Man kann es getrost eine Nicht-Antwort nennen: Im Juli hatte die frisch gebackene CSV-Abgeordnete Claudine Konsbruck eine parlamentarische Anfrage an Polizeiminister Etienne Schneider (LSAP) gestellt: Sie wollte Details zur geplanten Ausdehnung des Kameraüberwachungssystems Visupol, unter anderem zur Technologie, die die Polizei an den neuen Kontrollpunkten einsetzen will.
Dass es neue Video-Kameras werden, leistungsfähigere, wurde deutlich, als die Polizei im hauptstädtischen Gemeinderat Details zu dem Vorhaben präsentierte und im Mai auf einer Bürgerversammlung. Dort hatten Polizei und Stadt gemeinsam die Pläne vor rund hundert AnwohnerInnen vorgestellt. Betroffen sind von der Erweiterung im Bahnhofsviertel laut Polizeischätzungen 2 300 Personen, die in den überwachten Zonen leben. Rechnet man die geplanten Stellen in Bonneweg und Hollerich hinzu, dürfte sich diese Zahl auf mehrere Tausend erhöhen.
Der Polizeiminister hatte wohl geantwortet, dass in einer ersten Phase die Überwachung rund um den Bahnhof erweitert werde, dies „im Laufe des Herbstes“. Gegenüber Gemeindeverantwortlichen war die Polizeidirektion präziser gewesen und hatte den Zeitraum von August bis September für die Errichtung von vier Kontrollpunkten in der Rue Adolphe Fischer, der Rue Glesener und der Rue 1900 genannt. Bis Ende November sollten in einer zweiten Phase 16 weitere Kameras in der Rue Adolphe Fischer, Rue de Strasbourg, Rue Fort Wedell und der Rue du commerce und schließlich in der dritten Phase 30 Kameras in der Straßburger Straße bis hoch zur Avenue de la Liberté und weiter nach Hollerich aufgehängt werden. Ab 2019 bis Mitte 2020 sollen die 22 Kameras in der neuen Sicherheitszone in Bonneweg rund um die Place Leo XIII, die Rue des Ardennes und die Rue Sigismond aufgestellt werden, plus sechs Kameras in der Unterführung am Pont Adolphe, sowie sechs Kameras am Parkplatz Glacis und weitere in Richtung neuem Stadium, deren Zahl noch nicht feststeht. Der Zeitplan scheint wegen Stromkabeln, die unterirdisch verlegt werden müssen, allerdings nicht mehr realistisch.
Schweigen über Technologie
Nicht beantwortet hatte Schneider dagegen den anderen Teil der Frage der Abgeordneten Konsbrück, den zur Technologie. Die Frage ist nicht ohne. Bei der Vorstellung der Pläne im Gemeinderat sprach der Polizeichef René Lindenlaub von 360-Grad-Kameras, wie sie an der Avenue de la Liberté hängen: Sie erlaubt eine Rundumerfassung. Private Hauseingänge werden maskiert, also nicht überwacht. Laut Polizei können Menschen bis auf hundert Meter identifiziert werden. Die Filme werden nach zwei Monaten gelöscht. Der Hersteller wirbt damit, mit der Netzwerkkamera mit bis zu 51 Megapixeln könne „von einem einzigen Standort aus ein riesiges Areal überblickt“ – und die Auflösung je nach Kundenwunsch nahezu beliebig skaliert werden (heutige Visupol-Kameras bis 5 Mp). Die Technologie funktioniert auch nachts und liefert bei Straßenbeleuchtung noch farbige Bilder. Da jedoch eine automatische Gesichtserkennung gesetzlich nicht erlaubt ist, arbeite man auch nicht damit, so die Polizei.
So ein intelligentes Überwachungssystem hatte die Berliner Polizei seit August 2017 an einer S-Bahnstation in der deutschen Hauptstadt getestet. Die Kamera erkannte und identifizierte die gefilmten Personen, vorausgesetzt sie waren in der Datenbank gespeichert. Der Einsatz sorgte für Kritik: Zum einen weil sich herausstellte, dass die Polizei mehr Daten erhoben hatte, als sie den 300 Testpersonen zuvor mitgeteilt hatte und zudem Personen erfasst wurden, die nicht am Versuch teilnehmen wollten. Zum anderen wegen der Kosten: Zunächst sollten sechs Monate Testlauf 60 000 Euro kosten, am Ende wurden mehr als 200 000 Euro daraus.
