Heute loben wir den Drahtesel und seinen Reiter. Soviel steht fest: Wir haben den besten Außenminister der Welt. Das springt schon rein äußerlich ins Auge. Er pflegt mit Akribie die alten Tugenden der Fortbewegung. Den Verführungen der modernen Kommunikation widersteht er mit geradezu rustikaler Gleichmut. Er zieht es vor, sich dem Volk per Fahrrad mitzuteilen. Welche andere Nation kann mit einem radelnden Außenminister renommieren? Das Fahrrad ist ein schrecklich altmodisches Vehikel, behaupten die Feinde der Pedale. Wir halten dagegen: das Fahrrad ist ein Instrument der intelligenten Verlangsamung. Wer Rad fährt, blockiert nicht von vorneherein seinen Denkapparat. Die Geschwindigkeit des Fahrrads ist nämlich identisch mit der Geschwindigkeit der Gedanken. Woraus wir schließen: Wer radelt, denkt. Das Rad ist also ein exzellentes Gedankentransportmittel, ein Werkzeug der Meditation. Wann immer unser Außenminister aufs Rad steigt, hat er nur eines vor: ungestört zu denken.
Jean Asselborn ist eine Art Bruder Schleck der Politik. Der Turbo-Kapitalismus reist im Düsenjet, der Sozialismus fährt Rad. Das mag eine fundamentale Ungerechtigkeit der Geschichte sein, aber immerhin bleibt der Sozialismus auf diese Weise dem gemächlichen Denken verbunden. Das Rad ist menschlich, der Düsenjet ist eine zutiefst menschenfeindliche Maschine. Man sieht ja, was Politiker fertigbringen, die quasi mit Lichtgeschwindigkeit von Kontinent zu Kontinent fliegen. Herrn Juncker zum Beispiel können wir uns in Verbindung mit einem Fahrrad gar nicht vorstellen. Seine rasende Sprücheklopferei ist nichts als sprachgewordener Jetlag. Er ist eben dabei, mit seinen hektischen Sprüchen Europa in den Abgrund zu treiben. Und was tut Herr Asselborn? Er fährt Rad und rettet die Welt.
Ausgerechnet dieser denkfreudige Außenminister wäre nun fast einem Anschlag zum Opfer gefallen. Wie es heißt, hat ihn ein Insekt von seinem Drahtesel gerissen. Nur mit knapper Not konnten ihn die Ärzte wiederbeleben. Ein Insekt? Da stimmt doch was nicht. Welches einheimische Insekt wäre so töricht, die Luxemburger Außenpolitik zu sabotieren? Die Natur mag bisweilen grausam sein, aber in letzter Instanz vergreift sie sich nie an ihren herausragendsten Repräsentanten. Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass alle Luxemburger Insekten über ausreichend Heimatliebe verfügen, um nicht völlig kontraproduktiv einem Luxemburger Spitzenpolitiker das Lebenslicht auszublasen. Nein, hinter dieser angeblichen Insektenkapriole steckt ein waschechtes Komplott. Bald wird sich herausstellen, dass einmal mehr der Mossad, der durch und durch obskure israelische Geheimdienst am Werk war. Wer mit dem wüsten Stuxxnet-Virus die gesamte iranische Nukleartechnologie lahmlegen kann, der schafft es auch problemlos, eine miniaturisierte Drohne auf Jean Asselborn anzusetzen. Hat unser Außenminister nicht immer wieder die Palestinenser über den grünen Klee gelobt? Quod erat demonstrandum.
Zum Glück hat Jean Asselborn die Katastrophe überlebt. Hätte er das Zeitliche gesegnet, was wir uns nur mit Grauen vorstellen können, wäre auch der Symbolwert des Fahrrads abrupt abgestürzt. Das Fahrrad ist inzwischen zu unserem wichtigsten Identitätsmerkmal avanciert. Wir Luxemburger sind die Langsamen, die Bedächtigen. Wir hassen die hyperaktiven Gestalten der Politik. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass unser doppelter Nationalheld Schleck heißt, also „Schnecke“ oder „Escargot“. Wir sind das Volk der beharrlichen Schnecken, und Jean Asselborn ist unser begnadeter Wegweiser. Dabei fällt uns ein, dass auch Frank Schleck zu Beginn der Tour de France von einem Insekt angegriffen wurde. In der Presse stand zu lesen, er habe die aufsässige Biene, die ihm mit Todesverachtung schnurstracks in den Mund hineinflog, tapfer hinuntergeschluckt. Die Biene? Da können wir nur lachen. Der Mossad arbeitet offenbar flächendeckend.
Wir Luxemburger sollten jetzt nicht den Kopf verlieren. Unsere ausgeklügelte Fahrrad-Ideologie wird uns demnächst vor dem Schlimmsten bewahren. Wenn nämlich Europa in Trümmern liegt, wenn nichts mehr geht auf den pompösen Märkten, wenn alle europäischen Außenminister außer Jean Asselborn ihre schnellen Staatskarossen verschrotten müssen, weil kein Benzin mehr fließt, dann wird das visionäre Format unseres Außenministers strahlend zutage treten. Mitten in der europäischen Trümmerlandschaft wird er Rad fahren und denken. Und aus dem Sattel heraus weiterhin die Welt retten.
Wenn die Weltwirtschaft zusammenbricht, gewinnen wir endlich auch die Tour de France. Aus dem einfachen Grund, weil Cadel Evans gar nicht mehr antanzen kann. Australien liegt dann, ökonomisch und flugtechnisch betrachtet, auf einem unerreichbar fernen Planeten. Wir aber, das heißt unsere verbrüderten Schnecken, müssen nur mal kurz über die Grenze radeln, und schon winkt das gelbe Trikot. Die Welt wird uns maßlos beneiden. Da können unsere Feinde noch soviele falsche Insekten in die Schlacht schicken.