Trio Als Paul Peckels und Jean-Lou Siweck 2013 die Führung bei Saint-Paul Luxembourg übernahmen, war beiden klar, was auf sie zukommen würde. Saint-Paul hatte zwar gerade schmerzhafte Sozialpläne hinter sich und seine Belegschaft von rund 1 000 Mitarbeitern auf rund 300 wegrationalisiert. Aber der Kampf gegen die Medienkrise war noch nicht gewonnen. Im Gegenteil: Das Haus stand erst am Anfang eines digitalen Transformationsprozesses gegen den Auflagenrückgang und Leserschwund. Und Direktor Peckels und Chefredakteur Siweck waren sich nicht sicher, ob dieser große Sprung nach vorne mit dem Erzbistum gelingen könnte. Ob der erzkonservative Aktionär nicht am Ende bei dieser notwendigen Kulturrevolution im Weg stehen würde. Erny Gillen teilte ihre Bedenken. Der Generalvikar hatte 2012 den Präsidentenposten von Saint-Paul nach 25 Jahren vom Geistlichen Mathias Schiltz übernommen. Und zu seinen ersten tiefgreifenden Entscheidungen gehörte die Einstellung von Peckels und Siweck.
Also begann man an der Spitze von Saint-Paul nach Alternativen zu suchen. Den Markt zu sondieren, vorzufühlen, wer als potenzieller Käufer oder Partner in Frage kommen könnte. Das Haus ging 2014 eine Kooperation mit der Neuen Zürcher Zeitung ein. Gillen suchte Kontakte zur katholischen Rheinischen Post. Und es gab 2013 eine Reise nach Antwerpen zu einem belgischen Medienkonzern mit dem schlichten Namen: Mediahuis. „Wir haben Gert Ysebaert 2013 zum ersten Mal getroffen“, sagt Paul Peckels im Gespräch mit dem Land. Ysebaert ist bis heute der CEO von Mediahuis. Seine Gruppe war 2013 aus einer Fusion von Corelio und Concentra hervorgegangen. Es ist das zweitgrößte Medienhaus in Belgien hinter der Persgroep, mit einer rechtskatholischen Tradition, einem breiten Portfolio und den Flaggschiffen De Standaart und Het Nieuwsblad.
Dabei handelte es sich um alte Bekannte. Denn Saint-Paul hatte schon einmal mit dem belgischen Medienhaus kooperiert. In den 1990er-Jahren kam es bei der belgischen Tageszeitung L’Avenir zu einem Machtkampf zwischen dem Bistum von Namur und der Redaktion. Es ging um die politische Richtung bzw. die redaktionelle Unabhängigkeit. Bischof André Leonard musste nach langem Konflikt einsehen, dass er die Zeitung nicht mehr als politisches Sprachrohr instrumentalisieren konnte und gab sich 1999 geschlagen. Das Bistum verkaufte die Mehrheit seiner Anteile an VUM (Vlaamse Uitgeversmaatschappij), dem heutigen Mediahuis, und rund einen Drittel an Saint-Paul. Über fünf Jahre gab es eine Zusammenarbeit zwischen beiden Medienhäusern, bis Saint-Paul sich 2004 aus dem belgischen Markt zurückzog.
Triumvirat Doch trotz erster Kontaktaufnahme 2013 war es noch ein langer Weg bis zur Übernahme, die am vergangenen Freitag unterzeichnet wurde. Das lag weniger an Mediahuis, die seit 2013 sehr aggressiv in die Niederlande (De Telegraaf, NRC Handelsblad) sowie auf die irische Insel (Irish Independent, Sunday Independent) expandieren und schon länger ein Auge auf den Luxemburger Markt geworfen haben, wie Pressechefin An Steylemans auf Nachfrage bestätigt. Sondern es lag vielmehr am Erzbistum Luxemburg. Der Eigentümer von Saint-Paul rang in den vergangenen Jahren mit einer Entscheidung über die Zukunft des Medienhauses, zu dem neben dem Luxemburger Wort auch Télécran, Contacto, Radio Latina und Luxembourg Times gehören. Das Bistum stand vor der Frage, worin eigentlich die Raison d’être des Hauses liegt. Sollte die größte Tageszeitung Luxemburgs als Sprachrohr für die politischen und ideologischen Interessen des Bistums und der C-Gruppe dienen? Oder soll es ein profitables Unternehmen sein, das dank unabhängigem Journalismus die Interessen seiner Leserschaft bedient?
