Wegen versuchtem schwerem Diebstahl wurde am Dienstag ein Mann im hauptstädtischen Justizpalast einem Strafrichter vorgeführt, dies unter verschärften Sicherheitsmaßnahmen. Aber nicht, weil er so gefährlich gewesen wäre, sondern in erster Linie, weil auch die Justiz mit erhöhten Schutzmaßnahmen auf die Coronakrise reagiert. Wer das Justizgebäude betritt muss, wie in den Ge,schäften, eine Schutzmaske vor dem Gesicht tragen und sich vorher die Hände desinfizieren. Ansonsten ist ein Sicherheitsabstand von anderthalb Metern vorgeschrieben.
Manche Säle haben sie schon, andere sollen mit provisorischem Plexiglas ausgerüstet werden, bevor die Justiz ab 4. Mai langsam wieder auf Normalbetrieb umschaltet – „um Verhandlungen sicher abzuhalten zu“, wie Martine Solovieff dem Land auf Nachfrage mitteilte. Die Justiz werde auch im Krisenmodus den„service public“ sicherstellen, hatte die Generalstaatsanwältin zu Beginn des Lockdown Mitte März im Rahmen einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Polizeiminister François Bausch (Grüne) angekündigt und die Gerichte haben, im eingeschränkten Maße, Wort gehalten. Sofern es das Virus erlaubt hat.
Die ersten Vorkehrungen gegen Covid-19 traf die Steuerungsgruppe, bestehend aus den Vorsitzenden aller Gerichtsbarkeiten, eine Woche vor dem Lockdown. Schutzmasken wurden bestellt, trafen aber aufgrund der allgemeinen Verknappung und der Priorität für Gesundheitsberufe erst am 10. April ein. „Da hatten wir uns schon Masken gekauft“, so Martine Solovieff, die die „außergewöhnliche Solidarität“ unterstreicht, mit der MitarbeiterInnen den Notbetrieb angegangen seien. Rund ein Drittel arbeitete übergangsweise im Homeoffice und versuchte, Aktenstudium mit dem Homeschooling der Kinder zu verbinden, andere blieben auf dem Heilig-Geist-Plateau vor Ort. Wo es ging, wurden Dienste online abgewickelt, etwa in der Antragstelle für polizeiliche Führungszeugnisse. Schriftliche Prozeduren „liefen normal weiter“, so Solovieff.
Insgesamt rund 2 500 Entscheidungen haben alle Gerichtsbarkeiten zusammengenommen seit dem 16. März getroffen, rund 4 270 neue Affären sind bei der Staatsanwaltschaft eingegangen und rund 7 930 Bescheide haben die drei Friedensgerichte auf den Weg gebracht, darunter Strafanordnungen, aber auch Geldstrafen oder Pfändungen, so eine hauseigene Statistik der Justiz vom 24. April. Das liest sich erstmal gut. Die Berufungsinstanzen haben mit am häufigsten getagt und geurteilt.
Dennoch ist die Justiz weit entfernt von einem Normalbetrieb wie vor der Pandemie. Martine Solovieff hatte angekündigt, Gerichtsverfahren, die die Anwesenheit von vielen Personen erforderten, so lange auszusetzen, bis die Regierung die Ausgangsbeschränkungen zurücknehmen würde. Davon waren vor allem Strafverfahren betroffen. Insgesamt fielen dort 122 Sitzungen aus, bei den Friedensgerichten waren es 183. „Die größten Verzögerungen dürften wir im Bereich der Strafjustiz und bei den Friedensgerichten anstauen“, befürchtet Solovieff. Um den Zeitverlust einigermaßen wieder aufzuholen und sicherzustellen, dass Prozesse rechtzeitig stattfinden können, ohne dass Verjährung droht, werden die Gerichte diesen Sommer ausnahmsweise bis 3. August arbeiten, und nicht wie sonst bis Mitte Juli.
