d’Land: Herr Thomas, ist den Gewerkschaften der Klimawandel egal?
Adrien Thomas: Wie viele andere Organisationen haben auch die Gewerkschaften ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Klimafrage entwickelt, doch sie haben Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung. Insbesondere wenn Themen anstehen, die von ihnen als dringender empfunden werden, wie zum Beispiel die Kaufkraft, verliert der Klimawandel an Stellenwert. Grundsätzlich haben die Gewerkschaften sich aber klar positioniert: Sie haben die Proteste von Fridays for Future und Youth for Climate unterstützt und sich für strengere Maßnahmen im Bereich des Klimaschutzes ausgesprochen. Die internationale Gewerkschaftsbewegung setzt sich seit Jahren bei den UN-Klimakonferenzen für ehrgeizigere und verbindlichere Ziele ein. Trotzdem steckt sie in einem Dilemma, weil durch die Energietransition viele Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Die Dekarbonisierung betrifft vor allem die traditionellen Industriesektoren, in denen die Gewerkschaften noch sehr präsent sind.
Der Klimawandel ist aber nicht ihre oberste Priorität, wie die Tripartite-Vereinbarung von vergangener Woche gezeigt hat. Auch die Einführung einer CO2-Steuer vor zwei Jahren sahen sie sehr kritisch.
In der Klimafrage haben die Gewerkschaften durchaus mit Kohärenzproblemen zu kämpfen. Auf der einen Seite befolgen sie nachhaltige Prinzipien, auf der anderen Seite stehen in der Industrie gute Arbeitsplätze auf dem Spiel. Das alles in einem Kontext, in dem die Gewerkschaften Mitglieder verlieren und es immer schwieriger wird, attraktive Tarifverträge auszuhandeln und sich in neuen Sektoren zu etablieren. Im aktuellen Kontext von hoher Inflation kommt der Kaufkraft natürlich eine hohe Bedeutung zu. Unabhängig von der Gewerkschaftsbewegung liegt das ganze Drama der Klimapolitik ja darin, dass jedes Mal wenn man denkt, es könnte sich etwas ändern, eine andere Krise oder ein anderes Thema sich in den Vordergrund drängt und die Prioritäten wieder anders gesetzt werden.
Kaufkraft befeuert den Konsum und zu viel Konsum ist nicht nachhaltig und klimaschädlich, würden Umweltschützer/innen sagen, die Verzicht, Bescheidenheit und Genügsamkeit predigen. Ist das Engagement der Gewerkschaften für den Erhalt der Kaufkraft schädlich für Klima und Umwelt?
Die Gewerkschaftsbewegung hat nach wie vor viele Mitglieder im Arbeiter- und niederen Angestelltenmilieu, während die Umweltbewegung historisch eher der Mittelschicht entsprungen ist und auch dort weiterhin rekrutiert. Wenn man über ein höheres Einkommen verfügt, ist es natürlich leichter, auf Dinge zu verzichten. Eine gewisse Tendenz zum Produktivismus ist der Gewerkschaftsbewegung aber inhärent: Du möchtest dein Stück vom Kuchen und wenn du ein größeres Stück willst, musst du dafür sorgen, dass der Kuchen größer wird. Ein größeres Stück eines gleichbleibenden Kuchens zu erstreiten, wird unter den gegebenen Machtverhältnissen als unmöglich angesehen. Dann ist man schnell in der Wachstumsspirale. Andererseits wird die soziale Gerechtigkeit in der Umwelt- und Klimafrage immer wichtiger: Die Menschen sind bereit, sich in ihren Konsumgewohnheiten einzuschränken, solange sie den Eindruck haben, dass es eine kollektive Anstrengung ist. Ansonsten entstehen Diskussionen wie die um die Privatjets, die zurzeit in Frankreich geführt wird.
Verzicht und Genügsamkeit scheinen vor dem Hintergrund von Ukrainekrieg und Energiekrise nicht nur im Hinblick auf den Klimawandel angebracht. Wenn die Gasreserven für diesen Winter aufgebraucht sind, haben wir ein noch größeres Problem.
