De Schaf

Hinter der Maske

d'Lëtzebuerger Land vom 30.07.2009

„Wenn der Sommer nicht mehr weit ist / und der Himmel violett, / weiß ich, daß das meine Zeit ist, / weil die Welt dann wieder breit ist, / satt und ungeheuer fett.“ Mit diesen Eingangsworten des hedonistisch veranlagten Konstantin Wecker aus dem Lied Wenn der Sommer nicht mehr weit ist steigt Jay Schiltz nach Papa, tu dors??? (d‘Land vom 1. August 2008) des Vorjahres in sein neues Drama De Schaf. En onsënnecht Stéck im Rahmen des Steinforter Theaterfestivals ein. Nach minutenlangem Räkeln, Blinzeln und Kratzen bereitet sich der Einzeldarsteller, ein etwa Vierzigjähriger, auf einen weiteren Tag vor, außerhalb gesellschaftlicher Kon­ven­tionen, auf dem Camping-Platz, im Schrank, neben seiner Lebenspartnerin. Sollte die Kleiderpuppe nur eine notfällige Lösung sein, um sich Statisten aus Fleisch und Blut ersparen zu können? Von wegen: Schiltz‘ einstündiger Monolog entpuppt sich zeitläufig als Gespräch über Aussteigermotive, Kritik am Spießertum und typische Reflexio­nen des absurden Theaters zwischen dem Camping-Bewohner und dieser auch im Drama als Modellpuppe zu verstehenden Requisite – mit überschaubarem Feedback, versteht sich. Es offenbart sich dem Publikum ein absurder, wenig hedonistischer Zustand. Nach der Aufführung unter der Leitung von Claude Fritz verrät der Autor dem Land, er habe dem Publikum nach dem düsteren Vorjahresbeitrag Papa, tu dors??? leichtere Kost bieten wollen. Des Öfteren haben sich Komödien des 20. Jahrhunderts und vor allem jene des absurden Theaters als überaus komische, in ihrem Kern aber abgründige Überzeichnungen existenzieller Grundfragen des menschlichen Daseins entlarvt. So fallen nicht nur Begriffe, wie das Tragikomische und das Absurde in aller Regelmäßigkeit. De Schaf dient dem Autor als eine Art Ausgangszustand, um diese Begriffe mithilfe zahlloser Beispiele aus einer ehemaligen 0815-Biografie zu veranschaulichen: „Oder wann ee beim Ernster dräi gudd Bicher keeft a beim nächsten Zebrasträif matt zermatschter Bölz um Wischer vun engem Bus hänkt. Dat ass absurd! Da kanns de just nach hoffen, datt de Chauffeur déng Bicher matt heem hëllt a se liest. Alles anescht wir total absurd a sënnlos. (...) Absurd! Dat as wann ee beim Monopol jorelaang an der Fënster steet an sech virkënnt wéi d’Heidi Klum.“Die Souveränität des Aussteigers wirft jedoch Fragen auf, und Risse an seiner Glaubwürdigkeit tun sich auf. Auch wenn der Kahlkopf behauptet, er habe dem Leben der Einfamilienhäuser, der Golfspiele und des generellen Denkverbots abgeschworen, so erwähnt er doch seine regelmäßi­gen Besuche beim Psychologen: „Ech muss dat emol méngem Psychiater erzielen. Wann ech matt deem fäerdeg sin, kënnt deen souwiesou och heihinner wunnen.“ Unter Berücksichtigung jener Leser, die sich Schiltz‘ Beitrag noch anschauen möchten, soll die eigentliche Tragweite dieses dramaturgischen Elements hier nicht vorweg genommen werden. Dies ändert aber nichts am Umstand, dass De Schaf mehr ist als eine unterhaltsame One-Man-Show. Die Tragik und die völlige Absurdität der Conditio humana im 21. Jahrhundert legt sich hinter der Maske der Burleske schleichend, letztlich aber noch abgründiger frei. Wenn selbst jener entblößt wird, der sich dem als Heuchelei verworfenen Lebensstil der Normalos widersetzt, brechen damit sämtliche ethische Maßstäbe weg: So bedient sich Schiltz der derweil jedoch überaus abgedroschenen Frage von Richard Precht, Wer bin ich, und wenn ja, wie viele??, um der vollkommenen Bezuglosigkeit zumindest philosophisch entgegen zu wirken.Gepaart mit Inszenierungen jenseits inhaltsleeren Dorftheaters ist die gesellige Atmosphäre des Steinforter Festivals im Musikraum Kleinbettin­gen sicherlich ein Grund, dem Ereignis beizuwohnen. Dass einige Zuschauer die Inszenierungen eher als Geräuschkulisse für Sektrunden verstehen und sich darauf beschränken, die kernigsten Zitate lauthals, zustimmend und schenkelklopfend zu wiederholen, vor allem bei Fekalhumor zu grölen, wirkt allerdings störend. Dieser Wermutstropfen darf das Gesamtbild des Ensembles auf der Bühne jedoch nicht trüben. So sollte auch berücksichtigt werden, dass Pascal Granicz dem Abgrund seiner Lage mit engagierter Körpersprache und einer gepressten Übertönung der luxemburgischen Phonetik jene Komik abgewinnen kann, die dem Drama auch die Maske des Komischen verleiht.

De Schaf von Jay Schiltz; Regie: Claude Fritz; mit: Pascal Granicz; Musik und Beleuchtung: Serge Hoffmann; Uraufführung im Musiksaal Kleinbettingen im Rahmen des Steinforter Theaterfestivals; letzte Vorstellung am 31. Juli um 20:30; Karten unter www.luxembourgticket.lu und unter Tel. 470 895-1.

 

Claude Reiles
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