LEITARTIKEL

Wie nun, Frau Lenert?

d'Lëtzebuerger Land vom 05.11.2021

Wenn ein Gesetzesvorhaben schon als avant-projet in die Konsultation gegeben wird und nicht nur die davon betroffenen Kreise, sondern auch die Berufskammern um Stellungnahmen gebeten werden, geschieht das zum Beispiel zum Ausloten eines Konsenses in schwierigen Fragen. Anschließend wird der Text überarbeitet und erst dann dem Regierungsrat vorgelegt.

Vergangenen Monat gab Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) ein avant-projet in die Konsultation, das die Bildung von Gesellschaften im Gesundheitsbereich erlauben soll. Vor allem der Ärzteverband AMMD hatte auf „Ärztegesellschaften“ gedrängt. Sie könnten „Centres médicaux“ betreiben, in die leichtere Aktivitäten aus den Spitälern ausgelagert würden. Dadurch würde die Versorgung breiter und patientennaher. Außerdem werde die Arbeit an solchen Zentren attraktiv für junge Ärztinnen sein. Und in Zeiten internationaler Ärzteknappheit ein Wettbewerbsvorteil für Luxemburg.

Der Motivenbericht zu Paulette Lenerts avant-projet übernimmt die AMMD-Argumente, was Attraktivität und Nachwuchssicherung angeht. Keine Rede ist dagegen von „Auslagerungen“ in irgendwelche ambulante Strukturen. Den Patient/innen wird lediglich in Aussicht gestellt, durch die Gesellschaften werde die „Primärversorgung“ besser. Was genau darunter zu verstehen sein soll, liest man nicht, und es ist auch nicht Gegenstand der Gesetzesinitiative. Die will Ärztinnen und Zahnärzten, Psychotherapeuthinnen, anderen Gesundheitsberuflern, wie Hebammen oder freiberuflichen Krankenpflegern, und schließlich auch Veterinären ermöglichen, „personnes morales“ zu bilden, ganz ähnlich wie Anwälte das können. Mit Ausnahme der Tierärztinnen, die ein Fach für sich sind, wäre in sämtlichen Berufszweigen die Gesellschaftsbildung auch untereinander möglich, und jede Gesellschaft könnte Mitglieder des eigenen Fachs, aber auch fremder Fächer als Angestellte beschäftigen. Und: Auch Gesellschafter aus dem Ausland könnten in Luxemburg Gesellschaften bilden; in der EU herrscht immerhin Niederlassungsfreiheit.

In dem Text steckt eine Menge Zündstoff. Zum Beispiel weil die AMMD ihren Mitgliedern versprochen hat, Gesellschaften aus dem Ausland möglichst zu verhindern. Drei bis vier Jahre Vorsprung sollten Luxemburger Ärztegesellschaften erhalten, sich in der Zeit in großer Zahl gründen und den Markt soweit sättigen, dass er für Akteure aus dem Ausland nicht mehr interessant wäre. Paulette Lenerts Text scheint aber keinen „Vorsprung“ herzugeben. Eine andere Frage ist, inwiefern eine Tätigkeit der Gesellschaften im öffentlich finanzierten Gesundheitssystem Luxemburgs gewinnbringend sein kann. Jahrzehntelang hatte die AMMD, um erneut von ihr zu sprechen, gegen angestellte Ärzte argumentiert, die Freiberuflichkeit verteidigt und das „honoraire pur“, das den Medizinerinnen zustehe. Was die AMMD seit ein paar Jahren nicht mehr so eng sieht; aber zu welchem Gehalt sollen Ärzte in den Gesellschaften angestellt werden? Soll Ausbeutung attraktiv sein zur Verbesserung der démographie médicale?

Eigentlich gibt das avant-projet Anstoß zu einer umfangreichen Gesundheitsreform. Vermutlich weiß Paulette Lenert das. Denn da ist noch der Gesondheetsdësch, an dem Arbeitsgruppen über viele Aspekte einer Reform diskutieren. Aber weder die Ministerin noch die Regierung hat jemals klar und deutlich gesagt, was ihre strategischen Ziele am Gesondheetsdësch sind, und vor allem, was strategisch nicht gewollt ist. Nun wirft das avant-projet strategisch gewichtige Fragen auf. Zu ihrer Beantwortung aber wird die Zeit knapp, in einem reichlichen Jahr schaltet die Politik in den Wahlkampfmodus. Vielleicht besteht Paulette Lenerts Kalkül darin, dass das avant-projet in der Konsultation derart zerrissen wird, dass es sich von selber erledigt. Nach den Wahlen könnte man weiter sehen. Auch zu anderen wichtigen Themen. Und der AMMD, falls die sich aufregt, erzählen, die Covid-Seuche sei Schuld.

Peter Feist
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