Tatsächlich waren fossile Energien lange Zeit zu günstig und es besteht ein gesellschaftlicher Konsens, dass sie teuerer werden müssen. Der Preis kann ein Anreiz zum Umstieg auf Erneuerbare sein. Man muss aber zwischen „guten“ und „schlechten“ Preissteigerungen unterscheiden. Gut sind höhere Preise, wenn sie auf einer politischen Entscheidung beruhen und sie durch Steuererhöhungen zustande kommen, die rechtzeitig angekündigt werden, damit die Leute sich darauf einstellen können. Solche Preiserhöhungen können eine Lenkungswirkung entfalten und die Steuermehreinnahmen können umverteilt werden, beispielsweise um Haushalte mit niedrigeren Einkommen bei der energetischen Sanierung zu unterstützen. Die aktuellen Preissteigerungen sind aber problematisch, weil sie maßgeblich auf geopolitische Faktoren wie den Krieg in der Ukraine zurückzuführen sind und die Mehreinnahmen den Produzenten fossiler Energien zugute kommen.
Welche Mittel haben die Gewerkschaften denn, um eine aktivere Rolle bei der Energietransition einzunehmen?
Anders als viele Umweltorganisationen kennen die Gewerkschaften die betriebsinternen Produktionsprozesse, weil ihre Mitglieder daran beteiligt sind. Allerdings spielen sie dieses Potenzial nicht wirklich aus. Vielleicht liegt das daran, dass sie die Tradition verloren haben, sich unabhängig vom Patronat zu industriepolitischen Themen zu positionieren. Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass es in den Gewerkschaften an Kompetenz in Klima- und Umweltfragen fehlt. Oder sie wollen sich wegen sinkender Mitgliedszahlen nicht zu weit aus dem Fenster lehnen und sich stattdessen lieber auf ihre Kernthemen wie bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne konzentrieren. Mit dazu bei trägt sicherlich auch, dass Arbeitgeber den Klimawandel häufig als Wettbewerbsnachteil für ihren Standort oder ihr Unternehmen darstellen und mit Stellenabbau oder Lohnsenkungen drohen, falls sie strengere Auflagen erfüllen müssen. Das erhöht den Druck auf die Gewerkschaften, sich der Unternehmensposition unterzuordnen, insbesondere, wenn es innerhalb der Gewerkschaft keinen starken Willen gibt, sich zu Klimafragen zu positionieren und sich die nötigen Kompetenzen zuzulegen, um eigene Standpunkte zu entwickeln. Für gewöhnliche Personaldelegierte ist es nicht einfach, sich zu teilweise sehr komplizierten Themen wie beispielsweise dem europäischen Emissionshandel eine Meinung zu bilden.
Wie wäre das praktisch umsetzbar?
In den Delegationen gibt es Gleichstellungsbeauftragte. Genauso gut könnte man sich einen Experten für Umwelt- und Klimafragen vorstellen, der sich um Themen wie sanfte Mobilität, Energiesparen oder Recycling kümmert. Auf diese Weise könnten die Gewerkschaften eine aktivere Rolle in den Produktionsprozessen einnehmen, die über allgemeine Deklarationen hinausgeht.
Vielleicht müssten Gewerkschaften und Umweltverbände dafür enger zusammenarbeiten. Jean-Claude Reding war Vorstandsmitglied im Mouvement écologique, bevor er 2004 OGBL-Präsident wurde. Damals fand eine Annäherung statt, die in den vergangenen Jahren auf der Ebene der Salariatskammer intensiviert wurde. Das aktuelle Tripartite-Abkommen hat der Mouvement écologique jedoch stark kritisiert. Ist dieser Schulterschluss nun in Gefahr?
Das ist schwer zu sagen. Fakt ist aber, dass es selten eine Tripartite-Vereinbarung gab, die auf so viel politische Zustimmung stieß. Selbst die CSV als größte Oppositionspartei steht dahinter. Das ist umso bemerkenswerter, weil die Tripartite seit dem Scheitern von 2010 als Auslaufmodell galt. Neu ist, dass die Kritik vor allem von Organisationen wie dem Mouvement écologique oder der Caritas kommt.
