Tausende junge Menschen wählen dieses Jahr zum ersten Mal. Parteien entdecken sie als eigene Zielgruppe nur zögerlich

Das erste Mal

d'Lëtzebuerger Land vom 14.09.2018

Die Jungsozialisten waren die ersten. Die Jugendorganisation der LSAP stellte diesen Donnerstagabend ihre Kandidaten und Kandidatinnen vor und hat dafür eigens nach Esch ins OGBL-Gewerkschaftshaus eingeladen. Man hoffe damit, insbesondere die jungen Wählerinnen und Wähler zu erreichen, sagte Jimmy Skenderovic dem Land. 16 Kandidaten auf der LSAP-Liste sind zwischen 16 und 35 Jahre alt und damit im Juso-Alter, darunter bekannte Gesichter wie Patrick Weymerskirch (26 Jahre) oder Juso-Präsident Skenderovic (29).

Am 14. Oktober werden womöglich über 20 000 junge Erwachsene erstmalig ihr Kreuz bei einer Partei oder Politikerin und Politiker ihrer Wahl machen dürfen, weil sie das gesetzliche Alter von 18 Jahren erreicht haben. Wie viele genau ist noch unklar, das Wahlbüro der Stadt Luxemburg konnte keine präzisen Angaben machen, die Schätzung ist der Bevölkerungsstatistik des Satec entnommen. Jedenfalls keine unbedeutende Zahl, und trotzdem kommen Jugendliche oder junge Heranwachsende als ausdrückliche Zielgruppe im Wahlkampf bislang kaum vor.

Das mag daran liegen, dass der Wahlkampf insgesamt träge ist und der offizielle Startschuss erst ab dieser Woche fällt. Auf den Plakaten, die sich auf Grünflächen, an Straßenlaternen und in der Landschaft mehren, sieht man vor allem Konterfeis der SpitzenkandidatInnen, junge Gesichter sieht man seltener. Es sei denn, man zählt junge Heranwachsende wie Stéphanie Empain dazu, Unternehmerin und mit 27 Jahren die jüngste Spitzenkandidatin der Grünen, die im Wahlbezirk des plötzlich verstorbenen Camille Gira antritt und Françoise Folmer ersetzt.

Geht es nach dem Jugendbericht 2015 der Universität Luxemburg, wäre es legitim, junge Erwachsene bis 34 Jahre zu den Jugendlichen zu zählen. Soziologen wie der Jugendforscher Helmut Willems sprechen von einer verlängerten Jugendphase, weil sich mit Studium und Berufsausbildung für die meisten Jugendliche der Eintritt ins Erwerbsleben immer weiter nach hinten verlegt, „zum Teil bis ins vierte Jahrzehnt“, heißt es im Bericht. Gleichwohl dürfte sich die Mehrheit unter Jugendlichen wohl eher Teenager um 14 Jahre bis Mitte zwanzig vorstellen. Für die Parteien werden sie besonders interessant ab 18 Jahren, wenn sie wählen können.

Die Jugendforscher haben auch herausgefunden, was junge Menschen bewegt, welche Werte sie haben, was ihnen wichtig ist. Ihr Wohlbefinden stehe demnach bei der Luxemburger Jugend im Vordergrund (ein Trend, der in ganz Westeuropa zu verzeichnen ist); dementsprechend zögen Jugendliche und junge Erwachsene Themen vor, die die Lebensqualität zum Ziel haben, also Umweltfragen oder Menschenrechtsfragen. Luxemburgs Jugend ist zwar nicht völlig unpolitisch, 55 Prozent der befragten Jugendlichen gaben an, kein Interesse an der Politik zu haben, nur eine Minderheit von acht Prozent gab an, sehr an Politik interessiert zu sein.

Eigentlich könnte dies ein Ansporn für die Parteien sein, ganz besonders die künftigen Wählenden anzusprechen, um sich so neue Wählergruppen zu erschließen, doch speziell auf die Jugend zugeschnittene Wahlgimmicks sucht man (derzeit noch) vergebens. In den Wahlspots von DP und Grünen beispielsweise tauchen junge Erwachsene am Rande auf, meistens als Familienmitglieder oder angehende Erwerbstätige. Dafür, dass die Herabsetzung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahren eine der vier Kernfragen des Referendums vor drei Jahre war und Erwachsene oft über das mangelnde politische Desinteresse der Jugend klagen, ist heute von der Forderung, Jugendliche politisch mehr einzubinden und für Wahlen zu interessieren, wenig zu hören, etwas, das Mike de Waha von der Jugendkonferenz CGJL bedauert. Die CGJL hatte sich 2015 für die Herabsetzung des Wahlalters ausgesprochen.

