Der Großherzog will die Probleme der Monarchie nun mit Managerismus lösen lassen – womit denn sonst?

Der Generaldirektor im Palais

d'Lëtzebuerger Land vom 09.10.2015

„Die Monarchie ist gezwungen, sich anzupassen“, meinte Michel Heintz am Mittwoch während eines „informellen Pressefrühstücks“ im großherzoglichen Palais. Heintz, der unter anderem Mitarbeiter von CSV-Staatsminister Jean Claude Juncker, der CSV-Europaabgeordneten Astrid Lullig und der Bankenaufsicht CSSF war, ist seit einem Jahr diplomatischer Berater des Großherzogs. Nun wird er Kabinettschef des Großherzogs. Denn im Rahmen einer „tiefgreifenden Reorganisation“ des Hofs bekommt der Großherzog ein Kabinett wie andere Politiker auch.

Michel Heintz saß am Mittwoch neben Hofmarschall Pierre Bley. Der ehemalige Direktor des Unternehmerdachverbands UEL gibt zum Jahresende sein Amt als Hofmarschall auf. Zum Dank erhält er den Titel des „persönlichen Gesandten“ des Großherzogs. So sollen Gerüchte zerstreut werden, er sei ein weiteres Opfer der Willkürherrschaft am Hof geworden. Doch noch mehr als der Amtsinhaber fällt das Amt der geplanten Reorganisation zum Opfer.

Die „Beauftragte für die Modernisierung des Hofs“, so Bley, heißt Chantal Selva und wurde vom Großherzog selbst beauftragt. Seit dem Fernsehproduzenten Stéphane Berne hat der Großherzog nicht immer eine glückliche Hand bei der Auswahl seiner externen Berater, und so modern sieht Chantal Selva auch nicht aus. Aber sie arbeitet als freischaffende Unternehmensberaterin, verspricht, Manager und Personal bei Umstrukturierungen zu begleiten. Auf Beteiligung und Gruppendynamik setzt sie dabei und schreibt Bücher zu nicht mehr ganz neuen Modetrends der Branche, wie Neurolinguistischem Programmieren. Sie bereitet auch „zusammen mit Ihren Königlichen Hoheiten“ für die Management-Serie Antidotes im Verlag L‘Harmattan eine Veröffentlichung über „die Schwierigkeiten“ des Hofs „beim Übergang von einer traditionellen Organisation zu ihrer Modernisierung“ vor. So kam man eben ins Geschäft. Ihr Honorar sei „sehr, sehr bescheiden“, liege unter demjenigen der leitenden Angestellten am Hof, meint sie.

Unmittelbarer Anlass für die Modernisierung des Hofs ist der Wunsch des großherzoglichen Paars, Herren im eigenen Haus zu werden. Statt den rund hundertköpfigen Hofstaat vom Hofmarschall leiten zu lassen, wollen sie das nun selbst tun. Der Großherzog und die Großherzogin wollten nicht „Verwaltungsräte“ des Unternehmens Palais spielen, wagte Michel Heintz einen Vergleich, sondern der Großherzog wolle „Generaldirektor mit einem Direk­tionskomitee“ werden.

Das Amt des Hofmarschalls ist eines der Relikte deutscher Fürstenhäuser am großherzoglichen Hof. Laut dem autoritativen Werk zum Thema, Der Hof-Marschall. Handbuch zur Einrichtung und Führung eines Hofhalts des Königlich Hannoverschen Hofmarschalls und Kammerherrn Ernst von Malortie aus dem Jahr 1842 muss ein Hofmarschall „im Allgemeinen seinen Geschäftskreis auf die Einrichtung der Hofbedienung, Hofbewirthung, Verwaltung der Ökonomie und Haushaltsangelegenheiten, das Ceremoniell am Hofe, die Jurisdiction über die Hofbedienten und die Hof-Polizei, ingleichen auf die Hof-Bau- und Meublirungs-Sachen der Schlösser ausdehnen, und würden sich die sämmtlichen Geschäfte hiernach eintheilen lassen in: 1) administrative, 2) gerichtliche, 3) polizeiliche“ (S. 1). Hierzulande üben die Hofmarschälle aber – auch wegen der Kleinheit des Hofstaats – weit darüber hinausgehende Funktionen aus. Sie sind zugleich Ansprechpartner der Regierung und Verwaltung, filtern den Zugang zum Staatsoberhaupt, seinen Informationsfluss und lenken dessen Schritte diskret und untertänigst.

Wenn aber jetzt ein Kabinettschef für die politische Rolle des Staatsoberhaupts zuständig wird und der Hof vom großherzoglichen Paar mit Unterstützung des nun für Organisation und Protokoll zuständigen Flügeladjutanten Henri Chrisnach geleitet wird, beschränkt sich die Rolle des Hofmarschalls bald auf das Zeremonielle. So dass es ihm bei einer nächsten Modernisierung nicht besser als dem belgischen Kollegen ergehen könnte: In Belgien wurde das Amt 2006 abgeschafft, Frank De Coninck, der letzte Hofmarschall, wurde als Botschafter zum Vatikan abgeschoben. Wer Ende des Jahres in der neuen Rolle des Hofmarschalls Nachfolger von Pierre Bley werden soll, werde derzeit geklärt, hieß es am Mittwoch.

Die Reorganisation ist auch das Ergebnis eines zwischen April und Juni erfolgten Audits, in dessen Anschluss Unternehmensberaterin Chantal Selva nun ein strategisches Komitee zur Reform des Hofs leitet. Dem Hofstaat wurde vergangene Woche in einer Betriebsversammlung das neue Organigramm vorgestellt.

