Private Krankenversicherungen gelten bei den Versicherern als Wachstumsmarkt. Was auch mit politischen Erwägungen zu tun hat

Immer privater

d'Lëtzebuerger Land vom 13.07.2012

Als der Versichererverband Aca vergangene Woche die Jahresbilanz 2011 zog, war von einem „schwierigen Jahr“ und sogar von „düsteren Zukunftsperspektiven“ die Rede. Das hatte vor allem damit zu tun, dass die am Finanzplatz Luxemburg tätigen Versicherer ihr Geld zu vier Fünftel in den internationalen Märkten verdienen, wo die Konjunktur schwach war und die Gewinnmöglichkeiten aus Investitionen der Versicherer nicht zuletzt auch wegen der niedrigen Zinsen klein ausfielen. Umso mehr stach eine Meldung der Aca über die Lage daheim hervor: In Luxemburg gebe es ein „starkes Wachstum“ bei den Krankenversicherungen. Die Zahl der hierzulande lebenden Privatversicherten zum Beispiel habe im vergangenen Jahr um über 25 Prozent auf 38 000 zugenommen. Die Einnahmen aus den Versicherungsprämien seien gegenüber 2010 um 23 Prozent gewachsen.

Ein wenig Marketing-Absicht steckt hinter der Publikation dieser Zahlen schon: „Wir wollen zeigen, dass wir in dem Bereich ebenfalls aktiv sind“, sagt Aca-Vorstand Marc Hengen dem Land. Hengen legt Wert auf die Feststellung, dass es sich um „Luxemburger“ Versicherungsnehmer handele. Um hier Wohnende also – und weder um Grenzpendler, noch um hypermobile Leistungsträger, die ihr Beruf bald in dieses, bald in jenes Land verschlägt, wo jeweils ganz unterschiedliche Krankenversicherungssysteme herrschen und weshalb internationale Expat-Privatversicherungen schon längst gang und gäbe sind.

Dass 38 000 von 221 000 beruflich aktiven Résidants sich mittlerweile eine private Krankenversicherung zugelegt haben und diese Zahl gerade im letzten Jahr stark wuchs, könnte mit der Anfang 2011 in Kraft getretenen Gesundheitsreform zu tun haben. Denn mit ihr stiegen die Patienten-Eigenbeteiligungen zum Teil kräftig: Die an den ambulanten Arztleistungen nahmen zwar nur von zehn auf zwölf Prozent zu. Die Eigenbeteiligungen beim Zahnarztbesuch aber stiegen von fünf auf zwölf Prozent, die an den Kosten von Physiotherapien auf 30 Prozent, und der vom Patienten zu zahlende Tagessatz bei stationären Krankenhausaufenthalten wurde gleich um die Hälfte von 12,96 Euro auf 19,44 Euro erhöht.

„Heute wissen die Leute Bescheid“

Dass die Mutualitätskasse CMCM, die Caisse médico-chirurgicale mutualiste, im vergangenen Herbst bekannt geben musste, ihr anderthalb Jahre zuvor gestartetes neues Angebot Denta & Optiplus für Zahn- und Optikerleistungen sei für Zahnleistungen so „unerwartet stark gefragt“, dass die Beiträge leider erhöht und die Leistungen gekürzt werden müssten, mag ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Es gebe „eine Bewusstwerdung“ findet Gilbert Wolter, der Präsident von Foyer Santé, dem Joint-venture der Foyer-Gruppe mit dem deutschen Privat-Krankenversicherer UKV: „Früher mussten wir Krankenversicherungen ganz aktiv verkaufen. Heute wissen die Leute, worum es geht.“ Hauptmotivation zum Versicherungsasbschluss seien häufig die Kosten für Zahnersatz, Orthodontie und Brillen – für jene Leistungen also, an denen der Eigenanteil der gesetzlich Versicherten traditionell besonders hoch ist.

Das könnte heißen: Wer die Wahl hat, sich und seine Familie bei der CMCM in einer Art Volksversicherung zu versichern, die einige, aber nicht alle Leistungen einer privaten Kasse bietet, geht vielleicht lieber gleich zu einer privaten. Mag das auch vielleicht doppelt so teuer sein, winkt die Aussicht auf europaweite Erste-Klasse-Behandlung und einen generellen libre choix, wie ihn die liberale Medizin hoch hält. Dass der Weg in die Caisse médico stets über den vorherigen Beitritt zu einer Sterbekasse verläuft, dürfte überdies für zugezogene Ausländer nicht ohne Weiteres verständlich sein, und könnte dazu führen, dass sie sich gleich an einen privaten Zusatzversicherer wenden.

