Heute loben wir die koreanische Küche. Wir leben hier an einem Ort des Grauens. Dass es schlimm steht um unser Land, wissen wir schon lange. „In the dark heart of Europe lies a nation rotten to the core“, schreibt der amerikanische Journalist Eric Pape („The Lap of Luxembourgery“, Foreign Policy, 14. August 2011). Ja, wir sind durch und durch verdorben, auch dies ist für uns nichts Neues. Nein, wir lassen uns nicht aus der Fassung bringen, wenn Herr Pape sich zusehends steigert und Luxemburg „die überschuldete Hauptstadt der europäischen Selbstgefälligkeit“ nennt, „renowned as a secret banking haven, where North Korean Leader Kim Jong II squirreled away billions of dollars.“
Ein bisschen spannender ist schon, was er über unsere Staatsform zu vermelden hat: „Democracy is a joke, undermined by a hereditary and unelected head of state who not only can dissolve parliament, but appoints some of its members in the first place.“ Der Großherzog ernennt also in erster Linie einige Mitglieder des Parlaments. Das war uns bisher entgangen. Wie macht er das nur? Könnte es sein, dass in diesem freundlichen Nassauer ein politischer Teufel steckt?
„This armpit of the European Union, this cancer of the continent“ apostrophiert Herr Pape unsere wüste Heimat. Auch gut, schön gesagt. „Die Achselhöhle der Europäischen Union“, das schreit förmlich nach einem kräftigen Deodorant. Ein bisschen mulmig wird uns allerdings beim Stichwort „cancer“. Wenn nämlich die Amerikaner irgendwo in der Welt einen „cancer“ entdecken, ist die US-Krebsbekämpfungstruppe bald darauf mit schweren Waffen unterwegs. Vielleicht hilft es ja, dass Wikileaks soeben öffentlich machte, wie devot unser Premier, der nachweislich einsamste Nato-Liebhaber in Europa, die Intelligenz des vormaligen Präsidenten George W. Bush über den grünen Klee gelobt hat. Mit „cancer“-befallenen Ländern ist Bush immer höchst ruppig umgesprungen. Aber das war zu Zeiten, als Luxemburg noch völlig „cancer“-unverdächtig war.
Herr Eric Pape hat es dann doch noch geschafft, uns hartgesottene Heimatkritiker aus den Stiefeln zu hauen. Auf der Suche nach Kronzeugen für sein apokalyptisches Luxemburg-Porträt – „I needed to find the country’s disaffected youth, its future shock troops for change“ – ist der Amerikaner nämlich auf eine echte Perle der brutalen, großherzoglichen Kontestation gestoßen, „a successful young filmmaker, one of its best-known contemporary artists“, der aber leider der Nation abhanden gekommen ist. „But he turned out to be living in London“, notiert Herr Pape konsterniert.
Da plagt uns natürlich sofort eine ungesunde Neugier. Wieso um alles in der Welt verlässt eine lebende, einheimische Filmlegende unser spendables Land, in dem auf kinematographischer Ebene doch längst Milch und Honig fließen? „He can no longer imagine living in Luxembourg, because it makes him get itchy and want to leave after a short time.“ Aber warum nur, warum? „Here’s a young revolutionary in the making, forced into exile for his creative vision!“, schlussfolgert der mitleidende Zeitungsmann. Aber er will unbedingt nachhaken, „I pushed him on the source of his frustration.“ Und was antwortet das Luxemburger Filmwunder im Exil? Sein furchterregendes Bekenntnis hätte uns um ein Haar den Verstand geraubt: „’You don’t find any authentic Chinese restaurants’, he complained, and ‚not a single Korean restaurant’.“
Da haben wir’s. Das sitzt. Nie hätten wir geglaubt, dass unsere Nation kulturell so verkommen sein könnte. Seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten, unternimmt die stinkfaule Luxemburger Regierung nichts, aber auch gar nichts, um wenigstens ein einziges bescheidenes, symbolisches Korea-Restaurant auf unserem Territorium einzurichten. Wenn es stimmt, wie Herr Pape äußerst glaubhaft versichert, dass der nordkoreanische Diktator hier seine Milliarden bunkert, müsste doch mindestens eine Bankenkantine im Korea-Look aufzutreiben sein. Aber nein. Weit und breit keine Spur von koreanischer Küche. An diesen katastrophalen Arbeitsbedingungen wird künftig jeder revolutionäre Filmemacher aus Luxemburg scheitern.
Filmfreaks wissen genau, wie brillant sich das koreanische Kino im vergangenen Jahrzehnt entwickelt hat. Selbstverständlich ernähren sich all diese Großmeister der Leinwand von der koreanischen Küche. Das ist eine so einfache wie zwingende Feststellung. Warum also weigert sich die Luxemburger Regierung, endlich auch hier Kimchi und Bibimbap, Bulgogi und Haemultang, Jajangmyeon und Gogoma Mattang auftischen zu lassen? Will sie unsere besten Talente willkürlich nach London vertreiben? Was soll dieser kulinarische „cancer“? Soll unsere Filmindustrie an einer Bratkartoffelverstopfung zugrunde gehen?
Dem amerikanischen Journalisten danken wir von Herzen. Wir wissen jetzt, dass unser Land noch viel tiefer im Sumpf steckt, als wir je angenommen hatten. Und können nur hoffen, dass der Großherzog demnächst auch Korea-Köche ernennen wird.