Im Juni erreichte der OGBL eine Aufwertung von Laufbahnen in Spitälern und Pflegeeinrichtungen. Jetzt ist sie ihm zum Problem geworden

Déjà-vu um das Pflegerstatut

d'Lëtzebuerger Land du 22.12.2017

Im Februar wäre in dem Bettemburger Pflegeheim An de Wisen um ein Haar gestreikt worden. Der OGBL hatte bereits alle Vorbereitungen getroffen, das Datum des Streikbeginns war schon bekannt, nur die Urabstimmung stand noch aus. Da schaltete sich LSAP-Sozialminister Romain Schneider ein. Er erklärte, „in einem so speziellen Bereich wie der Pflege ist ein Streik kontraproduktiv“. Er meinte aber auch, „ziemlich klar“ sei, dass man im Pflegesektor „nicht von einem Sozialplan sprechen kann“. Einen Sozialplan hatte die Betreiberin von An de Wisen, die Sodexo Résidences Services ASBL, herausgegeben. Schneider lud sie und den OGBL zu sich ein und teilte nach dem Treffen mit, Regierung und Sodexo würden „schnellstmöglich“ klären, wie die Finanzlage des Pflegeheims sich „dauerhaft absichern“ lasse. Der Sozialplan wurde zurückgezogen, der Streik abgeblasen und Schneider, der 2015 schon einen Sozialplan beim größten Pflegenetzwerk Hëllef doheem abgewendet hatte, erschien wie ein erfolgreicher Pflegekrisenmanager. Bis auf weiteres.

Denn heute wünscht das OGBL-Syndikat Gesundheits- und Sozialwesen, dass er erneut etwas unternimmt, irgendwie. Es geht wieder um das Bettemburger Heim, aber außerdem noch um die Parcs du Troisième Âge in Bartringen, denen eine Stiftung vorsteht, sowie die drei Pflegeheime der Zitha Senior S.A. in Consdorf, Petingen und im Stater Bahnhofsviertel. Eine Zeitlang waren auch vier Heime des öffentlich-rechtlichen Servior und die Zivilhospize in der Hauptstadt Teil des Problems. Anfang November begannen OGBL und LCGB zu klagen, die fünf Trägerbetriebe „wenden den neuen Krankenhaus-Kollektivvertrag nicht an“. Pressekonferenzen und erste Kundgebungen folgten. Der OGBL ist besonders offensiv: „Coûte que coûte“ werde man kämpfen. Vergangene Woche schrieb er, „le personnel concerné est déterminé à obtenir gain de cause“.

Einfach wird das nicht. Auf der ersten Seite des am 21. Juni unterzeichneten neuen Krankenhaus-Kollektivvertrags steht, er gelte nur für die Spitäler und binde nur die Fédération des hôpitaux luxembourgeois (FHL). Der gehörten alle Pflegeheime im Land einmal an, doch das ist Jahre her. Als 1999 die Pflegeversicherung in Kraft trat, begannen die Heime nach und nach in den neuen Kollektivvertrag für die Sozial- und Pflegebranche (SAS) zu wechseln. Anfang 2011 waren alle dort. Auch der SAS-Vertrag wurde dieses Jahr neu ausgehandelt. Er ist aber nicht so vorteilhaft wie der für die Spitäler. Dort gilt zum Beispiel die 38-Stundenwoche, im SAS-Sektor 40 Stunden.

Dass die Frage, ob Pflegeheime mit Spitälern zu vergleichen sind, sich noch immer stellt, liegt daran, dass von den 7 000 Beschäftigten im Pflegewesen jeder Zehnte eingestellt wurde, als sein Betrieb FHL-Mitglied war. Diese Arbeitsverträge sind damit FHL-Arbeitsverträge. „Man müsste jeden einzeln ändern und an SAS angleichen“, sagt Henri Grethen, Verwaltungsratspräsident der Zivilhospize von Luxemburg-Stadt in Pfaffenthal und in Hamm. „Das ist sehr schwierig. Man müsste vorher mit den Gewerkschaften verhandeln, und die sagen natürlich nein.“

Der frühere DP-Minister, heute Luxemburgs Mitglied des EU-Rechnungshofs, versuchte es gar nicht erst. Stattdessen rechnete er dem Sozialminister vor vier Wochen per Brief vor, die FHL-Mitarbeiter würden nächstes Jahr 1,6 Millionen Euro zusätzlich kosten. Romain Schneider erklärte wenig später im Parlament, „das Geld ist da“. Es ist also nicht nur der OGBL, der auf die Regierung hofft. Außerdem haben die Hospize die Hauptstadtgemeinde in der Hinterhand: Sie kann notfalls eine „Defizit-Subvention“ gewähren. Dass auch der neue DP-CSV-Schöffenrat dazu steht, klärte Henri Grethen vor zwei Wochen. Danach gab er es allen Mitarbeitern mit FHL-Statut schriftlich, dass sie „ausnahmsweise“ als solche weiterbehandelt würden. „Ausnahmsweise, weil ich ja nicht meine Nachfolger binden kann“, sagt Grethen. Der OGBL war zufrieden und sprach von „Fortschritt“, denn vorher hatte schon Servior eingelenkt. Nun würden auch die Zivilhospize „von Aktionen ausgenommen“, erklärte der OGBL vor einer Woche – sichtlich um den Eindruck bemüht, er dominiere die Situation.

