Die kleine Zeitzeugin

Wird Salzburg kommunistisch?

d'Lëtzebuerger Land du 19.05.2023

Ich war einmal in Salzburg. Vor langer langer Zeit, so um 1980. Das meiste habe ich verdrängt, auch die Jahreszeit, es muss eine anonyme gewesen sein. Mit Regen. Anscheinend ein Wahrzeichen, die kennen wohl Luxemburg nicht. Es handele sich, so behaupten sie, um eine exklusive Regengattung, Schnürl- nennen sie sie, der Regen fällt angeblich in Schnüren vom Himmel. Als sei das woanders wesentlich anders. Es klingt wie eine lokale Spezialität, die man leider nicht mal essen kann.

In einem Dachkammerl in einer Pension fand ich Unterschlupf, drei Tage zog ich durch Salzburg, drei lange Tage. Ich hatte noch nie eine solche Dichte an hochnäsigen Menschen erlebt. Auch die Tourist*innen bemühten sich um Ebenbürtigkeit in der Hochnäsigkeit. Die Eingeborenen trugen Lodenmäntel, die Frauen Frisurenskulpturen. Eine fichtengrüne Menschenwurst presste sich durch die paar engen Gassen, in denen die Geschäfte von Salzburgischem überquollen. Ich ging verächtlich herum, durchdrungen von thomasbernhardschem Salzburg-Hass. Ich absolvierte das Kaffeehaus, trank brav Kaffee in dem Kaffeehaus, las Zeitungen in dem Kaffeehaus, schrieb Hämisches in meine Dichterinnenkladde, hate posts gab es ja noch nicht und hoffte, dass die Schnürln vor dem Fenster mich endgültig hypnotisieren würden.

Ich erklomm den Mönchsberg, wo Peter Handke seine Klause hatte. Er kam mir nicht entgegengewandelt wie einer alten Freundin. Plötzlich, von unsichtbarer Hand wurde der Schnürlvorhang weggezogen, der Himmel öffnete sich und ich sah bis nach Italien, zumindest bildete ich mir das ein, in die überirdische Ferne, klar und doch in pastellfarbenem Dunst, ein Goethe-on-the-road-Feeling stellte sich ein. Vor dem Geburtshaus von Mozart hatte ich ein Erweckungserlebnis. Mozart, das war doch der, bei dessen Musik die Kühe mehr Milch gaben. Wenn schon Klassik, dann bitte schwer, schwülstig, schicksalsgeschwängert. Wagner zumindest. Vor dem Mozart-Geburtshaus stand ich unter einem blau aufblühenden Himmel, die Luft prickelnd wie Sekt, plötzlich war Mozart da. Plötzlich verstand ich Mozart. Die perlende Musik, die Leichtigkeit des Seins, die Heiterkeit, das Allerhöchste. Nur kurz währte das. Drei Tage redete ich mit niemand, nur das Überlebensnotwendigste, am letzten Abend entdeckte ich eine Wirtschaft am Fluss, wo welche ohne Lodenmantel und Dirndl waren, mit Gestrüpp auf dem Kopf. Bevor ich mir am nächsten Tag endgültig die Mozart-Kugel gab, ergriff ich die Flucht.

April 2023, Landtagwahlen in Salzburg. Ein Schöckchen geht durch die Fernsehlande, was tut sich da im Festspielreich? Die Kommunisten! 11 Prozent! Ein Plus von nahezu 11 Prozent! In der Stadt Salzburg wählt gar jede*r Fünfte den Gottseibeiuns, jössas! Statt immer nur den alten schwarzen Landesvaterhasen, statt nur die knallhart charmante FPÖ-Marlene! Die Kummerln, wie die Alten sie nannten, die gibt es doch längst nicht mehr in Österreich. Nur in Wien erstehen sie jedes Jahr zum großen Fest auf, am schönen Ende des Sommers thronen in den Praterwiesen alte graue Männer mit BauchBartBrille vor zerfledderten Kapital-Ausgaben, und alle laben sich zwei Tage lang an ethno- diversem Speis und Trank und Tanz.

Wobei, ist nicht in Graz auch schon eine Kommunistin Bürgermeisterin? Und jetzt lächelt ein junger Mann in Salzburg treuherzig in die Kamera. So seriös, verlässlich, kompetent und hochintelligent wie der dreinschaut und redet, dann hat er auch noch breite Schultern, der absolute Schwiegermuttertraum. Seine Partei nennt sich KPÖ plus, wie eine extrapotente Vitamintablette, und nein, er findet Stalin nicht gut. Putin auch nicht. Die Salzburger*innen seien jetzt nicht über Nacht zu Marxist*innen oder gar Stalinist*innen mutiert, beschwichtigen Politolog*innen. Der Historiker und Museumsangestellte hat sich, wie seltsam, wie selten, wie exotisch, mit seinem Team lange schon praxisnah im Mega-Thema Wohnen engagiert, bietet Beratung und spendet, ganz nach Grazer Vorbild, einen großen Teil seines Landtagsgehalts an notleidende Mitbürger*innen. Kuschelkommunist heißt ihn ein Kommentator. Soll total schön sein in Salzburg. Glaub, ich fahr mal hin.

Michèle Thoma
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