In den kommenden Tagen verabschiedet das Parlament den Entwurf des Staatshaushalts für 2022. Im Vorfeld begutachten Körperschaften und Lobbys den Haushaltsentwurf. Sie gehören drei Gruppen an: Die zwei Berufskammern der Lohnabhängigen sind keynesianistisch und verteidigen den Sozialstaat. Die drei Berufskammern der Unternehmer geben sich marktradikal und rufen nach staatlicher Unterstützung. Die staatlichen Gremien folgen den Vorgaben der EU-Kommission. Deren Ziel ist der internationale Wettbewerb.
Für 2022 plant die Regierung ein Defizit im Staatsbudget von anderthalb Milliarden Euro. Die Staatsschuld steigt auf mehr als 19 Milliarden Euro. Die Schuld nahm binnen fünf Jahren um
50 Prozent zu. Wie unter Luc Frieden hinkte die Finanzpolitik Pierre Gramegnas ihren Ansprüchen hinterher.
Der Conseil national des finances publiques ist mit der Zentralbank der Wachhund der Maastricht-Austerität. Er findet den Budgetentwurf „pleinement conforme“ (S. 6). „[L]e déficit diminuera graduellement“ (S. 45). Auch der Staatsrat macht sich keine Sorgen: „Même en l’absence de l’application de la clause dérogatoire, un tel solde ne déclencherait pas le mécanisme des mesures de correction“ (S. 7). Der Rechnungshof beruhigt: „[L]a dette de l’administration publique reste nettement en-dessous du seuil maximal“ (S. 66). Nur in einer „optique de plus long terme, un assainissement des finances publiques sera nécessaire“ (S. 67). „In the long run we are all dead“ (J. M. Keynes, A Tract on Monetary Reform, S. 80).
Die Handelskammer hat ihre Angst vor Defizit und Schulden verloren. Die Finanzlage des Staates „devrait aller en s’améliorant“. Die Regierung verspricht, dass es bergauf geht. Die Handelskammer „ne pourrait que se réjouir de la matérialisation de cette prévision“ (S. 25). Die Handwerkerkammer findet „le recours à la dette en période de crise est justifié“. Das gilt auch für „une hausse exceptionnelle des dépenses“ (S.42).
Lange hatten die Zuchtmeister keine Nachsicht mit Haushaltslöchern und Schulden. Der Staatsrat hatte sich 2013 geärgert, „que les gouvernements successifs ne maîtrisent pas suffisamment l’évolution des dépenses“ (S. 11). Der Rechnungshof forderte 2013, „d‘inscrire dans la loi les contraintes en matière de dette comme de dépenses“ (S. 46). Der Conseil national des finances publiques wahrsagte 2015, dass das Defizit „devienne suffisamment important dès 2016 pour déclencher le mécanisme de correction“ (S. 10). Er bluffte. Die Handelskammer warnte 2013: Die Staatsfinanzen „ne sont guère soutenables“ (S. 39). Damals waren das Defizit und die Staatsschuld nur halb so groß wie heute.
Lange verlangten Unternehmerlobbys und Experten Haushaltsdisziplin. Sie meinten die ökonomische Disziplinierung der besitzlosen Klassen. Doktor Schäubles Kameralistik nutzte der Finanzbranche und der Exportindustrie. Dann folgte der schrittweise Abschied von der Haushaltsdisziplin: Nach dem Referendum und den Europawahlen kündigte Pierre Gramegna am 27. April 2016 ein mittelfristiges Haushaltsdefizit von „minus 0,5% vum PIB“ an. 2019 verschwand das Panikwort der „impliziten Staatsschuld“ von Rentenanrechten aus den Haushaltsgutachten. Zu Beginn der Corona-Seuche öffnete Premier Covid Bettel am 25. März 2020 die Schleusen: „Et kascht, wat et kascht.“
Die Zuchtmeister wollen nichts mehr von Haushaltsdisziplin wissen. Sie müssten sie nun gegen sich selbst kehren. Denn sie stehen Schlange nach Staatsgeldern, Corona-Hilfen und Klimazuschüssen. Die werden defizit- und schuldenfinanziert. Die Handwerkerkammer „se réjouit de ce que le Gouvernement s’abstient de mettre en œuvre au stade actuel une politique d’assainissement des finances publiques“, weil sie Steuererhöhungen bedeutete (S. 45). Hauptsache, „l’État réalise son ambitieux programme d’investissement“ (S. 42). Damit die Kasse des Baugewerbes klingelt.