In Wirklichkeit aber ist sie auch für den OGBL schwierig. Nora Back, die dem Syndikat Gesundheits- und Sozialwesen vorsteht, fragt sich, wieso die rund 350 Beschäftigten mit FHL-Statut bei Sodexo, Zitha Senior dem Bartringer Parc „nicht einfach in Ruhe gelassen werden. Da sind viele Ältere darunter!“ Als Verhandlungsführerin bei den Krankenhaus- wie bei den Pflege-Kollektivvertragsverhandlungen weiß sie natürlich, wieso: Das Prinzip, Probleme wie das um Pflegeheime, die einst als Spitäler galten, auf sich beruhen zu lassen, bis der letzte Mitarbeiter mit altem Statut pensioniert ist oder den Betrieb anderweitig verlassen hat, funktioniert diesmal nicht so leicht. Zwar ist der Klinik- wie der Pflegesektor „parastaatlich“ und Kollektivverträge vollziehen nach, was zuvor im öffentlichen Dienst in Kraft gesetzt wurde. Im Juni aber wurde in den neuen FHL- und SAS-Verträgen nicht nur festgehalten, wie die letzten Gehälterbeschlüsse aus der Fonction publique zu übernehmen sind. Sondern es wurden vor allem auch Laufbahnen aufgewertet, wie das beim Staat durch die Reform des Beamtenstatuts geschah. Für die Aufwertung in Kliniken, Alten- und Pflegebetrieben und Sozialeinrichtungen stritt der OGBL drei Jahrzehnte lang. Sein Syndikat Gesundheits- und Sozialwesen ist kampferprobt, eine tragende Rolle bei seinem Aufbau spielte der heutige Gewerkschaftspräsident André Roeltgen. Und nun machen ausgerechnet die Laufbahnaufwertungen Probleme.

Denn die Aufwertungen sind beträchtlich. Der OGBL hatte in den Kollektivvertragsverhandlungen darauf bestanden, die Mitarbeiter müssten von den Verbesserungen gleich etwas bemerken. Und so stiegen im SAS-Bereich Pflege und Soziales die Gehälter sofort um im Schnitt zehn Prozent, wie der Sozialminister am 28. November im Parlament erklärte. Das sei „richtig“ und „gut“ und nur möglich, weil die Regierung Ende 2014 in der Bipartite mit den Gewerkschaften zusagte, für die Finanzierbarkeit der Aufwertungen zu sorgen. Allein im Bereich SAS würden sie nächstes Jahr 40 Millionen Euro kosten, so Romain Schneider.

Kranken- und Pflegekasse haben die Extrakosten schon eingeplant. Allerdings waren Laufbahnen, die Klinik- und SAS-Sektor gemeinsam haben, schon immer unterschiedlich eingestuft, im FHL-Vertrag um durchschnittlich 15 Prozent besser. Die Unterschiede bestehen fort. Hinzu kommt, dass beide Kollektivverträge verschiedene Ansätze zur Aufwertung haben: Für das Klinikpersonal geschieht sie vor allem rückwirkend durch Prämien. „Das geht, weil die Spitäler Budgets von der CNS erhalten“, sagt Karin Federspiel, die Direktorin von Zitha Senior. „Es passt aber nicht zum SAS-Bereich. Wir rechnen Pflege-Akte ab. Da wir keine Akte rückwirkend erfinden können, stehen im SAS-Kollektivvertrag vor allem Aufbesserungen in der Zukunft.“ So dass Häuser mit FHL-Personal einen Weg finden müssen, Prämien auszuschütten. Daher kommt das 1,6-Millionen-Problem der Zivilhospize in der Hauptstadt und ihre Hoffnung, die Regierung werde es lösen.

Zitha Senior dagegen lässt sich darauf nicht ein: „Ich habe dem Personal schon gesagt, als wir den Krankenhausverband verließen, gäbe es wesentliche Änderungen am FHL-Kollektivvertrag, würden wir die als SAS-Betrieb nicht mitgehen“, sagt Karin Federspiel. Die Laufbahnaufwertung sei so eine wesentliche Änderung. Das Angebot der Direktion an die 140 Mitarbeiter mit dem alten Statut lautet: Wer es behalten will, kann das, erhält aber keine Laufbahnaufwertung. Die bekommt nur, wer den Arbeitsvertrag zu SAS ändern lässt.

