Peter Scholl-Latour

Der alte Häuptling der Indianer

d'Lëtzebuerger Land du 22.08.2014

Was haben wir da eben gehört? Peter Scholl-­Latour sei... Das kann nicht sein, das gibt es nicht, das kann er nicht tun, ich protestiere. Er kann nicht einfach abhauen in die Ewigen Jagdgründe. Und uns allein lassen mit den Sunniten, Schiiten, allein im Irak gibt es 150 Stämme, 1 000 Clans, mindestens. Und die Isis! Und Er, Er geht einfach.

Lässt sich auf einem Feldherrenhügel zur letzten Ruhe betten. Überm Rheinthal. Als sei nichts gewesen. Und lässt uns allein, mit den hysterischen Kopftuchfrauen und den hysterischen Anti-Kopftuchfrauen und mit den Imamen mit roten Bartbüscheln. Und mit Jürgen Todenhöfer.

Wer wird uns denn jetzt bemurmeln, beflüstern, becircen und uns so rätselhaft mümmelmümmel Schreckliches prophezeien? Wer wird noch so schön monologmümmeln (wegwerfende Handbewegegung zu den Statist_innen rundherum, wohlwollende, urgroßväterliche Vernichtung)? Wer wird uns noch solche blumig-blutigen Abenteuergeschichten erzählen aus der Zeit, als es noch Rasende Reporter gab? Wie er immer gerade noch mal davon gekommen war. Damals, beim Vietcong, und im Jesuitenkloster, und bei der Fremdenlegion, und unterwegs mit Khomeini. Mit den allerbösesten Bösewichten hat er Tee getrunken.

Wer erklärt uns denn jetzt die Welt? In einer Sprache, in der schon lange niemand mehr zu uns sprach, der wir zum letzten Mal begegnet sind, als wir uns in den elterlichen Bücherschränken zwischen Göttern, Gräbern und Gelehrten durchwühlten. Damals, als die Schreibenden noch die Fähigkeit besaßen, sich in schlangenlangen Sätzen auszudrücken, ausufernden Sätzen mit Nebenarmen und Zuflüssen. Wer wird uns jetzt noch Sätze schreiben, in denen es von herkulischen Kabylen, ostslawischen Freudenmädchen, Ehrfurcht gebietenden Greisen und unberechenbaren Orientalen nur so wimmelt?

Und was machen jetzt Anne Will und Sandra Maischberger, die schon lang dem Bann der Alten Männer erlegen sind? Die bei ihnen Hof halten, von den Moderatorinnen ehrerbietig-liebevoll betochtert. Jetzt fehlen schon zwei in der Lieblingsgreisenrunde ... wo sind eigentlich die Greisinnen, sitzen die am Spinnrocken? Marcel Reich-Ranitzky (Wer regte sich so schön auf wie er? Wer regte uns so schön auf?) hat uns ja schon vor längerem sitzen lassen. Gottseidank schmaucht wenigstens Helmut Schmid weiter, und Gottseidank noch immer nicht die Friedenspfeife.

Vielleicht gibt es ja in den anderen, uns nahen Kulturkreisen noch weise Greise, oder sogar Greisinnen, die am Ende des Tages mit ihrer trotzigen Unsterblichkeit die Lost Boys and Girls dieser Zeit aufmuntern? Die regelmäßig vorbei kommen und das tröstliche Gefühl vermitteln, man könnte vielleicht doch irgend etwas dazu lernen auf diesem Planeten, und zu irgend etwas wäre das Ganze vielleicht nütze. Und sie würden einfach dabei bleiben, in der Uucht in der Talk Show, und bis in alle Ewigkeit Gute-Nacht-Geschichten erzählen. Am besten mit einer Moral und einem Auftrag, wie Stephane Hessel. Aber dann desertiert der nächste Pionier, und lässt uns hocken im rosa Pyjama, ein bisschen mehr hätte er schon noch sagen können.

Es werden schwere Zeiten kommen, sehr schwere, für die Welt, für alle, überhaupt. Besonders optimistisch hat sich Peter Scholl-Latour in seiner letzten Talkshow nicht von uns verabschiedet. Eine Gefälligkeitsdiagnose konnten wir uns ja wohl kaum erwarten. Dann schon lieber lustvoll düstere Prognosen, hoffnungslose Befunde, mit dem ein kleinbisschen verschmitzt-schadenfrohen Blick. Den Weißen Männern verhieß er auch nichts Gutes. Er hielt ihre Lage für ziemlich aussichtslos, quasi hoffnungslos, er verkündete ihr Ende. Sie gehörten für ihn zu den aussterbenden Arten.

Deswegen hätte er aber nicht gleich selber aussterben müssen!

Michèle Thoma
© 2024 d’Lëtzebuerger Land