl es im Umkehrschluss eher unwahrscheinlich bleibt, dass Cactus solche demnächst ins Kundenbelohnungsprogramm aufnimmt.

Michèle Sinner
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