Noch aber konzentriert das Geschäft sich im Wesentlichen auf drei Akteure: neben Marktführer DKV sind das Foyer Santé und Axa (siehe Kasten). Die auf den ersten Blick in der Branche ebenfalls stark erscheinende La Luxembourgeoise vertreibt die Produkte der DKV, an deren Kapital sie zu 25 Prozent beteiligt ist.

Welche strategische Bedeutung die Krankenversicherungsbranche haben kann, zeigt, dass Axa Luxemburg im vergangenen Jahr die auf Krankenversicherungen für Einzelpersonen spezialisierte Interlux Assurances Maladie übernahm: „Da haben wir uns Expertise eingekauft“, sagt Nathalie Hanck, die Pressesprecherin von Axa Luxemburg. „Bis dahin hatten wir ausschließlich Gruppen-Krankenversicherungen für Betriebe abgeschlossen. Doch das ist ein ganz anderes Feld.“

Dass Axa im vergangenen Jahr ins Geschäft mit Einzelversicherungen eingestiegen ist, könnte aber ebenfalls dafür gesorgt haben, dass die Zahl dieser Versicherungsverträge wuchs. Vielleicht weniger des zusätzlichen Angebots wegen, als durch die zu seiner Einführung gestartete Kampagne. Sie prägt noch immer den Internet-Auftritt von Axa, in dem kaum verhohlen die Caisse médico attackiert wird, die der Besucher in einer vergleichenden Tabelle als „Ihre Zusatzversicherung“ vorgestellt erhält, die weniger biete als die Produkte von Axa.

„Wir mussten unsere Produkte bekannt machen und hatten in einer Vorabstudie ermittelt, dass die Grenzen der Leistungen der CMCM offenbar nicht bekannt genug waren“, sagt Hanck lakonisch. Letzten Endes habe Axa damit wohl auch ihren Konkurrenten geholfen – indirekt sozusagen.

Der Markt der Privat-Krankenversicherungen entwickelt sich aber auch von einer anderen Seite her: durch die Gruppenversicherungen. Nicht nur war Axa Luxemburg, was Krankenversicherungen anbetraf, noch bis ins vergangene Jahr hinein allein im Gruppengeschäft tätig. „Aus unserer Sicht wächst die Nachfrage nach Gruppenversicherungen schon seit zwei Jahren überdurchschnittlich“, sagt Stefan Pelger, Chief Sales Officer bei DKV Luxemburg. Zahlen möchte er keine nennen, aber die Zuwachsrate bei Gruppenverträgen sei etwa doppelt so hoch wie die bei den Einzelverträgen.

Genaue Angaben zu den Gruppenversicherungen kann die Aca nicht machen, weil es keine einheitliche Form für die Gruppenverträge gebe. Aber bemerkenswerter Weise seien es nicht nur große Unternehmen, die mit der DKV solche Verträge abschlössen, sagt Stefan Pelger. „Im Schnitt haben diese Kunden 100 bis 200 Mitarbeiter.“ Unter den Firmen seien auch Handwerks- und Logistikbetriebe. Wenngleich nicht immer komplette Belegschaften zusatzversichert würden: „Das hängt ganz vom jeweiligen Unternehmen ab.“

Dass sich eine solche Zusatzversicherung als eine Lösung herumspricht, mit der, wie Pelger es ausdrückt, ein Unternehmen demonstrieren kann, dass es „stakeholder-orientiert denkt und seinen Mitarbeitern den Gefallen tut, ihnen eine Tür zur privaten Krankenversicherung zu öffnen“, ist gar nicht auszuschließen. Zumal Gruppenverträge „als Alternative zu einer Gehaltserhöhung keine erhöhten Lohnnebenkosten nach sich zu ziehen, für den Betrieb fiskalisch interessant und ohne weiteres kündbar sind, wenn es dem Betrieb mal schlechter geht“, wirbt Nathalie Hanck von Axa. Freilich verlöre dann der Mitarbeiter seine Privatversicherung – es sei denn, er zahlt dafür selbst. Und längst nicht alle Grenzpendler zum Beispiel wünschen eine solche Zusatzversicherung: Ein Franzose mit privatem Zusatzschutz verliert die Zugehörigkeit zu einer Mutualität im Heimatland – und findet sie später möglicherweise schwer wieder, sollte die Privatversicherung enden.