Eine Ausnahme von der Zwangspause bilden die Strafrechtsverfahren, die Tatverdächtige betreffen, die derzeit in Untersuchungshaft sind. Sie sind vorrangig zu behandeln. Denn eine Haft ist ein tiefer Eingriff in die Freiheit des Einzelnen, und da die Unschuldsvermutung bis zur Urteilsverkündigung gilt, müssen Betroffene zügig vor Gericht gestellt werden. Musste dieser Tage trotzdem ein Prozess abgesagt werden, „dann hat entweder der Anwalt auf die Verhandlung verzichtet, es konnten Experten aus dem Ausland nicht anreisen oder es wären insgesamt zu viele Personen im Saal gewesen“, erklärt Solovieff.
Laut Philippe Penning, Präsident der Strafverteidigervereinigung Alap, hat die Justiz den Notbetrieb „ordentlich organisiert“. Zu Pennings Fällen zählt die Affäre Branco. „Wir haben gemeinsam mit der Justiz entschieden, die Verhandlung zu vertagen. Bei den ersten Terminen waren wir, Zeugen, Experten, Übersetzer alle mitgezählt, bis zu 50 Leute im Gerichtssaal“, sagt der Strafverteidiger. Anwalt Fränz Wies berichtete dem Land, der Prozess eines in U-Haft befindenden Mandaten sei „ohne nähere Angaben von Gründen“ verschoben worden.
Strafrechtsprofessor Stefan Braum von der Uni Luxemburg weist zudem auf zwei zentrale Prinzipien hin: „Im Strafverfahren sind Öffentlichkeit und Unmittelbarkeit sehr wichtig.“ Da das Urteil im Namen des Volkes falle, müssen die Verhandlungen öffentlich sein. Anders als in Frankreich, wo der Vorschlag kursierte, wegen Corona das Öffentlichkeitsprinzip aufzulockern, sei es in Luxemburg „nie außer Kraft gewesen“, betont Solovieff. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit meint, dass sich ein Gericht nur auf Grund des unmittelbaren persönlichen Eindrucks, den es vom Angeklagten und den Beweismitteln in der Hauptverhandlung gewinnt, sein Urteil über Schuld und Strafe bilden darf. „Das Gericht ist verpflichtet, während der Hauptverhandlung ständig anwesend zu sein“, so Braum.
Schon deshalb ist die Videoverhandlung kein vollwertiger Ersatz für eine Anhörung. In Luxemburg sind Verhandlungen per Video ohnehin nur sehr begrenzt erlaubt und noch dazu ziemlich umständlich. Videokonferenzen nutzen vor allem die Richter und Staatsanwälte, um sich im Notbetrieb zu koordinieren. Gespräche zwischen Anwälte und Mandaten fanden vermehrt über Telefon statt, denn der Besuch in der Kanzlei war nicht erlaubt. Das gilt auch für Mandaten, die in Haft sitzen. „Ich habe dann telefoniert, und manche Gespräche wurden über Skype organisiert“, erzählt Penning. Auch das habe im Allgemeinen „gut funktioniert“. Für eine gewisse Zeit gehe es, nur per Telefon mit dem Mandanten zu sprechen, aber „im Prozess muss man sich ein lebendiges Bild von den Parteien machen können“, sagt Penning. Es geht dort nicht zuletzt um Glaubwürdigkeit und Erscheinungsbild. Die Schutzmasken sind aber nur bedingt verhandlungstauglich: Anwältin Julie Wieclawski hatte vergangene Woche ihre erste Verhandlung mit Gesichtsmaske. „Das fühlt sich merkwürdig an. Ein längeres Plädoyer ist damit nicht gut zu halten“, findet sie.
