Der Euro fällt und steigt ruckartig. Das wird so bleiben, solange nicht klar ist, wie wasserdicht der Rettungsschirm für überschuldete Euro-Staaten ist

Achterbahnfahrt

d'Lëtzebuerger Land vom 20.05.2010
„Weil wir verrückt sind“, so erklärte der Luxemburger Staatsminister und Vorsitzende der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker (CSV), am frühen Dienstagmorgen, weshalb die Finanzminister der Euromitgliedstaaten zuvor sieben Stunden über etwas verhandelten, was sie eigentlich ein Woche vorher schon beschlossen hatten: Das 750 Milliarden Euro schwere Rettungspaket
für die gebeutelte europäische Einheitswährung.
 
Dabei ging es genauer um die maximal 440 Milliarden, welche die Eurostaaten kollektiv durch Bürgschaften absichern sollen, für den Fall dass die Finanzmärkte manchem Eurostaat alleine nichts mehr borgen wollen.

Funktionieren soll das Ganze, soweit bisher bekannt, folgendermaßen: Eine Luxemburger Zweckgesellschaft, ein so genanntes Special purpose vehicle (SPV), soll bei der Europäischen Investitionsbank angesiedelt werden. Teilhaber des SPVs sollen die 16 Euroländer werden. Braucht ein Eurolanddie finanzielle Unterstützung der anderen, kann das SPV Geld an den Märkten aufnehmen. Für diese Anleihen bürgen die anderen Euroländer, entsprechend ihrer Beteiligung am Kapital der Europäischen Zentralbank. Ob einem Euroland Hilfe gewährt wird und in welcher Höhe, müssen die Mitglieder des Verwaltungsrats der Zweckgesellschaft – nach Auskunft Friedens wahrscheinlich die jeweiligen Finanzminister – einstimmig beschließen.

Das Gewähren der Hilfe wird mit Auflagen verbunden sein. Wem die anderen Euroländer zur Seite springen, wird sich einer ähnlichen Rosskur unterziehen müssen, wie derzeit die Griechen. Soweit deckten sich Anfang der Woche die Aussagen der Finanzminister und des Währungskommissars Olli Rehn.

Mit „verrückt“ meinte Juncker die Deutschen, die er am Montag mit Frankreich ins Séparée beten musste, um die Differenzen auszubügeln. Mit mäßigem Erfolg. Denn während Juncker den Kollegen einen Maulkorb verpasste, um die Botschaft an die Märkte zu zentralisieren, nämlich dass der Rettungsschirm bereits aufgespannt und groß genug ist, damit sich alle überschuldeten Euroländer unterstellen können, klappte Deutschland, in Person von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), den Schirm wieder zu. Das deutsche Parlament, der Bundestag, müsse jedes Mal befragt werden und abstimmen, wenn ein Antrag auf Hilfen beim SPV gestellt würde. Eine prinzipielle Abstimmung im Bundestag über den Gesamtbetrag, den Deutschland maximal absichern soll, reiche nicht aus.

Damit reduziert Deutschland ganz erheblich den beabsichtigeten Shock-and-awe-Effekt des gigantischen Rettungspakets auf die Märkte, der signalisieren soll, dass Euro-Anleihen sicher sind und sich die Spekulation dagegen nicht lohnt. Welcher Finanzmarktakteur oder Spekulant soll sich durch solch ein Versprechen beschwichtigen oder abschrecken lassen, wenn es, knapp ist es ausgesprochen, wieder in Frage gestellt wird?

Angesichts des Flächenbrands, den die übermäßige Verschuldung der peripheren Euro-Staaten darstellt – die Bruttoverschuldung der Wackelkandidaten Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien (PIIGS) betrug Eurostat-Angaben zufolge 2009 2 824,4 Milliarden Euro –, entscheidet sich Deutschland anstatt eines Feuerwehrgroßeinsatzes mit Löschflugzeugen für einzelne Aktionen mit dem Feuerlöscher.

Entsprechend war die Reaktion auf den Finanzmärkten diese Woche. Auf seiner Achterbahnfahrt fiel der Euro gegenüber dem Dollar auf den tiefsten Stand seit vier Jahren. Und so lange nicht eindeutig geklärt ist, unter welchen Umständen und wie schnell Hilfe für Staaten in der Schuldenfalle gewährt werden kann, wird sich daran kaum etwas ändern.

Denn auch wenn Finanzminister Luc Frieden, der neben Jean-Claude Juncker in die Rolle des Vermittlers zwischen Wolfgang Schäuble und der französischen Finanzministerin Christine Lagarde sprang, am Dienstag betonte, es bestehe „Einigkeit in allen Punkten“ und es „blieben nur noch technische Details zu klären“, dürfte das eine übertrieben optimistische Aussage gewesen sein.

Eher scheint es so, als ob man nur die Punkte zurückbehalten hat, auf denen man sich ohnehin einig war. Über alles weitere wird geschwiegen.