Ist das Tripartite-Modell aus den 1970-er Jahren noch zeitgemäß oder müssten in Zeiten von Klimawandel und steigender Ungleichheit Umweltverbände und soziale Hilfsorganisationen mit am Tisch sitzen?
Die Klimafrage hat offensichtlich bei der letzten Tripartite keine maßgebliche Rolle gespielt. Im Jahr 2022 ist das schon erstaunlich. Die verantwortlichen Akteure müssten ein Format finden, in dem das wichtigste Thema der kommenden Jahrzehnte bei den Verhandlungen präsenter ist und Fragen nach intergenerationeller und globaler Gerechtigkeit mit behandelt werden.
Im Zusammenhang mit dem Klimawandel wird immer auch die Systemfrage gestellt. Tragen die Gewerkschaften mit ihrer Fixierung auf Kaufkraft und Konsum mit dazu bei, dass das kapitalistische System und die Ungleichheiten, die es produziert, weiter gestärkt und untermauert werden?
Die Gewerkschaften haben immer schon sowohl direktere als auch weitreichendere Ziele verfolgt. Auch in Luxemburg gingen ihre Forderungen über die nach besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen hinaus. Sie haben Stellung zur Wohnungsnot, zu Bildungsfragen, zur Gesundheitspolitik und zur Integration von Migranten bezogen. Gleichzeitig gibt es auch Spannungen. In manchen Perioden hatten sie eine engere Auffassung ihres politischen Mandats, in anderen verfolgten sie einen breiteren Ansatz. Offensichtlich sind sie in den vergangenen Jahren zurückhaltender geworden. Man konnte das beim Referendum von 2015 beobachten, als OGBL und LCGB sich sehr diskret zum Ausländerwahlrecht äußerten und keine Unterstützungskampagne für das Ja führten, obwohl die Mehrzahl ihrer Mitglieder Nicht-Luxemburger sind. Auch während der Coronakrise waren sie sehr vorsichtig, als über obligatorische Tests am Arbeitsplatz und die Impfpflicht diskutiert wurde. Der Eindruck drängte sich auf, diese Themen würden sie nicht direkt betreffen, obwohl es dabei ja vorrangig um Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz ging. In Klimafragen scheint das ähnlich zu sein.
Woran könnte das liegen?
Möglicherweise hat diese Zurückhaltung mit der defensiven Haltung zu tun, in die sie gedrängt werden, wenn ihnen vorgeworfen wird, sie hätten immer weniger Mitglieder und seien nicht mehr repräsentativ. Der Rückzug auf ihr Core-Business Löhne und Arbeitsbedingungen könnte jedoch zur Folge haben, dass sie weniger attraktiv werden als Allianzpartner für andere gesellschaftliche Akteure wie Umweltverbände und für jüngere Menschen, denen die Klimafrage ein zentrales Anliegen ist. Das Dilemma besteht darin, dass sie einerseits darauf achten müssen, nicht zu viele langjährige Mitglieder zu verlieren und sich andererseits öffnen müssen, um neue Mitglieder dazu zu gewinnen.
In einem weiteren Dilemma stecken die Gewerkschaften, wenn sie einerseits die nationalen Interessen ihrer Mitglieder verteidigen müssen und andererseits der globalen Ungerechtigkeit Rechnung tragen sollen, die durch den Klimawandel noch verstärkt wird. Die Gewerkschaftsbewegung ist ja auch und vor allem eine internationale.
