Weder der Staat noch die Privatwirtschaft investieren genug

Mind the gap

d'Lëtzebuerger Land vom 27.11.2015

Wohnungsbau, Flugzeuge und Satelliten – das sind im Großen und Ganzen die Elemente, durch die Investitionen seit dem Ausbruch der großen Wirtschaftskrise in Luxemburg aufrecht erhalten wurden. Sicher, die Situation in Luxemburg ist längst nicht so dramatisch wie in der Eurozone insgesamt, deren Verantwortliche seit Jahren mit verschiedenen Maßnahmen versuchen, das Investitionsniveau anzuheben, damit kurzfristig eine Nachfrage und damit Wachstum entsteht und langfristig die Infrastruktur gesichert ist. So versuchte die Europäische Zentralbank, erst die Kreditvergabe in der Eurozone anzukurbeln, indem sie den Banken besonders günstige Refinanzierungsbedingungen versprach, wenn sie aufzeigen konnten, dass das bei der Zentralbank geliehene Geld tatsächlich als Kredite an Unternehmen aus der Realwirtschaft weiterverliehen würde. Dann beschloss sie im Januar, das Public Sector Purchase Programm (PSPP), die europäische Version des amerikanischen Quantative Easing, um Schwung in die Wachstums- und die Inflationskurve zu bringen, ein Vorgehen, das bisher von mittelmäßigem Erfolg gekrönt ist.

So liegt das Investitionsniveau in der Eurozone, obwohl es seit 2013 wieder angestiegen ist, immer noch 15 Prozent unter dem von Anfang 2008. In Luxemburg steigen die Investitionen volumenmäßig seit dem großen Wirtschaftseinbruch 2009 und 2010 tendenziell wieder an. Aber wie das Statec in der am Mittwoch vorgestellten Note de conjoncture 2-15 schreibt, steigen sie weniger dynamisch an als die Wirtschaft wächst, und deshalb ist das Investitionsniveau zwischen 2011 und 2015 von 20,2 auf 17,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukt gesunken. Das liegt, wie das Statec feststellt, auch daran, dass die öffentliche Hand weniger investiert; vor allem im Bau seien die Investitionen seit 2008 mit Ausnahme von 2010 rückläufig. Obwohl der Satz „die Investitionen bleiben hoch“ in den vergangenen Jahren zum Standardrepertoire bei der Haushaltsvorstellung und der Erklärung zur Lage der Nation gehörte, bleiben die sukzessiven Sparpakete nicht ohne Auswirkung. So gingen die Investitionen in die Bausubstanz, abgesehen vom Wohnungsbau, zwischen 2011 und 2013 um ein, zwei, beziehungsweise fünf Prozent zurück. „Celles-ci ne sont pas venues prendre le relais des dépenses privées, ce qui résulte notamment d’un contexte post-crise marqué par une certaine consolidation budgétaire (maîtrise de la dépense publique)“, heißt es in der Note de conjoncture. Im Wohnungsbau andererseits stellen die Ökonomen zwar nach der großen Krise von 2008 und 2009 seit 2012 einen Aufschwung fest. „Cela ne suffit cependant pas à compenser les moindres investissements dans les autres ouvrages de construction. Et c’est principalement ce manque de dynamisme des dépenses pour l’ensemble des ouvrages de construction qui fait diminuer tendenciellement la part des investissements dans le PIB au Luxembourg.“

Doch nicht nur der Staat hat in den vergangenen Jahren gespart. Auch die Unternehmen investierten weniger in den Erwerb von geistigem Eigentum. Darunter verstehen die Statistiker Aktiva, wie Patente oder Lizenzen, die das Ergebnis von Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen sind, Software und Datenbasen, die über mehrere Jahre genutzt werden. Seit 2011 sind die Investitionen in diesem Bereich rückläufig, stellt das Statec fest. Betrachtet man die Bruttodaten von Eurostat, sieht es eher so aus, als ob sie seit 2008 zurückgingen und 2011 ein Ausnahmejahr gewesen sei. „Ces moindres investissements expliquent d’ailleurs presque la moitié de la baisse du taux d’investissement observée entre 2011 et 2015 (qui passe de 20,2 à 17,6 pour cent du PIB).

Deshalb sind es vor allem die Unternehmen Cargolux, Luxair und SES, die dafür sorgen, dass die Investitionen zumindest im Volumen seit 2011 weiter ansteigen und die Lieferung eines neuen Flugzeuges oder Satelliten die Kurve hochschnellen lässt. Denn 2011 war das Jahr, in dem Boeing mit der Auslieferung der neuen Flugzeuggenera­tion 747-8 an Cargolux begann, seither werden in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen neue Maschinen in Findel begrüßt. Auch Luxair hat alte durch neuere Flugzeuge ersetzt. Ein neues Großraumflugzeug oder ein Satellit stellt eine Investition im dreistelligen Millionenbereich dar. „Les investissements en avions et satellites sont très volatiles – et relativement élévés sur les dernières années (ils comptent pour environ 15 pour cent de l’investissement total des 2012 à 2014, contre six pour cent en moyenne depuis 2000)“, stellen die Statec-Mitarbeiter fest. Deshalb, bedauern sie, sagt ein drastisches Ansteigen oder Absinken des gesamten Investitionsniveaus nur wenig über die Konjunkturlage aus – im zweiten Quartal 2015 gingen die Investitionen um zwölf Prozent zurück, weil kein großes Flugzeug und kein Satellit geliefert wurde. Dazu kommt: Die seit 2011 gelieferten Cargolux-Flugzeuge wurden Mitte der Nullerjahre bestellt, ihre Lieferung jetzt ist wahrlich kein Indiz dafür, dass es der Luftfrachtbranche aktuell besonders gut ginge oder wie man die Entwicklungschancen derzeit einschätzt.

