Leitartikel

Trumpfkarte

d'Lëtzebuerger Land vom 01.12.2017

Finanzminister Pierre Gramegna (DP) ist Kandidat für den Präsidentenposten der Eurogruppe. Dass Gramegna sich tatsächlich bewirbt, ist ein Hinweis darauf, dass er sich reelle Chancen ausrechnet. Denn bis zur Frist hatte sich der Finanzminister geziert und taktiert – wie das alle Anwärter bei solchen Wahlen tun –, um nachher nicht als völlig lächerlicher Verlierer dazustehen. Neben Gramegna kandidieren Dana Reizniece-Ozola aus Lettland, Mario Centeno aus Portugal und Peter Kazimir aus Slowenien.

Der liberale Finanzminister versucht damit, in die Fußstapfen von Jean-Claude ­Juncker zu treten, der den Posten acht lange Jahre besetzte. Dass seine europäische Fraktion der Liberalen bei der Vergabe von Posten in der EU ziemlich leer ausgegangen ist, könnte ihm dabei helfen. Vieles spricht aber auch gegen einen Eurogruppen-Vorsitzenden Pierre Gramegna, und das hat nicht wenig mit Jean-Claude ­Juncker zu tun. Zuerst mit Juncker selbst, der inzwischen Präsident der EU-Kommission ist. Denn in den anderen EU- und Euromitgliedstaaten dürften einige zur Schlussfolgerung gelangen, dass die Luxemburger bereits viele wichtige Posten besetzten. Neben dem EU-Kommissionspräsident Juncker besetzt mit Yves Mersch im EZB-Direkto­rium ein weiterer Luxemburger einen heiß umkämpften Stuhl.

Daneben spielt Junckers politisches Vermächtnis eine Rolle, beziehungsweise das, was viele in Brüssel und Straßburg unter Junckerscher Finanzpolitik verstehen, also das Fördern von Steueroptimierung und Steuerhinterziehung durch Rulings und Bankgeheimnis. Seit der blau-rot-grünen Regierung Luxleaks auf die Füße gefallen ist, versucht der ehemalige Handelskammerdirektor Gramegna, sich als Verfechter von Steuertransparenz und Gerechtigkeit zu profilieren. Er handelte in diesen Bereichen während der Luxemburger Ratspräsidentschaft wichtige Kompromisse aus, wie den über den Austausch von Rulings zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Doch seit die Luxemburger Regierung, vielleicht unter dem Einfluß liberaler Parteifreunde in den Kanzleien der Big 4, in Sachen Unternehmensbesteuerung wieder mehr Souveränität und Level Playing Field fordert, verläuft die Linie zwischen den Fehlern und Sünden der vergangenen Regierungen und denen der aktuellen in der ausländischen Öffentlichkeit noch weniger trennscharf als ohnehin schon.

Letzlich spricht auch gegen Gramegna, dass 2018 Kammerwahlen sind und die aktuelle Regierungskoalition und mit ihr der Finanzminister riskieren, abgewählt zu werden. Doch auch gegen seine Mitkandidaten gibt es jeweils Argumente, und umgekehrt würde ein Eurogruppenpräsident Pierre Gramegna dem Wahlkampf für 2018 eine ganz neue Wendung geben.

Sollte dem nichtgewählten Gramegna das Kunststück gelingen, Präsident der Eurogruppe zu werden, würde er zur Trumpfkarte der DP. Denn könnte sich der erwartete Wahlgewinner CSV erlauben, einen Europgruppenpräsidenten zu opfern, um eine Koalition mit einer anderen Partei einzugehen? Pierre Gramegna, Eurogruppenchef, dürfte nicht bloß jedweden Träumen einer schwarz-grünen Koalition auf nationaler Ebene einen Riegel vorschieben, sondern auch die LSAP und ihren Wirtschaftsminister Etienne Schneider mit seinen Weltraumplänen in Bedrängnis bringen. Denn dann dürfte der Luxemburger Pragmatismus dazu führen, dass mit geschlossener Front die nationalen Interessen verteidigt werden, die warscheinlich, wie so oft, deckungsgleich mit den Interessen der Finanzbranche wären.

Michèle Sinner
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