Doch wenn der Versichererverband meint, darauf hinweisen zu müssen, dass auch Résidants mehr private Krankenversicherungen abgeschlossen haben, ist das nicht Ausdruck einer Strategie, die sich auf eine ganz bestimmte Art von Verträgen bezöge, sondern auf die Stellung der Privatversicherer im Krankenversicherungssystem insgesamt. Die Gesellschaften gehen kaum überraschend davon aus, „dass die Leistungen der CNS sinken werden; das Gegenteil wird kaum der Fall sein“, meint Nathalie Hanck von Axa. „Man sieht ja, wie überall an den Sozialsystemen gerüttelt wird, um  ihre langfristige Finanzierbarkeit zu sichern. Das geht auch an Luxemburg nicht vorbei, wo die Grenzpendler noch für relativ hohe Einnahmen bei der Gesundheitskasse sorgen“, prognostiziert Gilbert Wolter von Foyer Santé.

Alles wird anders mit Solvency II

Wie sich die öffentliche Gesundheitskasse CNS, der Mutualitätsverein CMCM und die Privatversicherungen zueinander verhalten werden, wird in den nächsten Jahren zu einer politischen Frage werden. Die Aca warnte auf ihre Bilanzkonferenz, dass die voraussichtlich Anfang 2015 europaweit wirksam werdenden Solvency-II-Regeln, die für die Versicherer etwa dem entsprechen, was die Basel-III-Vorschriften für die Banken sind, gerade die im Vergleich kleinen bis mittelgroßen Luxemburger Versicherungsunternehmen „nennenswert“ belasten würden. Dann stellen sich höhere Anforderungen an Eigenkapitalausstattung, Reservenbildung und Reporting an die Kontrollbehörden. Doch weil den neuen Regeln auch die Mutualitätsvereine unterworfen werden, stellt sich für die Caisse médico geradezu die Daseinsfrage. Und eigentlich sogar die, wie die Krankenvbersicherung insgesamt aussehen soll.

Vonseiten des Versichererverbands lautet das Credo, dass Solvency II für alle Akteure zu einer Gleichbehandlung führe. Niemand stellt offen die Caisse médico in Frage, die im Großherzogtum eine ähnliche Institution darstellt wie der Automobilclub.

Doch Gilbert Wolter fragt sich, wie eine Mutualität unter dem Druck von Solvency II bestehen könnte, und rechnet vor: 2011 habe Foyer Santé 10,3 Millionen Euro an Einnahmen aus Prämien verbucht. Dagegen habe man 5,8 Millionen zur Deckung von Schäden der Versicherten ausgegeben und weitere 1,7 Millionen Euro für die so genannten „Altersrückstellungen“, mit denen ein Privatversicherer einen Puffer bildet, um den bei einer älter werdenden Versichertengemeinschaft zwangsläufig wachsenden Leistungsbedarf möglichst lange ohne Prämienerhöhung finanzieren zu können. Hinzu kamen Verwaltungskosten von 20 Prozent, „wie das für private Krankenversicherer typisch ist“. Am Ende habe Foyer Santé einen Gewinn von 500 000 Euro erwirtschaftet, „und ich glaube nicht, dass eine Mutualität, die Solvency II unterliegt, viel effizienter für den Kunden sein könnte“.

Dass Solvency II und der für die Caisse médico absehbare Umbruch die Privatversicherer möglichst nicht unversehens auf schwieriges politisches Terrain führen, ist einer der Gründe für die vor kurzem erfolgte Bildung einer Unterkommission Gesundheit bei der Aca. Sie soll jedoch nicht nur darauf einwirken, dass künftig Privatversicherer und CMCM „tatsächlich gleichberechtigt“ behandelt werden. Sie soll sich überdies mit den Auswirkungen der Gesundheitsreform auf die Kostenstruktur der Versicherer befassen und daneben allgemein den Privatversicherern mehr „Visibilität“ in der gesellschaftlichen Debatte verleihen. Am liebsten wären den Versicherern also Schritte hin zu mehr Arbeitsteilung mit CNC und CMCM schon jetzt – langsam, aber zielbewusst, so wie das in Luxemburg erfahrungsgemäß am ehesten Erfolg verspricht.

Peter Feist
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