Der Begriff der Just Transition, der heute von Regierungen, Arbeitgeberverbänden und Umweltorganisationen auf der ganzen Welt gebraucht wird, wurde vom Internationalen Gewerkschaftsbund (ITUC) in den öffentlichen Diskurs eingeführt. Auf nationaler Ebene spielen dann aber häufig andere Überlegungen eine Rolle. Da Polen noch sehr abhängig von Kohle ist, unterstützen die Gewerkschaften dort den Kohleabbau. In den USA hat die Sorge um Kompetitivität die Gewerkschaften lange davon abgehalten, im Klimabereich aktiv zu werden. In Zukunft dürfte die Diskussion um Carbon Leakage sich noch weiter ausweiten: Wenn Europa striktere Auflagen beim Klimaschutz umsetzt, könnten Unternehmen Teile ihrer Produktion in Drittstaaten mit weniger strikten Vorschriften verlagern. Diese Diskussion fördert nationales Konkurrenzdenken, was es für die Gewerkschaftsbewegung nicht leichter macht.
Anstatt nur am Indexmechanismus festzuhalten, müssten die Gewerkschaften in Zeiten von Energietransition und Digitalisierung nicht andere Aspekte wie Lebensqualität, Arbeitszeitreduzierung und Steuergerechtigkeit stärker in den Vordergrund rücken?
Das Festhalten am Indexmechanismus ist einerseits darauf zurückzuführen, dass laut OECD in Luxemburg lediglich 57 Prozent der Beschäftigten einem Tarifvertrag unterliegen, also deutlich weniger als die 80 Prozent, die die EU-Mindestlohnrichtlinie als Richtwert empfiehlt. Andererseits hat Luxemburg keine Tradition konfliktueller Tarifvertragsverhandlungen. Hinzu kommt, dass die Gewerkschaften sich seit den 1930-er Jahren auf ihre guten Beziehungen zum Staat verlassen. Die Verbindungen zur Politik gleichen die Schwächen in der Mobilisierungsfähigkeit aus, zur Absicherung der Arbeitsbedingungen setzen die Gewerkschaften auf den Gesetzgeber. Hieraus erklärt sich auch die privilegierte Beziehung des OGBL zur LSAP und des LCGB zur CSV.
Ist dieses neokorporatistische Modell mit seinen unzähligen intransparenten Gremien, bei dem am Ende immer die Allgemeinheit zahlt, noch zeitgemäß? Oder wäre es besser, die Gewerkschaften könnten in bilateralen Kollektivvertragsverhandlungen Unternehmen und Branchenverbände davon überzeugen, ihnen mehr Sozialrechte und betriebliche Mitbestimmung zu gewähren?
Das neokorporatistische Modell mag einerseits angestaubt wirken. Das Delegieren von Entscheidungen an die Exekutive und an Spitzenverbände, die sich auf Expertenmeinungen stützen, erscheint andererseits aber wieder ganz zeitgemäß als Konfliktvermeidungsstrategie. Die Gewerkschaften hatten allerdings immer zwei Standbeine: ihre Mobilisierungsfähigkeit und ihre Verbindung zum Staat. Wenn die Mobilisierungsfähigkeit sinkt und dadurch die Abhängigkeit von der Politik zu groß wird, sind die Gewerkschaften nicht mehr in der Lage, sich durchzusetzen. Diese Frage stellt sich derzeit, umso mehr weil viele Gewerkschaftsmitglieder Nicht-Luxemburger oder Grenzpendler sind und daher nicht wählen dürfen, was ihre Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme weiter einschränkt.
Wie kommen die Gewerkschaften aus dieser Lage wieder heraus?
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder die Gewerkschaften ziehen sich in die Sektoren zurück, die gut syndikalisiert sind, wie den öffentlichen Dienst, die Industrie, Teile des Transportbereichs, sowie das Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen. Dann werden sie jedoch eher zu Lobbygruppen und können keinen Anspruch mehr auf eine umfassende Vertretung der Arbeitswelt erheben. Oder sie versuchen, sich inhaltlich zu revitalisieren und in neuen Sektoren Fuß zu fassen, in denen die Gewerkschaften bislang nur wenig präsent sind. Das aktuelle Modell einfach weiterzuführen, scheint mir angesichts sinkender Mitgliedszahlen und einer niedrigen Tarifbindung jedenfalls riskant.