Sodexo schlägt sinngemäß das gleiche vor, lässt sich Christian Erang, der Direktor des Bettemburger Pflegeheims, verstehen. Hinzu kommt dort allerdings der Konflikt vom Februar, der noch nicht gelöst ist. Damals hatte Erang nach jahrelangen Versuchen, FHL-Personal zum Übertritt zu SAS zu überreden, den Unwilligen am Ende mit einem Sozialplan gedroht: Von 200 Mitarbeitern fast die Hälfte weiter im FHL-Regime zu bezahlen, treibe den Betrieb mittelfristig in die Pleite. Noch aber gibt es keine Lösung mit der Regierung, das Pflegeheim „dauerhaft abzusichern“. Das sei nicht nur Sache des Sozialministers, sondern auch von Familienministerin und Finanzminister, erklärt Romain Schneiders Sprecher Abilio Fernandes. Der Sodexo-Direktor sagt, „wir hätten schon im Februar FHL-Personal nicht mehr lange weiterbezahlen können. Mit den nun aufgewerteten Karrieren ist das erst recht nicht zu schaffen“. Behauptungen des OGBL, auf einer Betriebsversammlung habe er erneut einen Sozialplan in Aussicht gestellt, weist Christian Erang zurück.

Dass sich das OGBL-Syndikat verständlicherweise in seiner Rolle herausgefordert fühlen muss, ist für den Sozialminister von der LSAP durchaus delikat. Seine Behauptung, das Geld sei da, ist nicht ganz wörtlich zu nehmen. Um Häusern mit FHL-Personal gezielt unter die Arme zu greifen, fehlt die gesetzliche Basis. Sie herzustellen, hatte Romain Schneiders Vorgänger Mars Di Bartolomeo eine Zeitlang erwogen, aber schließlich bleiben lassen, weil die Gefahr bestand, „Ungleichheiten vor dem Gesetz“ zu schaffen. So dass Heime mit gleich welchem Personal sich zu zwei Dritteln über ihre Pflegeakte aus der Pflegekasse finanzieren und zu einem Drittel über den Unterbringungspreis. Weil der frei kalkuliert werden darf, wäre die für ein Haus individuelle Methode die, ihn zu erhöhen. Die Stater Zivilhospize etwa müssten monatlich 440 Euro mehr nehmen, wollten sie das erwartete 1,6-Millionen-Loch so stopfen, sagt Verwaltungsratspräsident Grethen.

Solche Preiserhöhungen wären natürlich unpopulär. Und potenziell gefährlich für die Regierung, weil sie sich schlecht erklären lassen würden. Da bliebe nur, die Pflegeakte „aufzubessern“. Doch das geht nicht pro Betrieb, sondern nur für alle. Dazu handeln CNS und Pflegebetriebeverband eine Valeur monétaire aus, einen Durchschnittspreis, mit dem jeder Pflegeakt multipliziert wird. Die Verhandlungen berücksichtigen Personalkosten sehr wohl. Doch da nur ein Zehntel der in der Pflege Beschäftigten das teurere FHL-Statut hat, gehen die Kosten dafür in der Gesamtrechnung unter und am Ende werden vor allem Betriebe ohne FHL-Personal besser gestellt. Romain Schneider ließ sich im Parlament so verstehen, als werde die neue Valeur monétaire, die derzeit verhandelt wird, es richten. Sein Sprecher erklärt auf Nachfrage, „die Mittel, die zur Verfügung gestellt werden, stammen aus den Finanzierungsmechanismen, wie sie gesetzlich definiert sind. Spezifische Zuwendungen sind im Staatshaushalt nicht vorgesehen“. So versteht das auch der OGBL. Und findet, die Regierung müsse mehr bieten, als Schneider im Parlament angekündigt hat.

Die spannende Frage ist immerhin die, wie man dafür sorgt, dass der OGBL nicht etwa im Wahljahr zum Streik in Pflegeheimen bläst, weil ihm keine andere Option bleibt. Zumal es nicht allen Pflegebetrieben ums Geld geht. Zitha Senior geht es ums Prinzip: „Wir sind ein SAS-Betrieb.“ Und die Hoffnung des OGBL, die Bartringer Parcs du Troisième Âge würden bald kein Problem mehr sehen, weil die Gemeinde ihnen ähnlich unter die Arme greifen könnte wie die Hauptstadt notfalls ihren Hospizen, ist zumindest im Moment noch nicht begründet: Bürgermeister Frank Colabianchi (DP) sagt, darüber sei „noch nicht diskutiert worden“. Die Gemeinde sei aber „nicht dazu da, Defizite des Heimes zu decken“. Am Ende könnte die Lösung des ganzen Problems eine politische sein. Denkbar scheint aber auch, dass es politisiert werden und nicht nur für den Sozialminister, sondern für die LSAP zur Last werden könnte.

Peter Feist
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