Dass dem so ist, dafür gibt es einige Hinweise. Beispiel: Die Höhe der Luxemburger Garantien. Plus minus eine Milliarde Euro, müsse Luxemburg schlimmstenfalls absichern, sagt Luc Frieden. „Den genauen Betrag kann ich nicht nennen, weil das auch davon abhängt, ob Polen und Schweden mit machen“, so Frieden gegenüber dem Land. Sollte aber noch in der Diskussion sein, ob Polen und Schweden mit von der Partie sind, widerspricht das allen offiziellen Aussagen, Teilhaber des SPV würden allein die 16 Euroländer. Außerdem scheint es etwas wagemutig, die Frage, ob Nicht-Euroländer sich beteiligen oder nicht, auf ein technisches Detail zu reduzieren. Wenn, wie Frieden sagt, den Teilhaberstaaten überlassen bleibt, welche Prozedur sie zu Hause anwenden, bevor sie im Verwaltungsrat des SPV abstimmen können, drohen erhebliche Verzögerungen beim Austeilen der Hilfen.

Eine für diesen Freitag angekündigte Sondersitzung der Eurogruppe, auf der die verbleibenden Punkte geklärt werden sollten und von der sich die Märkte sicher weitere Informationen erhofften, wurde wieder abgesagt. Es gäbe nichts zu entscheiden, heißt es von offizieller Seite. Und außerdem würden sich die EUFinanzminister ohnehin am Freitag sehen, im Rahmen der vom EU-Ratsvorsitzenden geleiteten Arbeitsgruppe, welche die Arbeiten zur besseren Koordinierung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik in der Eurozone voranbringen, beziehungsweise den Stabilitätspakt effizienter machen soll.

Wahrscheinlicher ist allerdings, dass man erst einmal abwarten will, ob der Bundestag, der ebenfalls am Freitag eine prinzipielle Entscheidung über das gesamte Rettungspaket treffen soll, zustimmt oder nicht. Denn der Alleingang Deutschlands, das am Mittwoch entschied, Leerverkäufe auf europäischen Staatsanleihen zu verbieten, nährte die Zweifel an der in der Bundesrepublik bevorzugten Vorgehensweise zwecks Stabilisierung des Euro nur noch – die Einheitswährung musste weitere unkontrollierte Kurssprünge hinnehmen.

In Luxemburg selbst will der Finanzminister das Parlament einmal abstimmen lassen, um sich die Erlaubnis für die Beteiligung am SPV und die dadurch anstehenden staatlichen Garantien einzuholen. Das Gesetz, so Frieden gegenüber dem Land, soll vorliegen sobald die Struktur der Zweckgesellschaft, die European financial stability facility heißen soll, steht. „Das ist eine Frage von Tagen“, so Frieden. Einen direkten Einfluss auf den Haushalt haben die Garantien nicht, sagt er. Erst wenn eine Ausgabe gebucht werden muss. Das wäre dann der Fall, wenn ein Euroland, für das die Zweckgesellschaft gebürgt hat, seine Anleihen nicht zurückbezahlen kann. „Wir gehen nicht davon aus, dass dieser Fall eintreten wird“, fügt er schnell hinzu.

Seit Anfang des Jahres hat der Euro rund 15 Prozent gegenüber dem Dollar eingebüßt. Trotz aller Medien- und Politikerhysterie ist das ist an sich kein Problem, im Gegenteil.

Seit Monaten wiederholen die Euro-Verantwortlichen, allen voran Jean-Claude Juncker, gebetsmühlenartig in der gestelzten Sprache der G7-Abschlusserklärungen, die Wechselkurse müssten den wirtschaftlichen Fundamentaldaten entsprechen. Im Klartext heißt das: Der Euro ist seit geraumer Zeit überbewertet. Das schadet der europäischen Exportwirtschaft.

Eine Abwertung des Euro ist eine Vitaminspritze für die Wettbewerbsfähigkeit der Eurozone gegenüber den Handelspartnern, weil die Herstellung europäischer Waren vergleichsweise billiger wird. Ein Kursverlust von zehn Prozent gegenüber von Dollar und Yen, wirkt sich rezenten Berechnungen der OECD zufolge ein Jahr nach der Abwertung mit 0,7 Prozentpunkten positiv auf das Bruttoinlandprodukt (BIP) der Eurozone aus und mit 1,8 Prozentpunkten im vierten Jahr.

Die Luxemburger Wirtschaft profitiert von einer solchen Abwertung eher indirekt als direkt. Denn Luxemburg betreibt 80 Prozent seines Handels mit den Partnern der Eurozone selbst. Die wenigen Luxemburger Unternehmen, die über die Grenzen des Euroraums hinaus exportieren, freut die Entwicklung. „Ein schwächerer Euro ist gut für die europäische Wettbewerbsfähigkeit, und das ist die größte Sorge der europäischen Industrie. Die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Entwicklungsländern, deren Währungen viel schwächer waren,“ so Arcelor-Mittal-Chef Lakshmi Mittal kürzlich bei der Vorstellung der Resultate des ersten Quartals.