In Luxemburg rechnet die Polizei für die Installation aller Kameras bis Ende 2019 mit über einer Million Euro: In mehreren Etappen kämen zusätzlich zu bereits existierenden 33 Kameras am Bahnhof 80 weitere hinzu, das ist mehr als eine Verdopplung. Die Kosten für die Kameras in Richtung neuem Stadion stehen noch nicht fest.
Der Berliner Testlauf endete im August, wie erfolgreich er war, ist unklar, die Ergebnisse sind noch nicht veröffentlicht. Zunächst hieß es, die Kameras lieferten eine Trefferquote von 70 Prozent, später hieß es von 90 Prozent. Bei über 100 000 Personen, die täglich den Kontrollpunkt passieren, wären das etwa 1 000 falsche Verdächtigungen, in denen das System jemanden irrtümlich identifiziert – beispielsweise als gesuchten Terroristen. Ungeklärt ist in Deutschland allerdings, ob der Einsatz des Gesichtserkennungssystems überhaupt mit den Datenschutzbestimmungen vereinbar ist: Die Berliner Datenschützerin Maja Smoltczyk bezweifelte das, weil sich mit der flächendeckenden Gesichtserkennung anonym zu bewegen unmöglich sei.
Legale Basis unklar
Die Frage nach der legalen Basis für Visupol 2 hatte weder die Juristin Claudine Konsbruck gestellt, noch die Gemeindepolitiker bei der Sitzung im Juli. Dabei ist sie alles andere als geklärt. Seit dem Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung (d‘Land vom 9.8.2018) fragt sich, wer die Kontrolle über derlei Überwachungssysteme im öffentlichen Raum hat. In seiner Einlassung vor der Gemeinde hatte Polizei-Regionaldirektor René Lindenlaub selbstbewusst behauptet, eine Zustimmung des bisher zuständigen hauptstädtischen Präventionskomitees und der Staatsanwaltschaft sei wegen neuer Datenschutzbestimmungen nicht länger notwendig, der Polizei sei gleichwohl an einer weiteren Konsultation mit dem Komitee gelegen. Diese Interpretation ist strittig: Denn Rechtsgrundlage von Visupol 1 war ein Reglement, das sich auf den Artikel 17 des alten Datenschutzgesetzes von 2002 stützte. Laut Polizei sei ein eigenes Gesetz oder ein Reglement jetzt „nicht mehr zwingend notwendig“. Artikel 17 ist mit der DSGVO hinfällig geworden, die Datenschutzkommission für die Kontrolle öffentlicher Überwachungssysteme zuständig. Man werde in den nächsten Tage Gespräche führen, so Thierry Lallemang vorsichtig: „Wir warten weitere Erklärungen ab.“ Vielleicht ist diese Kontroverse der Grund, dass die Polizei eine Anfrage des Land, das Projekt zu besichtigen, erst ab Ende dieser Woche zusagen wollte, Nachfragen beantwortete sie bereitwillig schriftlich.
Es gibt noch ein prinzipielles Problem: Laut EU-.Direktive über Datenbanken der Strafverfolgungsbehörden kann die Polizei zur Kriminalitätsbekämpfung und Prävention von Straftaten allerlei Datenbanken anlegen und führen. Allerdings gilt auch da das durch die DSGVO gestärkte Prinzip der Verhältnismäßigkeit und der Datensparsamkeit. Dass sie die Videoüberwachung mehr als verdoppeln will, begründet die Polizei mit dem anhaltenden Drogenproblem rund um den Bahnhof, im Bahnhofsviertel und den angrenzenden Vierteln Hollerich und Bonneweg. Es werde immer schwieriger, die Dealer zu erwischen, die Beobachtung sei daher „ein sehr wichtiges Mittel“ um konkret intervenieren zu können, zumal die Beamten Zusammenstöße riskierten. Es habe sich gezeigt, dass die Kameras „klar einen präventiven Effekt“ haben, so die Polizei weiter, ohne aber Daten vorzulegen, die dies belegen. Die Bilder seien zudem bei Ermittlungen von „großem Nutzen“, um im Nachhinein mutmaßliche Täter zu identifizieren. Die DP-Bürgermeisterin Lydie Polfer hatte im Juli keine Einwände gegen das erweiterte Visupol erhoben und auch der Koalitionspartner CSV stimmte dem Projekt vorbehaltlos zu. Polfer setzt darauf, so auch dem Problem der Obdachlosen beizukommen, die im städtischen Park ihr Lager aufschlagen sowie den„nombreuses incivilités“, die sich rund um die Grundschule nah dem Bahnhof abspielten.
