Das Europaparlament hat einen neuen Präsidenten

Forza Europa

d'Lëtzebuerger Land vom 20.01.2017

Die Krise der Europäischen Union drückt sich selbstverständlich auch in ihrer Personalpolitik aus, die in der Regel einer Art bürokratischem Cäsarismus auf der Grundlage stillschweigender Abmachungen zwischen den beiden großen politischen Familien, den Konservativen und der Sozialdemokratie, gehorcht. Das war schon bei der Wahl des Kommissionspräsidenten 2014 zu erkennen: Eigentlich wollte niemand den gerade hierzulande über seinen hysterisch gewordenen Geheimdienst gestürzten Jean-Claude Juncker auf diesem Posten sehen, am allerwenigsten seine eigene Gruppierung, die Europäische Volkspartei, das heißt die deutsche Kanzlerin, die sich dann aber die unheilvolle Direktkandidatur bei den Europawahlen aufzwingen ließ.

Doch das war auch nicht mehr so wichtig, weil die Kommission schon in der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 weitgehend entmachtet worden war. Um politisch zu überleben, hatte Jean-Claude Juncker sich vorgenommen, in Brüssel gestützt auf den sozialdemokratischen Parlamentspräsidenten Martin Schulz zu regieren wie zuvor in Luxemburg auf Jacques F. Poos und Jean Asselborn. Deshalb versuchte er sogar die Splitting-Abmachung zu sabotieren, nach der seine eigene Gruppierung nun Anrecht auf den Vorsitz des Europaparlaments bekommen sollte.

Das ging schief, und am Dienstagabend dieser Woche quälte sich das Europaparlament ganz ungewohnt, bis es mit 351 von 713 Stimmen Antonio Tajani zu seinem neuen Präsidenten gewählt hatte. Wer hätte es bis vor kurzem noch für möglich gehalten, dass das sich sehr ernst nehmende Europaparlament von einem Präsidiumsmitglied von Forza Italia geleitet würde? Forza Italia ist die Partei von Silvio Berlusconi, der schon 20 Jahre vor Donald Trump alles vorgeführt hatte, was in der Politik an der skrupellosen Vermischung von Demagogie und Show Business, Autoritarismus, Vetternwirtschaft und Haarimplantaten möglich ist.

Dass eine Partei wie Forza Italia den Präsidenten des Europaparlaments stellen kann, erklärt sich zuerst damit, dass der Europäischen Volkspartei keine Partei zu rechts oder zu zirkusreif ist, um sie nicht aufzunehmen und so die Stimmenzahl ihrer Fraktion zu vergrößern. Aus dem gleichen Grund hatte Gegenkandidat Guy Verhofstadt eine Woche zuvor versucht, noch schnell das italienische Movimento 5 Stelle des Fernsehkomikers Beppe Grillo in seine liberale Fraktion aufzunehmen. Die Fraktion wollte nicht recht und stimmte nun zum Preis von allerlei Vizepräsidentenposten für den offenbar seriöseren Antonio Tajani.

Dass es in Straßburg zu vier Wahlgängen statt einer vorherigen Absprache über den Parlamentsvorsitz kam, hat auch damit zu tun, dass die Sozialdemokraten nicht nur ihre Splitting-Abmachung verleugneten, sondern den Konservativen vorübergehend die Gefolgschaft aufkündigen wollten. So dass es zu für eine parlamentarische Krisenerscheinung gehaltenen Abstimmungen mit beinahe offenem Ausgang kam.

Das europäische Projekt ist seit den Tagen Robert Schumans bestenfalls ein christdemokratisches gewesen, und wenn sich die Sozialdemokraten in Koalitionen mit den Konservativen einließen, dann um konservative Europapolitik zu machen. Was ihnen ihre Wähler heute immer weniger verzeihen, und für manche ihrer Parteigänger, wie den Eurogruppen-Vorsitzenden Jeroen Dijsselbloem, gilt nicht einmal dies.

Nun ist die Führung der europäischen Institutionen mit Ratspräsident Donald Tusk, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Parlamentspräsident Antonio Tajani auch offiziell wieder fest in der Hand der Europäischen Volkspartei. So wie es derzeit aussieht, ist das weder ein Segen für die Europäische Union, noch für die Europäische Volkspartei.

Romain Hilgert
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