Über Jahrzehnte konnte das Bistum diese Frage umgehen – gingen wirtschaftlicher Utilitarismus und politisch-religiöse Botschaft im C-Staat nahezu Hand in Hand. Das Luxemburger Wort war ein Kind der Revolution von 1848 und wurde durch das Bestreben des ultramontanen apostolischen Vikars Johannes Theodor Laurent gegründet. Es sollte für den Klerus ein politisches Instrument sein im Kampf gegen die liberalen Notabeln im Großherzogtum. In Anlehnung an das berühmte Bonmot von Clausewitz lässt sich die Zeitung als Fortsetzung des politischen Katholizismus mit anderen Mitteln bezeichnen. Doch das Wort fand in der erzkatholischen Luxemburger Bevölkerung des 19. Jahrhunderts auch treue Abnehmer. Nur wenige Jahre nach der Gründung war es mit rund 3 000 Abonnements im Jahre 1870 bereits zur auflagenstärksten Zeitung des Landes geworden und lieferte sich harte Kämpfe mit liberaleren Zeitungen, die es alle für sich entscheiden konnte. Im 20. Jahrhundert wurde das Wort Teil des Triumvirats aus Bistum, Partei und Zeitung – ein katholisches Machtgeflecht, das durch die Gewerkschaften LCGB, CGFP, Pfadfinder, Caritas und andere Vereine ergänzt wurde und über 100 Jahre den Luxemburger Staat kontrollierte.
Erst am Ende des 20. Jahrhunderts beginnt das Geschäft zu stocken. Nach Jahren der Expansion gehen die Zahlen bei einer Maximalauflage von 87 000 gedruckten Ausgaben im Jahre 1998 langsam zurück. Saint-Paul macht weiterhin Gewinne, verschläft jedoch wie der Rest der luxemburgischen Presselandschaft den Medienwandel. Aber seit dieser Zeit drängt sich die Frage nach dem Sinn des Medienhauses auf. Soll das Wort ein kritisches journalistisches Produkt sein oder doch lediglich ein Kommunikationsorgan der Mächtigen? Es beginnt ein langanhaltender Prozess, bei dem das Pendel hin und her schwingt. Noch 2013 zitierte der damalige Premierminister Jean-Claude Juncker die Chefredaktion mitten im Geheimdienstskandal zu sich ins Büro, um die Redakteure wegen mangelnder Unterstützung anzuraunzen. Nach den Wahlen von 2018 stellte Parteipräsident Marc Spautz ebenfalls enttäuscht fest, dass das Wort nicht die erwünschte politische Rückendeckung gab.
Und auch das Bistum zeigte sich wankelmütig und änderte immer wieder seinen Kurs in Bezug auf das Wort. Auf Reform folgte Reaktion, folgte Reform, folgte Reaktion. Vom einstigen Reformer-Trio Gillen, Peckels und Siweck blieb nach 2017 nur noch Peckels übrig. Zwischenzeitlich sollte der CSV-Politiker Luc Frieden nach einer Phase der Liberalisierung das Wort wieder enger an die politisch-religiösen Interessen des Eigentümers und der Anzeigenkunden führen. Gleichzeitig erhielt Frieden jedoch den Auftrag, einen Käufer für Saint-Paul zu suchen, wie Kardinal Jean-Claude Hollerich dem Land bestätigt. Und auch Friedens Nachfolger François Pauly erhielt die klare Mission vom Bistum, einen neuen Aktionär zu finden. 2018 sollen sich die Gespräche laut Direktor Peckels konkretisiert haben.
