Deutschland

Die Belobigung

d'Lëtzebuerger Land du 21.09.2018

Es gibt politische Entscheidungen, die sind nur sehr schwer erklärbar. Wie jene: Hans-Georg Maaßen, Chef des Verfassungsschutzes, musste diesen Dienstag seinen Hut nehmen. Anlässe gab es dazu genug. Unter den höchsten Schutzbedürfnissen der Gesichtswahrung, Abwägung aller politischen Empfindlichkeiten und in Betrachtung des Gehalts Maaßens wurde er als Staatssekretär ins Bundes-Heimatministerium versetzt. Verdiente er bisher ein Grundgehalt von etwa 11 600 Euro im Monat, wird es nun auf über 14 100 Euro steigen. Robert Habeck, Vorstandsvorsitzender der Grünen, schrieb dazu auf seinem Internetblog: „Wenn man Hartz IV bekommt und sich nicht wie gefordert regelmäßig beim Amt meldet, werden die Leistungen gekürzt – bis zu 100 Prozent des Regelsatzes. Wenn der Chef des Verfassungsschutzes Unwahrheiten und Behauptungen in die Welt setzt, das Parlament belügt, Verschwörungstheorien schürt – kurz Schritte macht, die das Vertrauen in den Verfassungsschutz zerstören, dann wird er befördert.“

Für das Hin und Her vor der Versetzung Maaßens hat es Gründe gegeben. Es sollten keine politischen Karrieren beschädigt, es musste den verschiedenen Flügeln der Parteien entsprochen werden. Es sollte still geschehen, zum Wohlgefallen aller. Ohne Kratzer. Weder für die Biografie von Horst Seehofer, der in drei Wochen in Bayern eine Landtagswahl zu meistern hat, noch für den Fortbestand der Großen Koalition.

Doch vor allem legten die Protagonisten in der Causa Maaßen Wert darauf, der AfD nicht das Wort zu reden, dass jeder, der es auch nur wagt, Angela Merkel zu kritisieren, politisch entmachtet, abgeschoben und abgestraft würde. Doch genau das Gegenteil ist eingetreten. Die AfD hielt wieder einmal ein Stöckchen hin – und die Politik sprang darüber. Mit der jetzt gefundenen Lösung befeuert man Politikverdrossenheit und Populismus nur noch mehr. Wer Fehler macht, der wird belohnt. Mit Steuergeldern.

Die politische Sphäre hat wieder einmal die Wahrnehmung darüber ausgeblendet, wie Entscheidungen außerhalb des Parlaments, jenseits von Kanzleramt, Parteizentrale und Ministerien wirken. Habeck dazu: „In der Welt jenseits der politischen Spiele wird jemand, der Fehler macht, bestraft oder man verzeiht ihm die Fehler. Aber niemand wird abgesetzt und gleichzeitig befördert.“ In ihren taktischen Verhandlungen hätten die Vorsitzenden der Parteien der Großen Koalition bestätigt, dass die Politik jedes Vorurteil von Vetternwirtschaft und Selbstbedienungsmentalität bediene. „Sie schaden dem Ansehen und der Funktionsfähigkeit von Behörden“, so Habeck weiter. Wenn man jemanden, der Unsicherheit schüre und seinen Posten für eine eigene politische Agenda missbrauche, noch belohne, setze man ein verheerendes Signal für die Funktionsfähigkeit des Staates.

Das Wohl eines Staates und einer Gesellschaft darf nicht vom Parteienwohl in einem Bundesland, der Vita eines sturköpfigen Mannes abhängen oder der Arithmetik im Politikbetrieb folgen. Wenn die Politik Volk und Wähler nur noch zu Randfiguren und Ausführenden, Empfängern und Betroffenen von Entscheidungen macht, verliert sie den Kontakt zum Souverän. Das beflügelt Populismus und Extremismus.

Doch genau hier liegt die Crux. Politiker nehmen ihr eigenes Handeln oder Nicht-Handeln selten in die Verantwortung für gesellschaftliche Verrohung, Politikverdrossenheit und Extremismus. Was oft als Rhetorik der Verdrossenen und Abgehängt galt, wird durch die Causa Maaßen bestätigt.

Robert Habeck beendet seinen Beitrag mit der Bewertung, dass das Vorgehen in der Sache Maaßen für ihn ein Schritt zu viel gewesen sei. „Dachte ich davor noch oft, ja, es ist ein Gewürge, aber wer weiß, was danach kommt, denke ich seit gestern, dass wir mit dieser Regierung mehr zu verlieren haben als zu gewinnen. Die Entscheidung, Herrn Maaßen zu befördern, war eine selbstvergessene, selbstgerechte Entscheidung, die mehr zerstört als heilt. Und niemand der Damen und Herren würde sie richtig finden, wenn sie sie nicht selbst getroffen hätten. Das ist aber der Gradmesser für die Frage, ob man sich abgeschottet und abgekoppelt hat von der Realität: Ist diese Entscheidung irgendwie im Interesse der Bürgerinnen und Bürger?“

Martin Theobald
© 2024 d’Lëtzebuerger Land