Unklare Wirkung
Doch wird das funktionieren? Und was bedeutet die Massenüberwachung für die Privatsphäre der Bewohner in den Vierteln? Diesen Punkt hatte Polizeiminister Etienne Schneider selbst aufgeworfen und die Bürger während der Versammlung darauf hingewiesen, dass sie mit der Visupol-Erweiterung – trotz Videomasken, die etwa private Hauseingänge verdecken – intensiver erfasst würden als bisher. Das scheint aber niemanden zu schrecken: Claudine Konsbruck zufolge stimmte eine überwältigende Mehrheit der Anwesenden für die Ausdehnung. Nur „zwei bis drei“ seien dagegen gewesen.
Das naive Zutrauen erstaunt, hatte doch im Oktober 2011 eine Auswertung Zweifel an der Wirksamkeit aufgeworfen. Zwar war das Fazit der Uni Greifswald und des Europäischen Zentrums für Kriminalprävention grundsätzlich positiv. Die Kriminalität rund um den Bahnhof sei im untersuchten Zeitraum zurückgegangen und „eine offene Drogenszene nicht mehr“ auszumachen. Doch es gab Verdrängungseffekte, Dealer wichen überwachten Plätzen aus und verkauften Drogen stattdessen in Bussen und Einfahrten. Auch konnten die Forscher nicht ausschließen, dass die Zahl der Körperverletzungen stieg, weil eine verlagerte Drogenszene Revierkonflikte auslösen kann. Keine eindeutigen Befunde, so dass die Grünen, die Visupol anfangs befürwortet hatte, Kameras nur noch an neuralgischen Plätzen um Schule und Kindergärten behalten wollen, aber sonst auf die Bremse treten. François Benoy, grüner Vertreter im Gemeinderat, bemängelt: „Viel spricht dafür, dass sich die Probleme tiefer in die Wohnviertel hineinverlagern. Das ist eine Pseudolösung.“ CSV-Sozialschöffin Isabel Wiseler-Lima will die Kameras als Teil eines komplexen Ansatzes verstanden wissen: „Sicher helfen die Kameras nicht allein, aber sie schrecken ab. Was haben wir sonst?“
Dass mehr Kameras kaum dauerhaft für eine bessere Bilanz bei der Verbrechensbekämpfung sorgen, belegen ausländische Studien. Eine ausführliche Auswertung von 2014 zur Videokameraüberwachung im Schweizerischen Luzern ergab ein tendenziell ernüchterndes Fazit: Die Stadt hatte den Bahnhofsplatz 2008 durch Kameras überwachen lassen. Dabei konnte laut Forschern „kein abschreckender Effekt der Einführung von Kameras auf sicherheitsrelevante Ereignisse“ beobachtet werden. Am Bahnhofsplatz selbst wurden sogar mehr Delikte registriert. Auch waren Anzeichen für eine Verlagerung von polizeilich registrierten Delikten in überwachte Bereiche in der Nähe zu beobachten. Das Sicherheitsempfinden der Bevökerung, Lieblingsargument von Polizei und Politik, um Massenüberwachung zu rechtfertigen, hatte sich ebenfalls nicht verbessert: Der Bahnhofsplatz in Luzern galt weiterhin als Problemzone Nummer eins, dafür stieg die Akzeptanz für die Überwachung deutlich. Und in Luxemburg? Ist keine weitere unabhängige Evaluation der Visupol-Überwachung geplant.