Wohl haben die meisten Parteien ein Kapitel zur Jugend in ihren Wahlprogrammen. „Jugend ernstnehmen“ schreiben déi Gréng unter der Überschrift „Gesellschaftliches Engagement fördern“ und monieren, der Slogan, die Jugend ist unsere Zukunft, sei zu oft eine „hohle Phrase“. Aber der Partei fällt unter dem Stichwort Jugend außer den Forderungen nach einem stärkeren Mitspracherecht in Schule und Gesellschaft, die Sorgen und Ängste der Jugendlichen ernst zu nehmen, dezentrale Jugendinformationszentren zu fördern und das Jugendparlament aufzuwerten, nicht viel Neues ein.

Die DP fordert mehr Wohnangebote für junge Menschen und Studenten. Als unternehmerfreundliche Partei will sie Start-ups verstärkt unter die Arme greifen und ihre Aktivierungslogik, die die Basis der DP-gelenkten Reform des Mindesteinkommens für Langzeitarbeitslose bildet, auf die Jugend ausdehnen: Insbesondere Neet-Jugendliche (not in education, employment or training) sollen aktiviert werden, als würden diese den ganzen Tag in der Hängematte liegen. Dabei zeigt der Jugendbericht, wie schwierig die Integration dieser jungen Menschen in den Arbeitsmarkt ist. Die Jugendorganisation der DP, die Jonk Demokraten, wirbt für eine Dekriminalisierung von Cannabis und wähnt sich jetzt (fast) am Ziel: Im Programm spricht sich die Partei erstmalig für „die Möglichkeit einer allgemein staatlich kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene“ aus, mit strengen Schutzvorkehrungen, um die gesundheitlichen Risiken nicht zu verharmlosen. Wobei nicht klar ist, was erwachsen meint: Bei den Jonk Demokraten tummeln sich, wie in anderen Partei-Jugendorganisationen auch, sogar 30-Jährige. Auch die Grünen, die LSAP, die Piraten und déi Lénk haben diese Forderung im Programm stehen.

Präsident Jimmy Skenderovic betont, Positionen der Jusos seien in alle Kapitel des LSAP-Wahlprogramms eingeflossen, insbesondere die Reduzierung der Arbeitszeit und die Legalisierung von Cannabis wären „ohne unseren Einsatz“ nicht durchgekommen. Weitere Anliegen der Jusos sind der bessere Schutz von Whistleblowern, die Schaffung eines öffentlich-rechtlichen TV-Senders, gesunde Ernährung in Schulen, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Schulen sowie die Mietpreisbremse. Mit ihrer Forderung, ein „klares Ziel für die Herabsetzung des Armutsrisikos, etwa unter zehn Prozent“ festzulegen und ein „Autonomie-Einkommen“ für Jugendliche ab 15 Jahre einzuführen, die eine Lehre machen, aber nicht von Studentenbörsen profitieren können, konnten sich die Jusos in ihrer Partei indes nicht durchsetzen.

Die CSV scheint programmatische Inhalte meistens mit der Erwachsenenbrille zu betrachten; Jugendinhalte werden gleich unter den Erwachsenenthemen subsumiert: Nach dem Motto, wozu eigene Inhalte, Jugendliche sind die Erwachsenen von morgen, da reicht es, ihnen die Kapitel zu servieren, die die Großen interessieren: Unterstützung beim Wohnungskauf für junge Familien, besseren Transport und eine Bildung, die „die Kompetenzen der Heranwachsenden von Anfang an konsequent“ fördert. Tatsächlich liegen die Parteien damit nicht wirklich falsch; nur fehlen erkennbar jugendliche Perspektiven. Dass die Jugend eigene Sorgen hat, insbesondere beim Übergang von der Schule ins Erwerbsleben und der Ablösung vom Elternhaus aufgrund erhöhter Miet- und Immobilienpreise, und deshalb Schwerpunkte vielleicht anders setzen würden, Stichwort Generationengerechtigkeit – scheint bei den Christlich-Sozialen nur teilweise angekommen zu sein. Immerhin: Studierenden und Forschenden will sie ein „attraktives Angebot an Wohnungen und Wohnkonzepten zur Verfügung stellen“. Sie ist auch die Partei mit dem hächsten Altersdurchschnitt auf ihren Kandidatenlisten.

