Am Montagabend, zum Kleeschen-Tag, im Cercle Munster: Der Club im Stadtgrund feiert seinen 15. Geburtstag. Ab 18 Uhr trifft man sich zum Cocktail. Livrierte Türsteher begrüßen die Ankommenden mit perfekt aufgesetzter Höflichkeit. Innerhalb von nur einer Stunde treffen an die 700 Clubmitglieder ein und ergehen sich in den vielen Räumen. Die Atmosphäre ist gedämpft; hier herrschen warme Farben von Rot bis Gelb vor, das Mobiliar geht zurück auf den englischen Jugendstil.
1 268 Mitglieder zählt der Club zurzeit, darunter 82 Frauen. Es heißt, dass nicht nur Bankiers, Industrielle und Politiker hier verkehren, sondern auch der eine oder andere Handwerksmeister. Ehrbar und in gehobener Position tätig muss ein, wer eintreten will in den Cercle. So genannte Decision makers also. Und auch ein Metzger trifft Entscheidungen, wenn es um die Wurst geht. Für einen um Neuaufnahme Kandidierenden müssen zwei Paten bürgen. Das ist alles. “Wir sind keine Snobs”, sagt ein französischer Bankier, der einst zu den Clubgründern zählte. Und der Vorstand versichert, dass es sich bei den hier Verkehrenden keineswegs um die Reichsten von Luxemburg handele. “Reich sind wir schon, aber so reich nun auch wieder nicht.”
Ein nettes Understatement? Wie reich ist man in Luxemburg, dem laut OECD-Statistik reichsten Land der Welt, gemessen am Pro-Kopf-Einkommen? Oder: im reichsten Land Europas, wenn man die Kaufkraft laut Erhebung der EU-Kommission betrachtet?
Leicht ist diese Frage nicht zu beantworten. Geld ist etwas, worüber man hierzulande nicht spricht. Das mag daran liegen, dass viele tatsächlich nicht wenig davon haben. 109 600 Franken betrug laut Statec im Jahre 1996 das Durchschnittseinkommen eines Vollzeitbeschäftigten. Und der soziale Mindestlohn für Erwachsene belief sich im Sommer dieses Jahres auf 48 050 Franken brutto. Was immerhin mehr ist als der Durchschnittslohn in Frankreich. Bloß gut, dass die Staatsfinanzen noch gesund sind. Da hat kein Politiker Veranlassung, seine Sparapelle ans Volk mit Bemerkungen zu garnieren wie: Arbeitslose und RMG-Empfänger kämen auch mit weniger gut über die Runden. Noch ein Grund, nicht übermäßig über Geld zu diskutieren.
Es herrscht wenig Transparenz zur finanziellen Lage der Haushalte in Luxemburg. Ende 1998 bezogen 5 272 Haushalte RMG, davon mussten 3 797 allein damit auskommen, 1 475 konnten zusätzlich noch eine kleine Pension, etwa eine Invalidenrente, zählen. Wie viele dagegen nicht RMG-berechtigt sind und von anderen Formen der Soizialhilfe leben, ist laut Angaben des Ministeriums für soziale Sicherheit nicht rekonstruierbar. Eine weitere dunkle Stelle der sozialen Wirklichkeit: Die Überschuldung nimmt nicht ab. Die Beratungsstellen für Überschuldete in Luxemburg-Stadt und Esch/Alzette zählten Ende 1998 insgesamt 424 Fälle. Zum Vergleich: 1993 waren es 178 gewesen.
Am wenigsten durchsichtig sind allerdings die Verhältnisse in der obersten Einkommensebene. Obwohl sich vor einer Woche im Ranking des britischen Wirtschaftsmagazins EuroBusiness herausgestellt hat: Wie schon im Juli ist der reichste Mann in Luxemburgs offenbar der Großherzog. Jean gehört laut EuroBusiness zu den 165 Euro-Milliardären und belegt mit einem Privatvermögen von 3,48 Milliarden Euro (141,6 Mrd. LUF) einen guten 53. Platz, gleich hinter der niederländischen Königin Beatrix, die noch fünf Millionen Euro mehr besitzt. Und noch ein Luxemburger wird von EuroBusiness zu den Reichsten Europas gezählt: Erbgroßherzog Henri, 585 Millionen Euro schwer (23,8 Mrd. LUF) und damit der 280. der 400 Superreichen des Kontinents. Und man staune: Laut EuroBusiness bringt es die großherzogliche Familie, die Vermögen aller Angehörigen eingeschlossen, auf insgesamt stattliche 4,655 Milliarden Euro und wird hinter der Fürstenfamilie von Liechtenstein zur zweitreichsten europäischen Monarchenfamilie.