„Es ist ein positiver Schock und momentan eher Doping für die Konjunktur“, sagt auch Ferdy Adam, wirtschaftlicher Berater in der Konjunkturabteilung des statistischen Amt Statec. Und geht es der europäischen Konjunktur gut, brummt die Luxemburger Wirtschaft – vor allem die Finanzbranche – traditionell noch besser. Er warnt aber gleichzeitig vor der Kehrseite der Medaille.

„Ein Preishausse des in Dollar gehandelten Öls könnte uns einen Strich durch die Rechnung machen“, warnt er. Das spürt beispielsweise auch die Luxair, für deren Direktor Adrien Ney die wechselkursbedingte Treibstoffpreisentwicklung eine „Katastrophe“ ist. Die negativen Wechselkurswirkungen auf den in Dollar gehandelten Rohstoffen treffen auch Arcelor Mittal. Deswegen kündigte deren Handels- und Marketingchef Michael Pfitzner an, man werde die Preishaussen ab Juli an die Kunden weiterreichen müssen. Außerdem: Steigt die Inflation durch zu hohe Ölpreise, bleibt das natürlich nicht ohne Wirkung auf den einstweilen unveränderten Index-Mechanismus.

Unbekannt ist derzeit noch, wie sich die radikalen Sparprogramme, die Griechenland, Portugal und Spanien zwecks Sanierung der Staatsfinanzen durchziehen, auf die europäische Konjunktur auswirken werden – voraussichtlich schlecht. „Die Folgen dieser Programme sind in den Konjunkturprognosen von EU-Kommission und OECD noch nicht berücksichtigt“, warnt Adam. Solange die keine neuen Daten für die Eurozone vorlegen, können keine neuen Rückschlüsse auf die Entwicklung in Luxemburg gezogen werden. „Monatelang hat uns jeder gesagt, wir dürfen der Wirtschaft die Unterstützung bloß nicht zu schnell entziehen. Jetzt sagen uns alle, ihr müsst schneller sparen“, beschrieb Juncker am Montagabend die Zwickmühle, in der sich die Eurozone befindet.

Werden die Haushalte zu schnell saniert, droht der aktuelle Aufschwung abgewürgt zu werden, Investoren könnten den Glauben an die Wirtschaftsleistung der Eurozone verlieren. Die Folge: Rückzug aus dem Euroraum und damit Kursverluste beim Euro. Werden die Haushalte nicht schnell genug saniert, verlieren die Finanzmärkte den Glauben daran, dass die Euroländer ihre Schulden begleichen können. Die Folge: Vertrauens- und Kursverluste beim Euro. Deswegen soll die Kommission noch vor dem Sommer einen Bericht vorlegen, welche Länder auf welchen Posten sparen sollen.

Und welche sich es noch eine Weile gutgehen lassen können. Höchstwahrscheinlich wird Luxemburg zu letzteren zählen, was die Arbeitnehmerverstreter, wenn die Tripatite im Herbst zusammenkommt, zu ihren Gunsten werden auslegen wollen. „Es wird keine Umschuldung geben. Das darf nicht passieren, weil die Investoren sonst nicht mehr darauf vertrauen können, dass ihre Anlagen in Europa sicher sind“, beharrte Juncker am Montag. Ob eine solche Umschuldung allerdings noch abwendbar ist? Mancher Finanzakteur vertritt in der Zwischenzeit in den Medien die Meinung, dass man lieber schnell umschulden und den Qualen ein Ende setzen sollte. Und die Anleihebesitzer mit in die Verantwortung nehmen sollte.

Die Luxemburger Kreditinstitute halten derzeit nach BCL-Angaben PIIGS-Anleihen im Wert von 19,5 Milliarden. Als „sehr besorgniserregend“ hatte die Finanzaufsicht die Situation noch vor kurzem in ihrem Jahresbericht beschrieben. Bei mehreren Banken hatte die CSSF interveniert, weil sie deren Engagement in besagten Anleihen als Risiko empfand. „Wir haben sie angehalten, ihr Engagement nicht zu erhören“, so Direktionsmitglied Claude Simon. Doch ganz so dramatisch wie vor zwei Wochen, will er die Lage nicht sehen. „In der Zwischenzeit wurde der Rettungsschirm angekündigt. Dadurch hat sich die Situation verändert“, sagt er.Undsogar wenn umgeschuldet würde, besagte Banken Abschreibungen vornehmen müssten, würde das ihre Kapazitäten nicht übersteigen. Keine Bank würde kippen.

Doch Abschreibungen ähnlich, wie nach der Subprime-Krise, würden wiederum Steuerausfälle beim Staat nach sich ziehen. Auch deswegen haben der Staat und seine Vertreter ein ureigenes Interesse daran, Umschuldungen verhindern.
Michèle Sinner
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