Déi Lénk, die insgesamt mit einer stattlichen Zahl junger Kandidatinnen und Kandidaten an den Start geht, hat erkennbare jugendorientierte Inhalte im Programm, etwa im Wohnungskapitel, wo sie sich für die Unterstützung von Wohngemeinschaften durch den Gesetzgeber einsetzt. Sie fordert einen Arbeitsplatz für alle, eine bessere Einrahmung der Schüler-Praktika sowie einen Pensionsbeitrag für Studentenarbeit. Und das garantierte Mindesteinkommen soll auf alle Bedürftigen ab dem 18. Lebensjahr eingeführt werden. Außerdem soll jedem Bürger/jeder Bürgerin ein sicherer privater virtueller Raum zur Verfügung gestellt werden.

Dass Erstwählende sich anders angesprochen fühlen als Wahlprofis, die zum x-ten Mal routiniert ihr Kreuzchen machen, will der von der Uni Luxemburg entwickelte Wahlomat aufgreifen, der gerade NeuwählerInnen eine Orientierung im Parteien-, Personen- und Themendickicht erlauben soll. Er ging erstmals 2013 online und soll Wählenden zeigen, welche Parteien am besten zu ihren politischen Einstellungen passen. Allerdings hatten die Verantwortlichen vergessen, rechtzeitig die Adresse smartvote.lu zu reservieren. Die neue Adresse heit smartwielen.lu.

Die Abgeordnetenkammer hat zusammen mit dem Zentrum fir politesch Bildung dieses Jahr Videos und Aufklärungsmaterialien erarbeitet, die Jugendlichen das politische System und die Legislativwahlen nahebringen sollen. Eine ähnliche Initiative gab es zu den Gemeindewahlen. Sogar an die ganz Kleinen wurde gedacht und mit dem Kannerhaus Woltz ein Spot erarbeitet, der die Gemeindepolitik erklärt. Kleines B-Moll: Im Film waren die Geschlechterrollen wie aus einer anderen Zeit: ein Bürgermeister, der nach dem Rechten sieht, während er sich von einer Frau das Essen kochen lässt. Obwohl Gendermainstreaming in seinen Leitlinien steht, scheinen die Verantwortlichen des Zentrums größere Schwierigkeiten damit zu haben, ihren Anspruch selbst einzulösen oder durchzusetzen: Eine gemeinsam mit der Luxemburger Vertretung bei der EU-Kommission organisierte Veranstaltung zur Europapolitik der Parteien hat nur Männer auf dem Podium, bei der Moderation und als Vertretungen der jeweiligen Parteien. Die Reaktionen folgten prompt: Inden sozialen Netzwerken wurde die Einseitigkeit beanstandet, nicht zuletzt von jungen Feministen und Feministinnen. Der nationale Frauenrat, der besagte Veranstaltung ebenfalls kritisierte, zeigt wie man es besser macht und hat rechtzeitig zu den Wahlen ein eigenes Videoprojekt auf die Beinen gestellt: Darin sind junge Frauen und Männer zu sehen, die sich dafür einsetzen, an der Wahlurne nicht rein auf Bekannt- und Beliebtheitsgrad zu setzen, sondern gerecht und egalitär zu wählen.

Anders als Erwachsene, die auf die unaufgeklärte Jugend schimpfen, zeigen viele Jugendliche bei Themen wie Chancengleichheit und Ausgrenzung eine andere Sensibilität: Es waren ältere weißen Männer und Frauen, die in den USA Donald Trump und damit einen autoritären Narzissten wählten, es waren mehrheitlich auch ältere Menschen, die sich in Großbritannien für den Brexit aussprachen. Unter Brexit-GegnerInnen konnte man immer wieder einen Ruf vernehmen: Ihr habt uns unsere Jugend geklaut!

Ines Kurschat
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