Die Spitzenvermögenden in Euroland sitzen jedoch vorwiegend in Deutschland, Frankreich und Großbritannien, und sie sind allesamt Unternehmer. Luxemburgs Unternehmerschaft kann da nicht mithalten, was nicht verwundert angesichts der starken Abhängigkeit der hiesigen Wirtschaft von ausländischem Kapital. Immerhin aber zählen drei in Luxemburg ansässige Konzerne zu den 500 umsatzstärksten in Europa, wiederum nach Erhebungen von EuroBusiness: Die ARBED S.A. kommt mit einem Umsatz von 10,1 Milliarden Euro auf Platz 153, die CLT-Ufa mit 3,1 Milliarden auf Platz 366 und die BIL belegt mit knapp zwei Milliarden die 458. Position.
Über welche Mittel die privaten Haushalte in Luxemburg verfügen, liegt weitgehend im Dunkeln. Die bei heimischen Kreditinstituten geführten Sparguthaben beliefen sich laut Statec-Angaben 1997 auf über 357 Milliarden Franken, was immerhin rund das Doppelte des Staatsbudgets ausmacht. Und das Zweieinhalbfache des Vermögens von Großherzog Jean. Detailliertere Angaben zur Situation der Haushalte sind allerdings dünn gesät. Das Statistische Jahrbuch Luxemburgs gibt darauf keinerlei Hinweise, da herrscht im Ausland mehr Transparenz.
Klar scheint jedenfalls, dass es, und diese Erkenntnis ist so neu nicht, hierzulande eine sehr breite Mittelschicht gibt. Allerdings bedurfte es 1997 einer parlamentarischen Anfrage an Finanzminister Jean-Claude Juncker, um etwas Licht in die Einkommens- und Vermögenslage der Haushalte zu bringen, wenngleich die Zahlen vom 1.1.1992 datierten und aus der Vermögenssteuer abgeleitet waren. Demnach verfügten von damals 145 000 Haushalten 480 über ein Immobilienvermögen von über 25 Millionen Franken, 179 über mehr als 50 Millionen und 73 über mehr als 100 Millionen. Die letztgenannte Ziffer kam 0,5 Prozent aller Haushalte gleich. Dagegen gaben 44,5 Prozent aller zur Vermögenssteuer veranlagten Haushalte ihren Immobilienbesitz mit einem Wert von unter einer Million Franken an.
Auch die Einkommenslage der Haushalte zeigte zum Jahresanfang 1992 die breiteste Verteilung im mittleren Bereich. 511 verfügten laut Einkommenssteuererhebung über ein Jahreseinkommen zwischen zehn und 20 Millionen, 103 brachten es auf 20 bis 30 Millionen, 51 auf 30 bis 50 und 19 auf mehr als 50 Millionen Franken jährlich. Wobei unter Einkommen das versteuerbare Einkommen aus Bruttoverdienst minus Sozialabgaben verstanden wurde. Auf einer Schätzung basierte dagegen die Zahl der 66 800 Haushalte, die über eine bis drei Millionen jährlich verfügen, da erst ab 1,8 Millionen die Einkommenssteuererklärung obligatorisch ist.