Milchkuh Saint-Paul erwirtschaftet dabei seit einigen Jahren wieder ordentliche Gewinne, die zwischen einer und zwei Millionen Euro liegen. Der Betrieb ist saniert, Beteiligungen sind abgeschrieben, Personalkosten werden seit Jahren gesenkt, die Schulden sind mit vier Millionen Euro relativ gering und das Wort steht mit rund 50 000 Abonnenten im Jahr 2019 weiterhin als unangefochtener Marktführer im Print da. Warum also nun doch ein Verkauf?
„Wir hätten das Wort als Milchkuh betrachten können und es noch auf Jahre hinweg bis zum letzten Tropfen melken können“, sagt auch Kardinal Hollerich. Tatsächlich hat sich das Erzbistum ordentlich bei seinem Medienhaus bedient. Über die Beteiligungsgesellschaft Lafayette SA hat es mindestens 15 Millionen Euro aus Saint-Paul herausgezogen, wie sich aus den Bilanzen entnehmen lässt. Zudem sind die Immobilien in Gasperich, die ursprünglich noch im Besitz des Unternehmens waren, im Jahr 2009 der Lafayette SA (also dem Bistum) überschrieben worden. Das Bistum vermietet seither die Immobilien an sein Medienhaus für einen jährlichen Betrag in Millionenhöhe, der sich nicht genau beziffern lässt.
Aber vor dem Medienunternehmen stehen wichtige strategische Investitionen, die das Bistum nicht tätigen kann und will. Zudem sieht der Kardinal keinen Nutzen mehr darin, ein Medienhaus zu besitzen. „Die Kirche hat keine Zeitung und keine Partei“, fasst der Kardinal den Säkularisierungsprozess der vergangenen Jahre zusammen. Aber es ginge beim Verkauf von Saint-Paul Luxembourg nicht nur um wirtschaftliche Rendite. Es hätte die Möglichkeit gegeben, durch einen anderen Käufer einen deutlich höheren Kaufpreis zu erzielen. Der Kardinal wollte dem traditionsreichen Medienunternehmen aber eine Zukunft ermöglichen und nicht für die Zerstörung der ältesten Zeitung des Landes verantwortlich sein, die mit all ihren Höhen und Tiefen Teil der Identität Luxemburgs sei.
Und mit Mediahuis scheint das Bistum tatsächlich einen Partner gefunden zu haben, der es ernst meint. Für einen Preis, der dem Vernehmen nach im niedrigen Millionenbereich liegen soll, hat Mediahuis alle Anteile von Saint-Paul Luxembourg übernommen. Im Gegenzug erhielt Lafayette SA geringe Anteile unter fünf Prozent vom Mutterhaus und sicherte sich vertraglich zu, dass die Rubrik Glaube und Leben sowie religiöse Feste weiterhin Bestandteil der Zeitung bleiben. Direktion und Chefredaktion können weiterhin im Amt bleiben, es wird (vorerst) keine Entlassungen geben. François Pauly bleibt Verwaltungsratspräsident, Marc Wagener Mitglied im Verwaltungsrat. Die neuen Mediahuis-Vertreter im Verwaltungsrat sind Bruno de Cartier (Vizepräsident), Gert Ysebaert, Kristiaan De Beukelaer und Koen Verwee.
Mediahuis genießt ein hohes Ansehen in Belgien. Karin Raeymaeckers, Professorin für journalistische Studien an der Universität Gent, spricht von einem „Prestigeunternehmen“. „Sie kopieren eigentlich seit Jahren die Strategie des Konkurrenten der Persgroep und setzen auf hochwertige Inhalte und Innovation.“ Mediahuis expandiere sehr schnell, ziele aber anders als Hedgefonds nicht darauf, Kapital aus den Gesellschaften zu ziehen, sondern setze auf langfristige Gewinne. „Sie glauben wirklich daran, mit journalistischen Medien und unabhängigen Redaktionen Gewinn zu machen“, so Raeymaeckers. Das Erzbistum hat demnach mit seiner letzten Entscheidung als Besitzer von Saint-Paul eine Antwort auf die lang verdrängte Frage gegeben: Journalismus vor Interessen.