Ausgetauscht wird nach anderthalb Jahren auch der Domänenverwalter, der Wirtschaftsprüfer Chris­tian Billon. Sein Nachfolger wird – erstmals nach einer öffentlichen Postenausschreibung – der von dem Gefahrguttransporter EB Trans kommende Jean-David van Maele. Er muss sich unter anderem damit abfinden, dass alle Reformen bei konstanten Mitteln erfolgen müssen, wie die Modernisierungsbeauftragte betonte. Auch Pressesprecherin Isabelle Faber, Ex-PWC, wurde soeben ersetzt, nachdem man ihr vorwarf, zu eventbetont gewesen zu sein. Ihre Nachfolgerin, Nadège Lartigue, Ex-Royal Bank of Scottland, wird von einem Lenkungsausschuss kontrolliert.

Die geplante Modernisierung im Palais hat aber noch einen tiefer liegenden Grund. Sie geschehe unter dem Druck einer sich verändernden Gesellschaft sowie vor dem Hintergrund der geplanten Verfassungsrevision, betonte Michel Heintz. Und tatsächlich sieht die Verfassungsrevision für keine andere Institution eine derart weit reichende Umwälzung vor als für das Staatsoberhaupt.

Dabei hatte 1999 das Parlament noch 115 Artikel für revisionsbedürftig erklärt, aber, vor allem auf Druck der CSV, alle Artikel, die den Großherzog betrafen, für Tabu erklärt. Dann erfolgte der Thronwechsel, und Großherzog Henri und Großherzogin Maria Teresa, die „einen neuen Stil“ versprachen, sollten, modern und volksnah, mit gemeinsamen Fernsehauftritten und feierlichen Thronreden im Parlament, die Politik zu einem Zeitpunkt remonarchisieren, da Globalisierung und liberale Reformen den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdeten.

Doch 15 Jahre später fällt die Bilanz verheerend aus: Vom öffentlich ausgetragenen Streit von Großherzogin Maria Teresa mit ihrer Schwiegermutter Großherzogin Joséphine-Charlotte selig über Prinz Louis, der mit 19 Jahren unversehens Vater wurde, bis zu Prinz Jean, den Premier Jean-Claude Juncker dem Oberstaatsanwalt als Bommeleeër-Verdächtigen auslieferte, verscherzte sich die großherzogliche Familie die Sympathien. Auch die lang erwartete Heirat von Thronfolger Guillaume mit der biederen Gräfin Stéphanie de Lannoy bescherte dem Land nicht gerade das Traumpaar aus dem Prinzenmärchen.

Der verzweifelte Versuch des Großherzogs, einen Streit mit seinen Geschwistern um die Erbschaft von Großherzogin Joséphine-Charlotte zu vermeiden, endete ebenfalls im Fiasko, als er Familienjuwelen versteigern lassen wollte, die Regierung zum Kauf des Grünewalds drängte und eine Erhöhung der staatlichen Zuwendung neben der Zivilliste forderte. Das Personenkarussell von Hofmarschällen, Domänenverwaltern und anderen Höflingen, die publik gewordenen Vorwürfe des ehemaligen Geheimdienstdirektors gegen den Großherzog, den Erbgroßherzog und die Palastwache, der angebliche Mitschnitt eines Gesprächs des Großherzogs mit Jean-Claude Juncker zerstörten das öffentliche Vertrauen.

Nachdem sich der Großherzog in einem Interview für die doppelte Staatsbürgerschaft ausgesprochen und voreilig angekündigt hatte, beim Referendum für den Europäischen Verfassungsvertrag zu stimmen, provozierte er schließlich eine Verfassungskrise, als er sich nach einer Privataudienz beim Papst weigerte, das Euthanasiegesetz zu unterzeichnen. Wofür der Sympathisant der sehr rechten Charismatischen Bewegung dann auch noch vom Vatikan den Van-Than-Menschenrechtspreis als Glaubensmärtyrer entgegennahm.Diese Verfassungskrise führte zum endgültigen Bruch: Die Regierung und die politischen Parteien schrieben den Großherzog als politisch unsicheren Kantonisten wie seine Großtante Marie-Adelheid ab. Die Vorrechte des Großherzogs bei der Bestätigung und Verkündung von Gesetzen wurden umgehend beschnitten, und die nun geplante Revision rückt den Monarchen im Verfassungstext nach hinten, teilt ihm statt Vorrechten Aufgaben zu und stuft ihn auf das Format eines höheren, jederzeit kündbaren Staatsdieners zurück, der gegen Gehalt Papierkram erledigen, ausländische Gäste empfangen und Prospektionsreisen erleichtern soll.

Obwohl der Großherzog über die Regierung wiederholt Vorstöße machte, um die geplante Verfassungsrevision abzuschwächen, scheint er sich doch mit der Ausrichtung abzufinden. Unklar scheint ihm nur noch, unter welchem Statut er seine Aufgaben erledigen will. Denn während das Parlament das Staatsoberhaupt zu einer Art Beamten der gehobenen Laufbahn, einem „Erbpräsidenten“ machen will, dominiert bei seinem diese Woche vorgestellten Modernisierer-Team das Ideal eines gewerblichen Dienstleisters, der nun alle in den letzten 15 Jahren angehäufte Probleme der Monarchie mit Managerismus lösen soll.

Der Großherzog, den die Verfassung bis 1998 noch für „heilig“ erklärte, will eine Art „Generaldirektor“ des Palais spielen, um nicht ein Beamter wie die anderen zu werden. Im konstitutiven Widerspruch zwischen Privatem und Öffentlichem, einem Erbamt und dem Gleichheitsprinzip soll ein privatwirtschaftliches Selbstverständnis vor einer Vereinnahmung durch den öffentlichen Dienst und damit vor der Auflösung der Monarchie in der Demokratie wie eine Brausetablette in einem Glas Wasser schützen.

Romain Hilgert
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