Man kann diese Zahlen allerdings auch so lesen: In Luxemburg bildet sich eine kleine, aber feine Oberschicht heraus. 73 Haushalte besitzen Immobilien mit einem Wert von mehr als 100 Millionen Franken, und 19 über ein Jahreseinkommen von mehr als 50 Millionen. Darin noch nicht enthalten sind Kapitaleinkünfte aus Unternehmensbeteiligungen und Aktiendividenden sowie aus Vermietungen von Immobilien. Hierzu sind die verfügbaren Daten noch dünner gesät. Eine jetzt vom Differdinger Sozialforschungsinstitut Ceps im Rahmen des Panel socio-économique Liewen zu Lëtzebuerg (PSELL) zu den Kapitaleinkünften veröffentlichte Studie macht das schon in der Einleitung deutlich: „Les revenus du capital sont ceux qui rencontrent le plus de réticience de la part des ménages interrogés. Parmi les ménages qui déclarent être titulaires de revenus du capital, 25% refusent d‘en indiquer le montant.”
Laut Ceps verfügten im Jahre 1997 die 160 000 der Studie zu Grunde gelegten Haushalte über ein monatliches Durchschnittseinkommen von 135 150 Franken, 38,6 Prozent der Haushalte außerdem über Kapitaleinkünfte. Genaue Angaben über deren Höhe macht die Ceps-Studie nicht; erwähnt wird nur dass in den am besten gestellten Haushalten pro Monat durchschnittlich 19 500 Franken aus Kapital verdient werden, was im Jahr im 234 000 Franken ausmacht.
Rund die Hälfte aller Kapitalbesitzer gibt allerdings an, daran monatlich weniger als 5 150 Franken (61 800 pro Jahr) zu verdienen. Andererseits verfügt ein Zehntel aller Haushalte mit Kapital über beachtliche 86 Prozent allen Kapitaleinkommens. Und nur eine Minderheit aller Immobilienbesitzer verdient daran: 1997 hatten zwar 78,2 Prozent aller Luxemburger Haushalte eigenen Grund und Boden, doch für 71,8 Prozent stand darauf das Eigenheim, in dem die Besitzer auch wohnten. Von ihrem Immobilienbesitz in Form einer Kapitalanlage zu profitieren, ist im Übrigen ein Privileg – noch weniger – unter Dreißigjähriger. Sofern sie über Immobilienbesitz verfügen, handelt es sich dabei nur bei 32 Prozent aller Fälle um die von den jungen Besitzern auch bewohnte Erstwohnung.
Handelt es sich dabei um Erben? Oder um junge Spitzenverdiener? Mangels zugänglicher Daten kann diese Frage hier nicht geklärt werden. Spitzenverdienste aber sind in Luxemburg natürlich drin. Transparenz darüber herrscht bei den Staatsgehältern. Im September veröffentlichte die Wochenzeitung Le Jeudi in einer Dokumentation “Les salariés au Luxembourg” das Salär des Staatsministers: 590 500 Franken monatlich plus 176 268 für Repräsentationszwecke. Ein Minister bezieht 420 841 Franken und weitere 66 100 zur Repräsentation. Auch bei den Europäischen Insitutionen verdient man nicht schlecht: Der Präsident des Europäischen Gerichtshofs beispielsweise erhält 912 521 Franken Monatsgehalt; übrigens genauso viel wie der Präsident der Europäischen Kommission. Kommissare und Richter bringen es auf 748 433 Franken, etwas mehr als der Präsident des Europäischen Rechnungshofs, der sich mit 740 004 bescheiden muss.
Doch selbst diese hohen Beamtengehälter nehmen sich bescheiden aus neben den Bezügen der Spitzenverdiener in der Privatwirtschaft. Die gibt es in Luxemburg auch, dafür sorgt schon der Bankenplatz. Allerdings ist in dieser Gehälteroberklasse auch die Diskretion am größten. Die Geschäftsbilanzen der Unternehmen schweigen sich in der Regel aus über die Bezüge ihrer Direktoren. Mitglieder von Verwaltungs- und Aufsichtsräten kommen dagegen vor allem durch den Kumul mehrerer solcher Ämter auf ihre Kosten. Spitzenverdiener in der Privatwirtschaft, vor allem im Finanzsektor, werden jedoch, wie Insider versichern, innerhalb eines Monats ohne Weiteres LUF-Millionär, mitunter sogar mehrfacher. Wenngleich derart hohe Verdienste in Luxemburg noch immer selten seien. Noch seltener seien achtstellige Gehälter. Aber es soll sie geben.
Mario Hirsch
Kategorien: Wirtschaftspolitik
Ausgabe: 25.11.1999