Abgesehen von der Luft- und Raumfahrtbranche investieren die Luxemburger Unternehmer eher verhalten in ihren Maschinenpark und ihre Produktionsanlagen. Ob die Unternehmen nicht mehr investieren, weil die Banken ihnen keine Kredite geben, ist seit langem Zankapfel in Luxemburg. Unternehmen und Unternehmensverbände schieben die Schuld gerne den Banken in die Schuhe, die seit der Krise zu sehr darauf konzentriert seien, Risiken abzubauen und die strengeren Kapitalanforderungen zu erfüllen. Doch in den Umfragen zur Kreditvergabe der Zentralbank hatte sich dies nie wirklich bestätigen lassen. Da sah es eher so aus, als ob die Unternehmen schlichtweg kaum noch Darlehen beantragen würden. Weil das Thema schließlich auch auf die Agenda des Hohen Komitees für die Industrie und die KMU kam, ließ die Zentralbank vergangenes Jahr eine Studie durchführen. Zwar verschärften die Banken im Zeitraum 2008 bis 2013 die Bedingungen zur Kreditvergabe, forderten mehr Sicherheiten oder höhere Zinsen. Aber nur ein Viertel der befragten Firmen gab an, zwischen 2008 und 2013 Probleme bei der Kreditaufnahme erlebt zu haben. Die anderen investierten also, wenn überhaupt, ihre Reserven. Oder aber sie zahlten möglicherweise lieber Dividenden aus, anstatt zu investieren.

Dabei wird seit der Krise nicht nur weniger in Ziegel, Maschinen oder den Erwerb von Patenten und Software investiert. In seinem Bilan de la Competitivité warnte das zuständige Observatorium vor wenigen Wochen vor einem Rückgang der Forschungs- und Entwicklungsausgaben, die weit hinter den Erwartungen zurückbleiben. Im Rahmen der nationalen Wachstumsstrategie hatte die Regierung ein Ziel von zwischen 2,3 und 2,6 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt vorgegeben. 2013 allerdings wurde nur ein Wert von 1,3 Prozent erreicht. Entsprechend schlecht platziert sich Luxemburg im Vergleich zu den anderen EU-Ländern auf Platz 16, was die Forschungsausgaben betrifft. Das liegt vor allem daran, dass die Unternehmen ihre Forschungsausgaben zurückgeschraubt haben. 2008 wurden insgesamt 618 Millionen Euro in die Forschung und Entwicklung investiert, teilte Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage zum Thema mit. Vor zwei Jahren waren es noch 523 Millionen Euro. Dabei seien die öffentlichen Forschungsausgaben im gleichen Zeitraum von 127 auf 196 Millinen Euro angestiegen.

Dass die Privatwirtschaft nicht unbedingt mitzieht, wenn der Staat investiert, zeigt sich auch in der Analyse des Observatoriums über die Entwicklung des Biohealth-Sektors, der zu den Wirtschaftsbranchen gehört, die nach dem Willen der Regierung in den kommenden Jahren besonders ausgebaut werden sollen. Im Ausbruchsjahr der großen Krise ging die Luxemburger Regierung strategische Partnerschaften mit großen amerikanischen Forschungsinstituten ein, aus denen unter anderem die Biobank und das Luxembourg Institute for Systems Biomedicine entstanden. Zwar hat sich die Zahl der Firmen in diesem Bereich seither von 15 auf 30 verdoppelt, aber nur 22 von ihnen beschäftigen überhaupt Mitarbeiter. „C’est dans le secteuer public que la plupart des effets de la stratégie de la diversification de l’économie du gouvernement ont eu lieu jusqu’à présent“, hält das Observatorium fest.

Wenn aber der Staat bei den Investitionen in die Infrastrukturen die Ausgaben bremst, Unternehmen – mit Ausnahme dreier Firmen mit hoher Staatsbeteiligung, die kaum oder keine Dividenden zahlen– nur wenig in neues Material oder Produktionsprozesse investieren, wenn die Ausgaben in Forschung und Entwicklung niedrig sind, wodurch soll in Zukunft Wachstum entstehen? Dass auch die Arbeitgeber dadurch die Wettbewerbsfähigkeit am Standort Luxemburg gefährden, wird von ihnen deutlich weniger oft thematisiert, als die vermeintlich zu hohen Lohnkosten.

Michèle Sinner
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