Menschen mit einem gewissen Bildungsniveau scheinen immer häufiger den Eindruck zu haben, dass sie ihre Arbeitsbedingungen selber verhandeln könnten und dafür keine Gewerkschaft brauchen.
Die meisten Gewerkschaftsmitglieder haben einen mittleren Schulabschluss, Unqualifizierte und Hochqualifizierte sind weniger repräsentiert. Bei Angestellten mit Hochschulabschluss kann es daran liegen, dass sie entweder glauben alleine klarzukommen, oder die Gewerkschaften in ihrem Betrieb nicht vertreten sind. Allgemein gilt: Je älter und größer der Betrieb, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Gewerkschaften dort präsent sind. Das erklärt, weshalb sie in Europa vor allem in der Industrie und im öffentlichen Dienst noch Einfluss haben.
Die Gewerkschaften weisen gerne darauf hin, dass sie kein Servicebetrieb sind, sondern ihre Ausrichtung vom Engagement ihrer Mitglieder bestimmt wird. Auffällig ist, dass Aktivist/innen aus dem Bereich Klima- und Umweltschutz und auch aus anderen neuen sozialen Bewegungen sich selten gewerkschaftlich engagieren. Woran könnte das liegen?
In den vergangenen 50 Jahren waren zwei soziale Bewegungen besonders erfolgreich: die Umweltbewegung und die Feministinnen. Beide haben den öffentlichen Diskurs und die gesellschaftliche Wahrnehmung nachhaltig verändert und schaffen es, sich ständig zu erneuern und auch junge Generationen anzusprechen und zu integrieren. Die klassische Arbeiterbewegung mit den Gewerkschaften und ihrem politischen Arm, den sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien, hat im gleichen Zeitraum kontinuierlich an Einfluss und an Mitgliedern verloren. Sie waren kulturell nicht mehr in der Lage, eine Hegemonie auszuüben und die gesellschaftliche Debatte auf ihre Kernthemen zu fokussieren. Vielleicht lag das daran, dass vor allem in der Mittelschicht der Eindruck entstanden war, die Fragen von Arbeitsbedingungen und Löhnen seien endgültig geregelt. Andererseits sieht man in den USA, dass neue Gewerkschaften gegründet werden in Unternehmen wie Apple oder Amazon und im Start-up-Sektor, vor allem von Angehörigen der Generation, die nach der Finanzkrise von 2008 aufgewachsen ist, im Kontext von Black Lives Matter, MeToo und der Klimabewegung politisch sozialisiert wurde und oftmals Bernie Sanders unterstützt hat. Diese Generation scheint sich auch in sozialen Fragen wiederzufinden. Ähnliche Prozesse könnten auch in Europa zu einer Wiederbelebung der Gewerkschaften führen.
Die Gewerkschaften tun sich schwer mit der theoretischen Erneuerung und der Integration von neuen sozialen Bewegungen. Könnte das auch daran liegen, dass hierarchische Machtstrukturen und die starke Verbundenheit zu den traditionellen „Volksparteien“ eine Öffnung verhindern?
Viele Gewerkschaften entsprechen in der Tat nicht unbedingt dem Idealtypus partizipativer Organisationen. In Luxemburg ist das meiner Meinung nach auf den Korporatismus zurückzuführen. Wenn die Gewerkschaftsführer mit der Regierung und den Arbeitgebern bei der Tripartite oder in anderen Gremien Vereinbarungen treffen, müssen sie dafür sorgen, dass ihre Organisation sie danach mitträgt, weil das korporatistische System sonst nicht mehr funktionieren würde. Diese Prozesse haben den luxemburgischen Syndikalismus stark mitgeprägt, die Gewerkschaften sind relativ hierarchische Organisationen, in denen die Präsidenten im alltäglichen Geschäft viel Gewicht haben. Insbesondere in den heutigen Zeiten, in denen die Gewerkschaften in der Defensive sind, wollen sie nicht leichtfertig ihre noch bestehende Einbindung in politische und soziale Entscheidungsprozesse aufs Spiel setzen.