Piratepartei

Die Mühen der Ebenen

d'Lëtzebuerger Land vom 09.10.2015

Früher war man gewohnt, dass politische Parteien irgendwie generationenübergreifend Klasseninteressen in Bezug auf das variable Kapital vertraten, sogar wenn sie sich Volksparteien nannten. Heute scheinen manche eher Marketingkriterien zu gehorchen. So kamen unter anderem Parteien auf, die die Ikone der Werbebranche, die Jugend, zu verkörpern versuchten. In den Siebzigerjahren, als die Jugendlichen nicht mehr länger im CSV-Staat wie Kinder behandelt werden wollten, war die DP mit ihrem „amerikanischen“ Wahlkampf plötzlich auch Jugendpartei. Als viele Jugendliche sich dann gegen die Atomreaktoren und für die Wale begeisterten, waren die mit dem Schutz des konstanten Kapitals beschäftigten Grünen lange die Jugendpartei. Doch auch sie sind ins Alter und neuerdings sogar in die Regierung gekommen. Also steht sich seit sechs Jahren die für den Schutz des immateriellen Kapitals zuständige Piratenpartei die Füße in den Bauch, um auf die leicht anämischen Erst- und Jungwähler zu warten, die Tag und Nacht zu Hause vor dem Computer hocken.

An diesem Wochenende findet in Petingen der Jahreskongress der Piratenpartei statt. Geplanter Höhepunkt der Veranstaltung ist die Wiederwahl des Parteivorsitzenden, Sven Clement, der sich in seiner Kandidatur selbstbewusst als 26-Jähriger vorstellt, der „eine Partei und eine Firma gegründet“ habe. Auch wenn die Wahl ohne Gegenkandidat stattfindet, ist sie für die Partei nicht unwichtig, da Sven Clement nicht nur der Vorsitzende, sondern auch das Programm der Partei ist. Zwar bemüht sich die Piratenpartei ständig, mit Programmen, Erklärungen und Mitteilungen zu all möglichen und unmöglichen Themen „richtige Partei“ zu spielen, aber es sieht eben immer nur nach Spiel aus.

So dass niemand den politischen Standpunkt der liberalen bis libertären Jungen­partei nennen kann, die irgendwie für den Schutz privater und gegen den Schutz staatlicher Daten ist, aber nicht einmal in der laut ihrem Parteinamen für sie zentralen Frage des geistigen Eigentums eine klare Position bezieht. Denn stets legt sie einen derart schamlosen Opportunismus an den Tag, dass sich selbst Altparteien noch eine Scheibe abschneiden können. Ihr Wahlziel war bisher ganz unumwunden, landesweit mehr als zwei Prozent Stimmen zu erhalten, um Anrecht auf die staatliche Parteienfinanzierung zu erhalten. Zwar war sie entsprechend wenig wählerisch bei der Aufstellung von rechten Kandidaten gewesen, doch das Wahlziel wurde mit 2,95 Prozent bei den Landes- und 3,23 Prozent bei den Europawahlen erreicht.

Weil nun einmal jeder jung sein will und die deutsche Mutter- oder Schwesterpartei anfangs Wahlerfolge verbuchte, wurde die 2009 gegründete Partei mit so vielen Vorschusslorbeeren empfangen, dass sie, wie einst die Grünen und die ADR, am Ende selbst glaubte, den Erfolg gepachtet zu haben. Doch nach den „Mühen der Gebirge“ müssen die Piraten, die sich vor allem mit professionellen Wahlkampagnen Gehör zu verschaffen verstanden, nun im öden politischen Alltag mit den „Mühen der Ebenen“ kämpfen, wie Brecht das nannte.

Statt stetig bergauf geht seit den Kammerwahlen 2013 der Wählereinfluss der Partei in den Meinungsumfragen zurück; derzeit erreicht sie nicht einmal mehr die zwei Prozent, um an Staatsknete zu kommen. Bisher gelang es ihr nicht, Oppositionskapital aus der Regierungsbeteiligung der grünen Konkurrenz zu schlagen. Der Zerfall der in der Bedeutungslosigkeit versunkenen, aber stets als Vorbild dienenden deutschen Piratenpartei kühlt ebenfalls den Eifer mancher Mitglieder und Sympathisanten. Obwohl – die üblichen Streitereien hin oder her – bisher ähnliche Entwicklungen wie in Deutschland dank des vom Vorsitzenden ausgeübte Demokratischen Zentralismus in seiner Firma verhindert werden konnten.

Romain Hilgert
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