Notbetrieb heißt nicht, dass Untersuchungen und Verfahrensvorbereitungen komplett ausgesetzt waren. Penning hat Mandaten zum Verhör begleitet: „Da saßen wir hinter Plexiglas vor dem Untersuchungsrichter und den ermittelnden Beamten und trugen Schutzmasken.“ Das Untersuchungsgericht hatte sich in rotierende Teams aufgeteilt, um zu verhindern, sollte sich ein Kollege anstecken, dass die Krankheit sodann das gesamte Richteramt lahmlegt. In dringenden Fällen mussten Staatsanwälte oder Untersuchungsrichter ins CHL fahren, um Beschuldigte zu verhören, die dort auf den Virus getestet wurden, berichtet Solovieff. Dafür mussten sie, wie die Ärzte und Pfleger, Schutzausrüstung und Masken anlegen. „Das waren schwierige Bedingungen“, beschreibt die Staatsanwältin die Arbeit der Justizvertreter. „Selbstverständlich hatten sie auch Sorgen, sich anzustecken, die meisten haben ja Familie daheim.“ Bisher heißt es Glück im Unglück: Der Justiz wurden bisher nur zehn positiv auf Covid-19 getestete von insgesamt rund 750 Mitarbeiter gemeldet. Positiv findet Solovieff auch, dass in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen „wie es scheint, insgesamt weniger Straftaten begangen wurden“. Sogar häusliche Gewalt sei nicht signifikant mehr angezeigt worden als im selben Zeitraum im Vorjahr. „Das kann sich aber ändern“, fügt sie hinzu.
Dass die Justiz am 4. Mai wieder normal den Betrieb wird aufnehmen können, glauben die meisten Anwälte indes nicht: Dafür haben sich zu viele Verfahren angestaut, die erst einmal abgearbeitet werden müssen. Für die Anwälte bedeutet das: Sie werden sich zunächst vermutlich noch mit den Circulaires behelfen müssen: Jede Gerichtsbarkeit legt selbst ihre Termine fest und hat eigene Regeln, was die Organisation betrifft. Die unterschiedlichen Regeln sind ein kleiner Kritikpunkt der Rechtsanwaltskammer in einer ansonsten eher positiv-verständnisvollen Zwischenbilanz zur Justiz unter Covid-19: „Ich hätte mir gewünscht, die Justiz hätte sich eine einheitliche Vorgehensweise gegeben“, moniert Batonnier François Kremer. Die Anwaltskammer hatte in Abstimmung mit der Justiz ebenfalls ein Rundschreiben formuliert, in dem sie ihre Mitglieder auf die besonderen Schutzvorkehrungen wegen Corona hinweist.
Das war aber nicht der einzige Akt, den Kremer, durch den Virus ebenfalls ins Homeoffice umgezogen, während des Lockdown tätigte. In einem Brief an Arbeitsminister Dan Kersch hatte sich der Batonnier für die selbständigen Anwälte eingesetzt, die teilweise erhebliche Einbußen wegen dem Virus hinnehmen müssten. Unter Anwälten hatte Dan Kerschs lapidare Äußerungen auf Facebook über Selbständige mit starken Schultern, die ihm zufolge nicht arbeitslos werden könnten, für einige Verärgerung gesorgt. Schließlich ist nicht jede/r Anwalt/in Angestellter und sind die finanziellen Ausfälle je nach Spezialisierung teilweise groß: Angehende Anwälte sind meist nicht fest angestellt, sondern arbeiten als feste Freie im Auftrag einer Kanzlei. Fallen die Aufträge aus, weil Mandanten nicht aus dem Haus gehen oder Gerichte nicht tagen, sind sie oft die ersten, die ohne Arbeit bleiben. Um Arbeitslosengeld beantragen zu können, müssen sie sich beim Barreau abmelden. „Das ist ein großer Einschnitt“, beschreibt Julie Wieclawski die Nöte junger Kollegen.
Auch der Barreau reiht sich ein in die vielen Branchen und Wirtschaftszweige, die die Regierung wegen des Stillstands während des Lockdown um finanzielle Unterstützung gebeten haben. Dass rund die Hälfte der Anwaltskanzleien in Folge der Coronakrise im Land schließen könnte, wie das Experten in Frankreich geschätzt haben, befürchtet Batonnier Kremer gleichwohl nicht. Nichtsdestotrotz sieht er schwierige Zeiten auf die insgesamt rund 3 000 Anwälte und Anwältinnen in Luxemburg zukommen: „Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, wie zügig sich der Justizbetrieb und damit auch die Arbeitsbedingungen der Anwaltschaft normalisieren.“