Ernst des Lebens. So hieß das mal früher. Als es noch Tugenden und Achselhaare gab und alles noch überschaubar war. Jeder wusste, was zu tun war, nämlich ziemlich viel. Es gab keine große Freizeitindustrie, die einen fertigmachte. Im Sommer schaute man sich den Film von der schillernden Fleischfliege auf dem Kuhfladen an, oder auf dem Marmeladebrot, in Echtzeit. Man schmorte in Langeweile, sie war ufer- und bodenlos, hin und wieder gab es ein bisschen, aber nicht zu viel, nach der Arbeit kommt das Spiel, Kurzweil.
Wenn die Erstklässler zur Schule strebten, mit einem Ranzen und einem ranzig riechenden Brot, wurde der Ernst des Lebens schwer strapaziert, auch heute wird er ja noch hin und wieder ausgepackt.
Obschon keiner mehr richtig weiß, was oder wer er sein soll, dieser Ernst. Die Pädagog_innen und Expert_innen warnen vor ihm. Er hat überhaupt keine Lobby mehr, niemand liebt ihn mehr oder verehrt ihn wenigstens. Er ist altbacken und riecht muffig. Wahrscheinlich ist er im Bund mit Gott, ebenfalls nicht gerade vertrauenerweckend. Die Mamis und Papis haben ja auch keine Lust mehr auf ihn, sie haben viel mehr Lust auf die Lust, lustig wollen es alle haben.
Wobei...
Ist es nicht der wahre Ernst des Lebens, einen Sommertag auszuhalten? Einen vollkommenen, makellosen Tag, an dem das Meer nur wenig Falten hat und kein Freund auf Facebook mit uns spielt? Wir sind allein mit dem Himmel und dem Meer, und mit uns. Was ist ernster? Holy Days, sie zu begehen ist das Allerernsteste. Die schönste Zeit des Jahres, des Lebens und so weiter; wir liegen irgendwo in irgendeinem Sand und fragen uns allerhand. Niemand antwortet, nur das Meer, was hat es gesagt? Der Mitmensch, der unter Umständen mit uns splitterfasernackt vor einer himmlischen Leinwand steht, ist der Kulisse auch nicht gewachsen, bald können wir ihn oder sie nicht mehr leiden und lassen uns scheiden.
Herr, der Sommer, er ist groß, und wir so klein. Die Tage sind zu hoch, da wird einer ja schwindlig, was soll sie anfangen mit so viel Tag? Soll sie Welt in die Tage stopfen, so viel Welt, wie sie bezahlen kann, bis sie erschöpft ist vor lauter Welt, die sich weiter dreht? Man kommt ihr nicht hinterher, bitte, danke, auf Wiedersehen.
Gut, wenn die Maschine wieder losrattert, allez rentrez! Auf die Plätze, jeder zurück an seinen Platz, vielleicht findet er ihn ja wieder in dieser verhaltens-originellen Welt, der immer was Neues einfällt. Es soll jetzt bitte ab sofort wieder alles wie immer sein. Parkplatzsuchen, Zahnarztbesuche, Betriebskantinenkaffeeautomaten, Termine, Zwänge, die man sich nicht selber bastelt. Elternabend ist voll okay, Luftballonaufblasen bei Kindergeburtstagen, warum nicht? Und vielleicht wäre es an der Zeit zu renovieren, das Haus, sich selber? Es gibt immer was zu renovieren. Außerdem muss der Garten gemacht werden. Wann, wenn nicht jetzt. Und der Hund. Er muss bestimmt entwurmt werden, oder geimpft. Oder kastriert oder künstlich befruchtet.
Es gibt immer was zu tun.
Es ist so wie immer, bestimmt, es muss so sein, wir lassen die Rollläden hoch, wie schön grau der Garten ausschaut, ein paar Blätter segeln schon parterre. Der Nachbar schaut, wie schaut er, keine Ahnung, so wie er immer geschaut hat oder nicht geschaut hat. Wir sind wieder da, man nennt es Zuhause, plumps!, fällt die Heimkehrerin in einen Sessel und saugt tief die staubige, muffige Heimatlust ein. Schnell sich durch den Zeitungsstapel wühlen, und allen Facebook-Freunden Guten Tag sagen, die warten schon drauf. Wir sind wieder da, man nennt es Arbeitsstelle, sie ist garniert mit Kolleg_innen, die auch irgendwo waren, interessant. Man nennt es Alltag, meist etwas uneuphorisch. Meist wird dazu geseufzt, wenigstens ein bisschen, und resigniert-ironisch geachselzuckt.
Als würden wir alles andere aushalten. Das schrille Schreien der Sterne über dem Gebirge. Das Stolpern durch die Welt.